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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die 'Klaviermusik seit Robert Schumann.

Als die vorzüglichsten Hefte von Kirchner muß man die "Allminblätter"
aus seiner frühern Periode bezeichnen, ans der spätern die "Nachtbilder." In
zweien seiner cyklischen Werke hat er das geistige Verlvandtschaftsverhältnis zu
Schumann auf dem Titel selbst angedentet. Es sind dies "Florestan und Eusebius"
(ol). 54) und die "Neuen Davidsbündlertänze." Die Anregung, welche Kirchner
hiermit gegeben hat, scheint übrigens nicht unbeachtet geblieben zu sein. Ans
unserm kritischen Gange durch die neueste Klavierliteratur siud uus noch mehrere
junge Leute begegnet, welche sich für Erben und Nachkommen Schumanns halten.
Wir erinnern uns "Symphonischer Etüden" von W. N. und von einem andern
"Neue Kreisleriana" gesehen zu haben.

Von bekannteren Tonsetzern ans Schnmannscher Zeit ist noch Robert
Volkmann unter denen zu nennen, welche als Klavierkomponisten das Genre
der Miniaturen vorzugsweise gepflegt haben. Er ist auf diesem Gebiete weniger
bedeutend als in der Orchesterkompvsition und in den großen Formen der Klavier-
mnsik (Konzertstück). Einzelne seiner kleinen Klavierwerke, wie die "Lieder der
Großmutter," kann man sich nnr ans einer Anwandlung gutmütiger Herab¬
lassung erklären, so linkisch erscheinen sie und so voll fremder Reminiscenzen.
Wo die Anlage etwas breiter ist, wird auch die Musik bedeutender. So findet
sich in den Improvisationen über Dichtungen des ungarischen Poeten Bajzn
ein vorzügliches Stück "An Nelli," das zwischen Träumerei und stürmischem
Sehnen abwechselt. Die sechs Phautasiestücke enthalten einen "Hexentanz" und
eine "Walpurgisnacht," die durch die heftige, wilde Lustigkeit und deren Aus-
druck an Wagners später geschriebene "Walküreumusik" erinnern. In der ener¬
gischen Zeichnung tiefsten Schmerzes begegnet er sich auch in der "Phantasie
am Grabe des Grafen Szechenyi" wieder mit dem Komponisten der "Götter¬
dämmerung." In den "Wanderskizzen" (op. 41) ist der "Kirchhof" als ein
wohlgelungenes ergreifendes Bild schaurig düstrer Färbung zu nennen, ans
den "Vier Märschen" (or,. 22) der "HvclMndermarsch" als ein keckes, durch und
durch männlich gehaltenes Stück. Seine berühmteste und vielgenannteste Kom¬
position ans der Gattung des Genres ist Vlsogr-z-ä (op. 21), eine Sammlung
von 12 Stücken, die zum Teil Stoffe der ungarischen Sage und Geschichte be¬
handeln. Die bedeutendsten darunter sind der "Schwur" und das "Vrautlied."
Der Komponist, wie Kirchner und Schumann, ein Sachse von Geburt und ein
Studiengenosse des letztgenannten Meisters, hat in Ungarn seine zweite Heimat
gefunden und der Liebe zu derselben musikalisch im kleinen und großen viel¬
fachen Ausdruck gegeben. Es ist in dieser Beziehung unter den Klavierkompo¬
sitionen Volkmnnns besonders seine "Phantasie über ungarische Lieder" (c>p. 20)
anzuführen, in welcher ein interessanter Fünfvierteltakt vorkommt. Als Deutscher
bekennt er sich in einem liebenswürdigen Hefte "Deutsche Weisen" (op. 13),
das in seiner fünften Nummer einen harmonisch ungewöhnlich interessanten
Schnellwalzer enthält. In seiner Klaviersonate (op. 12) ist das Andante von


Die 'Klaviermusik seit Robert Schumann.

Als die vorzüglichsten Hefte von Kirchner muß man die „Allminblätter"
aus seiner frühern Periode bezeichnen, ans der spätern die „Nachtbilder." In
zweien seiner cyklischen Werke hat er das geistige Verlvandtschaftsverhältnis zu
Schumann auf dem Titel selbst angedentet. Es sind dies „Florestan und Eusebius"
(ol). 54) und die „Neuen Davidsbündlertänze." Die Anregung, welche Kirchner
hiermit gegeben hat, scheint übrigens nicht unbeachtet geblieben zu sein. Ans
unserm kritischen Gange durch die neueste Klavierliteratur siud uus noch mehrere
junge Leute begegnet, welche sich für Erben und Nachkommen Schumanns halten.
Wir erinnern uns „Symphonischer Etüden" von W. N. und von einem andern
„Neue Kreisleriana" gesehen zu haben.

Von bekannteren Tonsetzern ans Schnmannscher Zeit ist noch Robert
Volkmann unter denen zu nennen, welche als Klavierkomponisten das Genre
der Miniaturen vorzugsweise gepflegt haben. Er ist auf diesem Gebiete weniger
bedeutend als in der Orchesterkompvsition und in den großen Formen der Klavier-
mnsik (Konzertstück). Einzelne seiner kleinen Klavierwerke, wie die „Lieder der
Großmutter," kann man sich nnr ans einer Anwandlung gutmütiger Herab¬
lassung erklären, so linkisch erscheinen sie und so voll fremder Reminiscenzen.
Wo die Anlage etwas breiter ist, wird auch die Musik bedeutender. So findet
sich in den Improvisationen über Dichtungen des ungarischen Poeten Bajzn
ein vorzügliches Stück „An Nelli," das zwischen Träumerei und stürmischem
Sehnen abwechselt. Die sechs Phautasiestücke enthalten einen „Hexentanz" und
eine „Walpurgisnacht," die durch die heftige, wilde Lustigkeit und deren Aus-
druck an Wagners später geschriebene „Walküreumusik" erinnern. In der ener¬
gischen Zeichnung tiefsten Schmerzes begegnet er sich auch in der „Phantasie
am Grabe des Grafen Szechenyi" wieder mit dem Komponisten der „Götter¬
dämmerung." In den „Wanderskizzen" (op. 41) ist der „Kirchhof" als ein
wohlgelungenes ergreifendes Bild schaurig düstrer Färbung zu nennen, ans
den „Vier Märschen" (or,. 22) der „HvclMndermarsch" als ein keckes, durch und
durch männlich gehaltenes Stück. Seine berühmteste und vielgenannteste Kom¬
position ans der Gattung des Genres ist Vlsogr-z-ä (op. 21), eine Sammlung
von 12 Stücken, die zum Teil Stoffe der ungarischen Sage und Geschichte be¬
handeln. Die bedeutendsten darunter sind der „Schwur" und das „Vrautlied."
Der Komponist, wie Kirchner und Schumann, ein Sachse von Geburt und ein
Studiengenosse des letztgenannten Meisters, hat in Ungarn seine zweite Heimat
gefunden und der Liebe zu derselben musikalisch im kleinen und großen viel¬
fachen Ausdruck gegeben. Es ist in dieser Beziehung unter den Klavierkompo¬
sitionen Volkmnnns besonders seine „Phantasie über ungarische Lieder" (c>p. 20)
anzuführen, in welcher ein interessanter Fünfvierteltakt vorkommt. Als Deutscher
bekennt er sich in einem liebenswürdigen Hefte „Deutsche Weisen" (op. 13),
das in seiner fünften Nummer einen harmonisch ungewöhnlich interessanten
Schnellwalzer enthält. In seiner Klaviersonate (op. 12) ist das Andante von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/92>, abgerufen am 22.07.2024.