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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Scheitern des englisch-französischen Handelsvertrags.

an. Das war ein bestimmtes Zugeständnis für Frankreich; denn wie die Fabri¬
kanten von Manchester Wertzölle wünschen, weil sie die Märkte der Welt mit
ihren wohlfeilen Waaren erobern können, so wünschten die Weinbauer von Süd¬
frankreich eine alkoholische Skala, weil sie in der Erzeugung von billigen, schwachen
Weinen ohne Nebenbuhler dastehen. Wie ein gleicher oder nahezu gleicher Zoll auf
alle Wollen- und Baumwollenwaaren die gröberen englischen Gewebe ausschließt,
so wirkt ein fester Zoll ans Wein als Wein natürlich zu Gunsten der stärkeren
und teueren Weine Spaniens und Portugals nud zu Ungunsten der billigen
Erzeugnisse der Weinberge um der Gironde. Erlangt also England seine Freiheit
in Betreff der Weinverzollnng wieder, so kann seine Negierung Veränderungen
eintreten lassen, welche durchaus nicht gegen die Grundsätze des Freihandels
verstoßen und doch sehr empfindlich die Interessen der französischen Weinerzeuger
beeinträchtigen werden. Wenn alle Weine zu feststehendem Zoll per Gallone
ohne Rücksicht ans ihre Stärke oder Schwere zugelassen werden, so werden die
teureren und alkoholreichercn Gewächse Malagas und Opvrtos bei der Konkurrenz
mit den jetzt und auch später gegen geringen Zoll zugelassenen leichten französischen
Weinen selbstverständlich gewinnen. Indeß ist die Einfuhr solcher Weine in
England zwar ziemlich bedeutend, aber nicht so, daß sie die Wage neigte.

Wieder ans schwachen Füßen steht ein weiteres Raisonnement der über das
Scheitern der Pariser Verhandlungen offenbar sehr ärgerlichen Londoner Presse.
Es heißt da ungesähr, auf internationalem Gebiete sei alles, was das herzliche
Einverehincn zwischen England und Frankreich zu stören geeignet sei, zu beklage",
namentlich aber habe Frankreich viel von einer Isolirung zu fürchten. (Als ob
jemand, der mit dem Gladstoneschen England liirt ist, nicht praktisch so gut wie
isolirt wäre.) Es sei nicht in der Position, in der es 1860 gewesen, wo der
Kaiser Napoleon, der Sieger in zwei großen Kriegen, es zu einer gebietenden,
wenn auch gefährlichen Höhe erhoben. "Damals," so wird weiter ausgeführt,
"existirte kein Deutschland, das ihm die Oberherrschaft über Europa streitig
machte, und Nußland und Österreich hatten nicht blos seine Kraft gefühlt, sondern
bewarben sich um sein Bündnis. Gegenwärtig fühlt Frankreich die Folgen des
Jahres 1870 nach jeder Richtung hin, und England ist die einzige Großmacht,
auf deren freundschaftliche Gefühle es mit Sicherheit rechnen kann. (Was thue
ich mit Gefühlen? wird der Franzose sagen.) Die wahren Interessen beider
Länder Widerstreiten einander nicht. (Wirklich? Auch nicht am Mittelmeer? Man
vergleiche damit das drei Zeilen weiter folgende.) In Ägypten haben beide ein
ganz bestimmtes Ziel, wenn sie den Stcitnsqno aufrecht zu erhalten streben.
Wenn aber der Geist, der die Expedition nach Tunis eingab, und der die
französischen Unterhändler zu Paris in der letzten Woche beseelte, fortfährt,
vorzuherrschen, so wird die englische Politik sich unausbleiblich ändern. Wir
werden uns zu Deutschland, zu Österreich, zu Italien hingezogen fühlen (was uns
Deutsche sehr kühl lassen wird), und Frankreich wird schließlich ganz allein stehen."


Das Scheitern des englisch-französischen Handelsvertrags.

an. Das war ein bestimmtes Zugeständnis für Frankreich; denn wie die Fabri¬
kanten von Manchester Wertzölle wünschen, weil sie die Märkte der Welt mit
ihren wohlfeilen Waaren erobern können, so wünschten die Weinbauer von Süd¬
frankreich eine alkoholische Skala, weil sie in der Erzeugung von billigen, schwachen
Weinen ohne Nebenbuhler dastehen. Wie ein gleicher oder nahezu gleicher Zoll auf
alle Wollen- und Baumwollenwaaren die gröberen englischen Gewebe ausschließt,
so wirkt ein fester Zoll ans Wein als Wein natürlich zu Gunsten der stärkeren
und teueren Weine Spaniens und Portugals nud zu Ungunsten der billigen
Erzeugnisse der Weinberge um der Gironde. Erlangt also England seine Freiheit
in Betreff der Weinverzollnng wieder, so kann seine Negierung Veränderungen
eintreten lassen, welche durchaus nicht gegen die Grundsätze des Freihandels
verstoßen und doch sehr empfindlich die Interessen der französischen Weinerzeuger
beeinträchtigen werden. Wenn alle Weine zu feststehendem Zoll per Gallone
ohne Rücksicht ans ihre Stärke oder Schwere zugelassen werden, so werden die
teureren und alkoholreichercn Gewächse Malagas und Opvrtos bei der Konkurrenz
mit den jetzt und auch später gegen geringen Zoll zugelassenen leichten französischen
Weinen selbstverständlich gewinnen. Indeß ist die Einfuhr solcher Weine in
England zwar ziemlich bedeutend, aber nicht so, daß sie die Wage neigte.

Wieder ans schwachen Füßen steht ein weiteres Raisonnement der über das
Scheitern der Pariser Verhandlungen offenbar sehr ärgerlichen Londoner Presse.
Es heißt da ungesähr, auf internationalem Gebiete sei alles, was das herzliche
Einverehincn zwischen England und Frankreich zu stören geeignet sei, zu beklage»,
namentlich aber habe Frankreich viel von einer Isolirung zu fürchten. (Als ob
jemand, der mit dem Gladstoneschen England liirt ist, nicht praktisch so gut wie
isolirt wäre.) Es sei nicht in der Position, in der es 1860 gewesen, wo der
Kaiser Napoleon, der Sieger in zwei großen Kriegen, es zu einer gebietenden,
wenn auch gefährlichen Höhe erhoben. „Damals," so wird weiter ausgeführt,
„existirte kein Deutschland, das ihm die Oberherrschaft über Europa streitig
machte, und Nußland und Österreich hatten nicht blos seine Kraft gefühlt, sondern
bewarben sich um sein Bündnis. Gegenwärtig fühlt Frankreich die Folgen des
Jahres 1870 nach jeder Richtung hin, und England ist die einzige Großmacht,
auf deren freundschaftliche Gefühle es mit Sicherheit rechnen kann. (Was thue
ich mit Gefühlen? wird der Franzose sagen.) Die wahren Interessen beider
Länder Widerstreiten einander nicht. (Wirklich? Auch nicht am Mittelmeer? Man
vergleiche damit das drei Zeilen weiter folgende.) In Ägypten haben beide ein
ganz bestimmtes Ziel, wenn sie den Stcitnsqno aufrecht zu erhalten streben.
Wenn aber der Geist, der die Expedition nach Tunis eingab, und der die
französischen Unterhändler zu Paris in der letzten Woche beseelte, fortfährt,
vorzuherrschen, so wird die englische Politik sich unausbleiblich ändern. Wir
werden uns zu Deutschland, zu Österreich, zu Italien hingezogen fühlen (was uns
Deutsche sehr kühl lassen wird), und Frankreich wird schließlich ganz allein stehen."


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[0120] Das Scheitern des englisch-französischen Handelsvertrags. an. Das war ein bestimmtes Zugeständnis für Frankreich; denn wie die Fabri¬ kanten von Manchester Wertzölle wünschen, weil sie die Märkte der Welt mit ihren wohlfeilen Waaren erobern können, so wünschten die Weinbauer von Süd¬ frankreich eine alkoholische Skala, weil sie in der Erzeugung von billigen, schwachen Weinen ohne Nebenbuhler dastehen. Wie ein gleicher oder nahezu gleicher Zoll auf alle Wollen- und Baumwollenwaaren die gröberen englischen Gewebe ausschließt, so wirkt ein fester Zoll ans Wein als Wein natürlich zu Gunsten der stärkeren und teueren Weine Spaniens und Portugals nud zu Ungunsten der billigen Erzeugnisse der Weinberge um der Gironde. Erlangt also England seine Freiheit in Betreff der Weinverzollnng wieder, so kann seine Negierung Veränderungen eintreten lassen, welche durchaus nicht gegen die Grundsätze des Freihandels verstoßen und doch sehr empfindlich die Interessen der französischen Weinerzeuger beeinträchtigen werden. Wenn alle Weine zu feststehendem Zoll per Gallone ohne Rücksicht ans ihre Stärke oder Schwere zugelassen werden, so werden die teureren und alkoholreichercn Gewächse Malagas und Opvrtos bei der Konkurrenz mit den jetzt und auch später gegen geringen Zoll zugelassenen leichten französischen Weinen selbstverständlich gewinnen. Indeß ist die Einfuhr solcher Weine in England zwar ziemlich bedeutend, aber nicht so, daß sie die Wage neigte. Wieder ans schwachen Füßen steht ein weiteres Raisonnement der über das Scheitern der Pariser Verhandlungen offenbar sehr ärgerlichen Londoner Presse. Es heißt da ungesähr, auf internationalem Gebiete sei alles, was das herzliche Einverehincn zwischen England und Frankreich zu stören geeignet sei, zu beklage», namentlich aber habe Frankreich viel von einer Isolirung zu fürchten. (Als ob jemand, der mit dem Gladstoneschen England liirt ist, nicht praktisch so gut wie isolirt wäre.) Es sei nicht in der Position, in der es 1860 gewesen, wo der Kaiser Napoleon, der Sieger in zwei großen Kriegen, es zu einer gebietenden, wenn auch gefährlichen Höhe erhoben. „Damals," so wird weiter ausgeführt, „existirte kein Deutschland, das ihm die Oberherrschaft über Europa streitig machte, und Nußland und Österreich hatten nicht blos seine Kraft gefühlt, sondern bewarben sich um sein Bündnis. Gegenwärtig fühlt Frankreich die Folgen des Jahres 1870 nach jeder Richtung hin, und England ist die einzige Großmacht, auf deren freundschaftliche Gefühle es mit Sicherheit rechnen kann. (Was thue ich mit Gefühlen? wird der Franzose sagen.) Die wahren Interessen beider Länder Widerstreiten einander nicht. (Wirklich? Auch nicht am Mittelmeer? Man vergleiche damit das drei Zeilen weiter folgende.) In Ägypten haben beide ein ganz bestimmtes Ziel, wenn sie den Stcitnsqno aufrecht zu erhalten streben. Wenn aber der Geist, der die Expedition nach Tunis eingab, und der die französischen Unterhändler zu Paris in der letzten Woche beseelte, fortfährt, vorzuherrschen, so wird die englische Politik sich unausbleiblich ändern. Wir werden uns zu Deutschland, zu Österreich, zu Italien hingezogen fühlen (was uns Deutsche sehr kühl lassen wird), und Frankreich wird schließlich ganz allein stehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/120>, abgerufen am 01.07.2024.