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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Scheitern des englisch-französischen Handelsvertrags.

noch das andre zu erreichen war, so zog man es vor, lieber gar keinen Zvll-
und Handelsvertrag mit Frankreich zu haben als sich mit seiner Unterschrift in
einen schutzzöllnerischen Tarif zu fügen. Leicht wird es den Herren gewiß nicht
geworden sein, und wie komische Scheinheiligkeit hört sichs an, wenn englische
Journale sich vernehmen lassen: "Wir treten nicht in übler Laune zurück, sondern
mit der heitern Zuversicht, daß das Recht auf unsrer Seite ist, und daß der
schließliche Zusammenbruch der Erörterung, wenn er stattfindet, das immer noch
in weiten Kreisen getäuschte französische Volk überzeugen wird, das; unser Handel
(hier denkt man auch an den Fuchs vor den Trauben) nur wenig von ihren
Zugeständnissen abhängt." Die Wirkuug wird noch komischer, wenn man weiter
liest: "Wahrscheinlich werden die politischen Folgen des voraussichtlichen Scheiterns
der Unterhandlungen in Frankreich größer sein als in England. Gladstone, be¬
kanntlich dem Freihandel und dem internationalen Frieden zugethan, wird durch
die Haltung seiner Beauftragten eher gewinnen als verlieren. Man wird sehen,
daß er fest zu sein weiß, und daß er entschlösset? ist, selbst um der ontsntö
eorämls willen, die er wie sein alter Führer Lord Aberdeen im Auge hat,
keine weiteren Konzessionen zu mache". Es ist wenig Aussicht, daß unser Minister
Tadel erfahren wird wegen eines Mißerfolgs, den kein vernünftiges Zugeständ-
niß von seiner Seite abwenden konnte. In Frankreich wird die vielfach un¬
einige Opposition vermutlich uicht so zurückhaltend sein. Viele Schattirungen
des dortigen Journalismus vom reinsten Weiß der Legitimität bis zum feurigsten
Not werden mit Entzücken dies wieder als ein Mißgeschick Gambettas charak-
terisiren, und es wird sicher verdrießlich sein, zu sehen, daß Negotiationen, welche
in Erwartung seiner Ernennung zum Premier ins Stocken geraten waren, sofort,
nachdem er die Zügel ergriffen, scheitern. (Verdrießlich für die Engländer ge¬
wiß, aber für die große Mehrzahl der Franzosen? Eine sehr naive Logik, die
das stillschweigend voraussetzt.) Der französische Handel und die französische Speku¬
lation sind sehr feinfühlig, und die Furcht vor einem Tarifkriege wird ohne
Zweifel sich geltend machen. Denn die beiden Nationen werden ihre Freiheit
wieder erlangen und sich auf den fiskalischen Standpunkt stellen, den sie ein¬
nahmen, als Cobden seine erste Zusammenkunft mit Napoleon hatte."

Diese Furcht mag in Frnukreich hier und da laut werden. Viel Grund
aber hat sie nicht. England wird uicht zu dem Tarif von 1859 zurückkehren.
Als Gladstone 1860 mit wenige" Ausnahmen alle Einfuhrzölle aufhob, sagte
er: "Alle solche Waare" werde" summarisch, gänzlich, unbedingt vom britischen
Tarife hinweggefegt werden," und diese Auskehr war eine endgiltige, sodaß
keinerlei Retaliationsbedürfnisse die beseitigten Zölle zurückführen werden. Da¬
liegen wird England in Betreff der 1860 im Einklang mit dem Cvbdcuschen
Vertrag bewirkten Veränderung i" seine" Weinzöllen frei, und mau könnte die¬
selben modifiziren, ohne sie zu erhöhen. England setzte 1860 nicht nur seine
Weinzölle herab, sondern nahm eine Skala mit Rücksicht ans den Alkoholgehalt


Das Scheitern des englisch-französischen Handelsvertrags.

noch das andre zu erreichen war, so zog man es vor, lieber gar keinen Zvll-
und Handelsvertrag mit Frankreich zu haben als sich mit seiner Unterschrift in
einen schutzzöllnerischen Tarif zu fügen. Leicht wird es den Herren gewiß nicht
geworden sein, und wie komische Scheinheiligkeit hört sichs an, wenn englische
Journale sich vernehmen lassen: „Wir treten nicht in übler Laune zurück, sondern
mit der heitern Zuversicht, daß das Recht auf unsrer Seite ist, und daß der
schließliche Zusammenbruch der Erörterung, wenn er stattfindet, das immer noch
in weiten Kreisen getäuschte französische Volk überzeugen wird, das; unser Handel
(hier denkt man auch an den Fuchs vor den Trauben) nur wenig von ihren
Zugeständnissen abhängt." Die Wirkuug wird noch komischer, wenn man weiter
liest: „Wahrscheinlich werden die politischen Folgen des voraussichtlichen Scheiterns
der Unterhandlungen in Frankreich größer sein als in England. Gladstone, be¬
kanntlich dem Freihandel und dem internationalen Frieden zugethan, wird durch
die Haltung seiner Beauftragten eher gewinnen als verlieren. Man wird sehen,
daß er fest zu sein weiß, und daß er entschlösset? ist, selbst um der ontsntö
eorämls willen, die er wie sein alter Führer Lord Aberdeen im Auge hat,
keine weiteren Konzessionen zu mache». Es ist wenig Aussicht, daß unser Minister
Tadel erfahren wird wegen eines Mißerfolgs, den kein vernünftiges Zugeständ-
niß von seiner Seite abwenden konnte. In Frankreich wird die vielfach un¬
einige Opposition vermutlich uicht so zurückhaltend sein. Viele Schattirungen
des dortigen Journalismus vom reinsten Weiß der Legitimität bis zum feurigsten
Not werden mit Entzücken dies wieder als ein Mißgeschick Gambettas charak-
terisiren, und es wird sicher verdrießlich sein, zu sehen, daß Negotiationen, welche
in Erwartung seiner Ernennung zum Premier ins Stocken geraten waren, sofort,
nachdem er die Zügel ergriffen, scheitern. (Verdrießlich für die Engländer ge¬
wiß, aber für die große Mehrzahl der Franzosen? Eine sehr naive Logik, die
das stillschweigend voraussetzt.) Der französische Handel und die französische Speku¬
lation sind sehr feinfühlig, und die Furcht vor einem Tarifkriege wird ohne
Zweifel sich geltend machen. Denn die beiden Nationen werden ihre Freiheit
wieder erlangen und sich auf den fiskalischen Standpunkt stellen, den sie ein¬
nahmen, als Cobden seine erste Zusammenkunft mit Napoleon hatte."

Diese Furcht mag in Frnukreich hier und da laut werden. Viel Grund
aber hat sie nicht. England wird uicht zu dem Tarif von 1859 zurückkehren.
Als Gladstone 1860 mit wenige» Ausnahmen alle Einfuhrzölle aufhob, sagte
er: „Alle solche Waare» werde» summarisch, gänzlich, unbedingt vom britischen
Tarife hinweggefegt werden," und diese Auskehr war eine endgiltige, sodaß
keinerlei Retaliationsbedürfnisse die beseitigten Zölle zurückführen werden. Da¬
liegen wird England in Betreff der 1860 im Einklang mit dem Cvbdcuschen
Vertrag bewirkten Veränderung i» seine» Weinzöllen frei, und mau könnte die¬
selben modifiziren, ohne sie zu erhöhen. England setzte 1860 nicht nur seine
Weinzölle herab, sondern nahm eine Skala mit Rücksicht ans den Alkoholgehalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/119>, abgerufen am 02.07.2024.