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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Übel nehmen willst, wie eins von den Liedern, die man in Frankreich sois nennt.
Es geht wie eine Säge hin und her und ist bestimmt die Leute zu ärgern. Ich
finde nichts als Spöttelei in deinem Rat, denn du sagst immer abwechselnd,
wie mir scheint: Heirate und heirate nicht.

Das kommt daher, entgegnete der Offizier kaltblütig, weil du selbst lauter
Dinge vorbringst, die sich einander widersprechen, während sie doch zugleich
Wahrheiten enthalten. Wie kann ich da wissen, worauf ich meinen Rat be¬
gründen soll? Es scheint mir, du weißt selbst nicht, was du willst. Das ist
aber die Hauptsache. Alles andere hängt vom Schicksal ab. Ich kenne manche
Leute, die es so gut getroffen haben, daß ihre Ehe das reine Paradies darstellt,
andre dagegen sind durch das Heiraten so elend geworden, wie die von einem
bösen Geist umhergetriebenen. Man muß es ebeu wagen, wenn man überhaupt
heiraten will. Man muß die Augen zudrücken, seine Seele Gott befehlen und sich
kopflings hineinstürzen, denn eine Sicherheit giebt's da nicht. Nur eins könnte ich
dir noch raten, was ich selbst in wichtigen und zweifelhaften Dingen oft thue:
Zähle es dir an den Knöpfen ab; das ist ebenso sicher als wenn du die Geister
durch ein Medium befragst, und verstößt nicht gegen die Artikel unsers Glaubens. --
Aber sag mir doch inzwischen, mein lieber Meriadcc, wer ist der Lieutenant von
der Infanterie dort? Seine Füße scheinen mir nicht von rein germanischem Schnitt
zu sein. Kannst du dir denken, daß seine Vorfahren in den Bügeln standen?

Alfons Stahlhardt, den die beiden Herren jetzt beobachteten, war ein hübscher
junger Mann von sehr gewandten: Benehmen und militärischer Haltung, sodaß
es des schürffteu Blicks aristokratischer Augen bedürfte, um gewisse feine Merk¬
male orientalischer Verwandtschaft an ihm wahrzunehmen, welche vielleicht weniger
seiner körperlichen Bildung als der Art seiner Bewegungen anhafteten, die sich
durch ihre Schmiegsamkeit auszeichneten. Er hatte sich in eine Unterhaltung
mit der Sängerin Molini vertieft und genoß des Vorteils, sehr gut französisch
zu sprechen und dadurch vielen Bewerbern um die Gunst der Schönen den Rang
abzulaufen.

Sie verstand kein Wort deutsch, sondern nur spanisch und französisch.

Es war ihm daher gar nicht angenehm, als das Zeichen zum Anfang des
Essens gegeben ward und der Prinz von Parvlignac sich näherte, um ihm die
Dame zu entführen und vorgängiger Verabredung gemäß zu Tische zu geleiten,
während er selbst sich mit einem geringeren Platze begnügen mußte und nur vou
weitem an eine andre Tafel hinüber sehnsüchtige Blicke nach der Spanierin werfen
konnte, die ihm so sehr gefiel und deren entgegenkommendes Wesen seiner Eitel¬
keit schmeichelte. Es war ihm doppelt unangenehm, daß sie zwischen dem Prinzen
und dem Freiherr" von Lovcndal saß, welcher als Kassirer des Klubs diesen
Ehrenplatz für sich in Anspruch genommen hatte.

Den Prinzen hatte Alfons nicht gern, weil derselbe ihm zu vornehm
war und ein unerträglich hochmütiges Wesen ihm gegenüber zu haben schien.


Bakchen und Thyrsosträger.

Übel nehmen willst, wie eins von den Liedern, die man in Frankreich sois nennt.
Es geht wie eine Säge hin und her und ist bestimmt die Leute zu ärgern. Ich
finde nichts als Spöttelei in deinem Rat, denn du sagst immer abwechselnd,
wie mir scheint: Heirate und heirate nicht.

Das kommt daher, entgegnete der Offizier kaltblütig, weil du selbst lauter
Dinge vorbringst, die sich einander widersprechen, während sie doch zugleich
Wahrheiten enthalten. Wie kann ich da wissen, worauf ich meinen Rat be¬
gründen soll? Es scheint mir, du weißt selbst nicht, was du willst. Das ist
aber die Hauptsache. Alles andere hängt vom Schicksal ab. Ich kenne manche
Leute, die es so gut getroffen haben, daß ihre Ehe das reine Paradies darstellt,
andre dagegen sind durch das Heiraten so elend geworden, wie die von einem
bösen Geist umhergetriebenen. Man muß es ebeu wagen, wenn man überhaupt
heiraten will. Man muß die Augen zudrücken, seine Seele Gott befehlen und sich
kopflings hineinstürzen, denn eine Sicherheit giebt's da nicht. Nur eins könnte ich
dir noch raten, was ich selbst in wichtigen und zweifelhaften Dingen oft thue:
Zähle es dir an den Knöpfen ab; das ist ebenso sicher als wenn du die Geister
durch ein Medium befragst, und verstößt nicht gegen die Artikel unsers Glaubens. —
Aber sag mir doch inzwischen, mein lieber Meriadcc, wer ist der Lieutenant von
der Infanterie dort? Seine Füße scheinen mir nicht von rein germanischem Schnitt
zu sein. Kannst du dir denken, daß seine Vorfahren in den Bügeln standen?

Alfons Stahlhardt, den die beiden Herren jetzt beobachteten, war ein hübscher
junger Mann von sehr gewandten: Benehmen und militärischer Haltung, sodaß
es des schürffteu Blicks aristokratischer Augen bedürfte, um gewisse feine Merk¬
male orientalischer Verwandtschaft an ihm wahrzunehmen, welche vielleicht weniger
seiner körperlichen Bildung als der Art seiner Bewegungen anhafteten, die sich
durch ihre Schmiegsamkeit auszeichneten. Er hatte sich in eine Unterhaltung
mit der Sängerin Molini vertieft und genoß des Vorteils, sehr gut französisch
zu sprechen und dadurch vielen Bewerbern um die Gunst der Schönen den Rang
abzulaufen.

Sie verstand kein Wort deutsch, sondern nur spanisch und französisch.

Es war ihm daher gar nicht angenehm, als das Zeichen zum Anfang des
Essens gegeben ward und der Prinz von Parvlignac sich näherte, um ihm die
Dame zu entführen und vorgängiger Verabredung gemäß zu Tische zu geleiten,
während er selbst sich mit einem geringeren Platze begnügen mußte und nur vou
weitem an eine andre Tafel hinüber sehnsüchtige Blicke nach der Spanierin werfen
konnte, die ihm so sehr gefiel und deren entgegenkommendes Wesen seiner Eitel¬
keit schmeichelte. Es war ihm doppelt unangenehm, daß sie zwischen dem Prinzen
und dem Freiherr» von Lovcndal saß, welcher als Kassirer des Klubs diesen
Ehrenplatz für sich in Anspruch genommen hatte.

Den Prinzen hatte Alfons nicht gern, weil derselbe ihm zu vornehm
war und ein unerträglich hochmütiges Wesen ihm gegenüber zu haben schien.


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[0104] Bakchen und Thyrsosträger. Übel nehmen willst, wie eins von den Liedern, die man in Frankreich sois nennt. Es geht wie eine Säge hin und her und ist bestimmt die Leute zu ärgern. Ich finde nichts als Spöttelei in deinem Rat, denn du sagst immer abwechselnd, wie mir scheint: Heirate und heirate nicht. Das kommt daher, entgegnete der Offizier kaltblütig, weil du selbst lauter Dinge vorbringst, die sich einander widersprechen, während sie doch zugleich Wahrheiten enthalten. Wie kann ich da wissen, worauf ich meinen Rat be¬ gründen soll? Es scheint mir, du weißt selbst nicht, was du willst. Das ist aber die Hauptsache. Alles andere hängt vom Schicksal ab. Ich kenne manche Leute, die es so gut getroffen haben, daß ihre Ehe das reine Paradies darstellt, andre dagegen sind durch das Heiraten so elend geworden, wie die von einem bösen Geist umhergetriebenen. Man muß es ebeu wagen, wenn man überhaupt heiraten will. Man muß die Augen zudrücken, seine Seele Gott befehlen und sich kopflings hineinstürzen, denn eine Sicherheit giebt's da nicht. Nur eins könnte ich dir noch raten, was ich selbst in wichtigen und zweifelhaften Dingen oft thue: Zähle es dir an den Knöpfen ab; das ist ebenso sicher als wenn du die Geister durch ein Medium befragst, und verstößt nicht gegen die Artikel unsers Glaubens. — Aber sag mir doch inzwischen, mein lieber Meriadcc, wer ist der Lieutenant von der Infanterie dort? Seine Füße scheinen mir nicht von rein germanischem Schnitt zu sein. Kannst du dir denken, daß seine Vorfahren in den Bügeln standen? Alfons Stahlhardt, den die beiden Herren jetzt beobachteten, war ein hübscher junger Mann von sehr gewandten: Benehmen und militärischer Haltung, sodaß es des schürffteu Blicks aristokratischer Augen bedürfte, um gewisse feine Merk¬ male orientalischer Verwandtschaft an ihm wahrzunehmen, welche vielleicht weniger seiner körperlichen Bildung als der Art seiner Bewegungen anhafteten, die sich durch ihre Schmiegsamkeit auszeichneten. Er hatte sich in eine Unterhaltung mit der Sängerin Molini vertieft und genoß des Vorteils, sehr gut französisch zu sprechen und dadurch vielen Bewerbern um die Gunst der Schönen den Rang abzulaufen. Sie verstand kein Wort deutsch, sondern nur spanisch und französisch. Es war ihm daher gar nicht angenehm, als das Zeichen zum Anfang des Essens gegeben ward und der Prinz von Parvlignac sich näherte, um ihm die Dame zu entführen und vorgängiger Verabredung gemäß zu Tische zu geleiten, während er selbst sich mit einem geringeren Platze begnügen mußte und nur vou weitem an eine andre Tafel hinüber sehnsüchtige Blicke nach der Spanierin werfen konnte, die ihm so sehr gefiel und deren entgegenkommendes Wesen seiner Eitel¬ keit schmeichelte. Es war ihm doppelt unangenehm, daß sie zwischen dem Prinzen und dem Freiherr» von Lovcndal saß, welcher als Kassirer des Klubs diesen Ehrenplatz für sich in Anspruch genommen hatte. Den Prinzen hatte Alfons nicht gern, weil derselbe ihm zu vornehm war und ein unerträglich hochmütiges Wesen ihm gegenüber zu haben schien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/104>, abgerufen am 03.07.2024.