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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrj'osträger.

Dazu betrachtete er ihn mit den Augen der Eifersucht, wohl wissend, welche
Kühnheit, welche Geschicklichkeit und welche Gewissenlosigkeit er dem weiblichen
Geschlechte gegenüber besaß. Mit dem Freiherrn von Lovendal unterhielt er ein
sehr kühles Verhältnis. Obwohl sie Vettern waren, hatte der überwiegende Reich¬
tum der Lvvcndcils und ihr Bestreben, nur in der allerhöchsten Gesellschaft zu
verkehren, eine Schranke zwischen ihnen errichtet.

Alfons sowohl wie seine Mutter empfanden dies mit peinlichen Gefühlen,
weil sie beide nach denselben Zielen trachteten, welche Lovendals erreicht hatten,
aber leine Mittel hatten, dahin zu gelangen. Reichtum und Vornehmheit waren
in ihren Augen das höchste lind wünschenswerteste, und es war bitter, einzu¬
sehen, wie schwierig es war, dahin zu gelangen.

Während Alfons nun aus der Ferne der schönen Sängerin zusah und sich
im Gespräch mit seinem Nachbar zu trösten suchte, einem Dolmetscher der türkischen
Botschaft, welcher interessante Dinge von der Wirtschaft am Hofe in Konstantinopel
erzählte, wo er zuletzt gearbeitet hatte, ließ der Prinz von Parolignac seine Zeit
bei der Sängerin nicht unnütz verstreichen. Er hatte viel Uebung im Umgange
mit Damen vom Theater und wußte, welche Interessen sie haben, so daß er
nicht um Stoff zu einer Unterhaltung in Verlegenheit war, obwohl er mit der
Spanierin zum erstenmale sprach. Auch war unter den Fehlern, die der Prinz
hatte, Schüchternheit einer der letzten, und indem er es als selbstverständlich ansah,
daß es fnshionable und amüsant sei, sich also wohl schicken müsse, mit der ge¬
feiertsten Sängerin des Tages eine Liebschaft anzuknüpfen, ging er ohne viele
Umschweife auf dies Ziel los.

Aber obwohl der Prinz das Völkchen der Bühne kannte und längst den
Glauben abgestreift hatte, die Sängerinnen vom Theater seien ätherische Geschöpfe,
deren Nahrung die Kunst sei, Nachtigallen in weiblicher Gestalt, mit keinem andern
Zweck als mit dem, die Herzen der Menschen durch den Wohllaut ihrer Kehle
zu erquicken, obwohl er längst wußte, das; diese bevorzugten, klangbegabtcn Wesen
auch ihre irdischen Seiten haben, war er doch überrascht durch den Einblick in
die kalte und berechnende Denkart der Scnnorita Chepa. Er betrachtete verwundert
dies farbenleuchtcnde, lebensprühende Mädchen mit der süßen Stimme, das in
sich eine Seele barg, welche sie von einem Handelsagenten entliehen zu haben
schien. Welchen Ton der Unterhaltung er auch anschlug, welchen Gegenstand
er auch berühren mochte, immer kam die reizende Tochter des Südens auf das
Geld. Die verschiedenen Arten des Gesanges, die Schulen der großen Meister,
die Eigentümlichkeiten der Bühnen in Spanien, Frankreich, England und Deutsch¬
land, alles hatte nur in sofern eine Bedeutung, als es der Scnnorita mehr oder
weniger einbrachte.

Der Prinz fand ein eigentümliches Gefallen an dieser Art der Unterhaltung.
Seine sarkastische Ader fühlte sich immer angenehm gekitzelt, wenn er auf eclatmite
Widersprüche in der menschlichen Natur stieß, und er hatte dann die Manier,


Grenzboten I. 1882. U!
Bakchen und Thyrj'osträger.

Dazu betrachtete er ihn mit den Augen der Eifersucht, wohl wissend, welche
Kühnheit, welche Geschicklichkeit und welche Gewissenlosigkeit er dem weiblichen
Geschlechte gegenüber besaß. Mit dem Freiherrn von Lovendal unterhielt er ein
sehr kühles Verhältnis. Obwohl sie Vettern waren, hatte der überwiegende Reich¬
tum der Lvvcndcils und ihr Bestreben, nur in der allerhöchsten Gesellschaft zu
verkehren, eine Schranke zwischen ihnen errichtet.

Alfons sowohl wie seine Mutter empfanden dies mit peinlichen Gefühlen,
weil sie beide nach denselben Zielen trachteten, welche Lovendals erreicht hatten,
aber leine Mittel hatten, dahin zu gelangen. Reichtum und Vornehmheit waren
in ihren Augen das höchste lind wünschenswerteste, und es war bitter, einzu¬
sehen, wie schwierig es war, dahin zu gelangen.

Während Alfons nun aus der Ferne der schönen Sängerin zusah und sich
im Gespräch mit seinem Nachbar zu trösten suchte, einem Dolmetscher der türkischen
Botschaft, welcher interessante Dinge von der Wirtschaft am Hofe in Konstantinopel
erzählte, wo er zuletzt gearbeitet hatte, ließ der Prinz von Parolignac seine Zeit
bei der Sängerin nicht unnütz verstreichen. Er hatte viel Uebung im Umgange
mit Damen vom Theater und wußte, welche Interessen sie haben, so daß er
nicht um Stoff zu einer Unterhaltung in Verlegenheit war, obwohl er mit der
Spanierin zum erstenmale sprach. Auch war unter den Fehlern, die der Prinz
hatte, Schüchternheit einer der letzten, und indem er es als selbstverständlich ansah,
daß es fnshionable und amüsant sei, sich also wohl schicken müsse, mit der ge¬
feiertsten Sängerin des Tages eine Liebschaft anzuknüpfen, ging er ohne viele
Umschweife auf dies Ziel los.

Aber obwohl der Prinz das Völkchen der Bühne kannte und längst den
Glauben abgestreift hatte, die Sängerinnen vom Theater seien ätherische Geschöpfe,
deren Nahrung die Kunst sei, Nachtigallen in weiblicher Gestalt, mit keinem andern
Zweck als mit dem, die Herzen der Menschen durch den Wohllaut ihrer Kehle
zu erquicken, obwohl er längst wußte, das; diese bevorzugten, klangbegabtcn Wesen
auch ihre irdischen Seiten haben, war er doch überrascht durch den Einblick in
die kalte und berechnende Denkart der Scnnorita Chepa. Er betrachtete verwundert
dies farbenleuchtcnde, lebensprühende Mädchen mit der süßen Stimme, das in
sich eine Seele barg, welche sie von einem Handelsagenten entliehen zu haben
schien. Welchen Ton der Unterhaltung er auch anschlug, welchen Gegenstand
er auch berühren mochte, immer kam die reizende Tochter des Südens auf das
Geld. Die verschiedenen Arten des Gesanges, die Schulen der großen Meister,
die Eigentümlichkeiten der Bühnen in Spanien, Frankreich, England und Deutsch¬
land, alles hatte nur in sofern eine Bedeutung, als es der Scnnorita mehr oder
weniger einbrachte.

Der Prinz fand ein eigentümliches Gefallen an dieser Art der Unterhaltung.
Seine sarkastische Ader fühlte sich immer angenehm gekitzelt, wenn er auf eclatmite
Widersprüche in der menschlichen Natur stieß, und er hatte dann die Manier,


Grenzboten I. 1882. U!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/105>, abgerufen am 23.07.2024.