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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Rlavierinusik seit Robert Schummm.

hervorragender Eigentümlichkeit: eine schwermütige Phantasie von tiefstem Vcinge"
beherrscht.

Zu dei, fruchtbarsten Klavierkomponistcn der Gegenwart gehören Joachim
^ass und Anton Rubinstein. Nennt man sie zusammen, so hat man dazu
ein Recht. Denn es ist beiden etwas wichtiges gemeinsam: das große Talent
und die große Sorglosigkeit, mit welcher sie dasselbe behandeln, namentlich Raff,
^"ii Chopin erzählt man, daß er oftmals seinen Freunden unnahbar gewesen
sich eingeschlossen, auf Tage das Zimmer nicht verlassen habe, mit großen
schritten aus- und abgegangen sei, verzweifelt an der Feder kauend, und daß
^ ni allen Nüancen mit seinem Talente gerungen habe wie Luther mit dem
enfel -- um einiger Takte willen, die in eine Mazurka fehlten, oder die ihm
>naht recht waren. Man braucht kein Eingeweihter zu sein, um von Raff zu
'ehnupten, daß er als Klavierkomponist von solchen Künstlerkämpfen verschont
Leblieben sei. Ein paar Klavierstücke zu schreiben, scheint er uuter die Geschäfte
gerechnet zu haben, die man jeden Tag zu einer bestimmten Stunde beginnt und
5U einer andern ebenso bestimmten beendet, und bei denen man einen Grad besser
^der schlechter ruhig dein Zufall überläßt. Die priesterliche Auffassung des
^'Mpvuistenamtes scheint Raff selbst in der Jugendzeit, wo sonst alle noch
^eilt gesinnt sind, fern gelegen zu haben. Später verschlingt zuweilen auf
ekaden von Opusnnmmern der Routinier der Kvmpositionstechnik fast voll-
Wiidig den Nest von Poeten, der in Raff noch lebte. Da trifft man kaum
'^h auf kleine Oasen im fliegenden Sande, und die dicken Hefte enthalten nichts
ins die reine Antomatemnnsik. Es giebt wenige Künstler, welche ihrer Kunst
^ nisi gegenüberstehen wie Raff, und man darf sich wirklich nicht wundern,
^un ihn viele schlechthin herzlos nennen. Das ist er aber nie gewesen. Gerade
^"e Klaviermusik enthält eine Menge traulich anmutiger Stücke, wie sie ein
"um ohne Gemüt nicht erfindet. Solche stehen in seinen "Frühlingsboten"
in einem Werke seiner frühern Zeit, ebenso wie noch in spätern
'Uavwrheften. Man sehe nur das Larghetto in ox. 135, das wie eine Sinn.
. )e Furtdichtuug von Schumanns "Warum" erscheint. Das kleine Original
Erweiterungen und selbständige Zwischensätze erhalten. Ähnlich herzlich und
^/zend ist in op. 149 die erste der beiden Elegien, eine im Volkston gehaltene
. ^chlung einer traurigen Geschichte. Mau muß es verstehen und kann es
stehen, wie Raff dazu kam, mit purem Nebel zu arbeite". Der Hauptgrund
l der, daß er in der Zeit des Jugeudfeuers, in den Tagen, die für die Ent-
^""g des künstlerischen Charakters den Ausschlag gaben, genötigt war, sich
der
^>n und mischte sich in seine Gedanken, so oft er die Feder eingetaucht hatte.
"Ah d' 'der^ '"^ ^ Salonkompvsition einzulassen. Sie entdeckte ihm im Laufe
. ^' Zeit manche ihrer nobelsten Pntzwerke, aber sie ließ auch nie wieder von
wei s ^ erwuchs der Klaviermusik in Raff trotz der guten Absichten,
l)e die Natur mit ihm gehabt hatte, nur ein zweideutiges Talent.


""Nzbvwu IV. 12
Die Rlavierinusik seit Robert Schummm.

hervorragender Eigentümlichkeit: eine schwermütige Phantasie von tiefstem Vcinge»
beherrscht.

Zu dei, fruchtbarsten Klavierkomponistcn der Gegenwart gehören Joachim
^ass und Anton Rubinstein. Nennt man sie zusammen, so hat man dazu
ein Recht. Denn es ist beiden etwas wichtiges gemeinsam: das große Talent
und die große Sorglosigkeit, mit welcher sie dasselbe behandeln, namentlich Raff,
^"ii Chopin erzählt man, daß er oftmals seinen Freunden unnahbar gewesen
sich eingeschlossen, auf Tage das Zimmer nicht verlassen habe, mit großen
schritten aus- und abgegangen sei, verzweifelt an der Feder kauend, und daß
^ ni allen Nüancen mit seinem Talente gerungen habe wie Luther mit dem
enfel — um einiger Takte willen, die in eine Mazurka fehlten, oder die ihm
>naht recht waren. Man braucht kein Eingeweihter zu sein, um von Raff zu
'ehnupten, daß er als Klavierkomponist von solchen Künstlerkämpfen verschont
Leblieben sei. Ein paar Klavierstücke zu schreiben, scheint er uuter die Geschäfte
gerechnet zu haben, die man jeden Tag zu einer bestimmten Stunde beginnt und
5U einer andern ebenso bestimmten beendet, und bei denen man einen Grad besser
^der schlechter ruhig dein Zufall überläßt. Die priesterliche Auffassung des
^'Mpvuistenamtes scheint Raff selbst in der Jugendzeit, wo sonst alle noch
^eilt gesinnt sind, fern gelegen zu haben. Später verschlingt zuweilen auf
ekaden von Opusnnmmern der Routinier der Kvmpositionstechnik fast voll-
Wiidig den Nest von Poeten, der in Raff noch lebte. Da trifft man kaum
'^h auf kleine Oasen im fliegenden Sande, und die dicken Hefte enthalten nichts
ins die reine Antomatemnnsik. Es giebt wenige Künstler, welche ihrer Kunst
^ nisi gegenüberstehen wie Raff, und man darf sich wirklich nicht wundern,
^un ihn viele schlechthin herzlos nennen. Das ist er aber nie gewesen. Gerade
^"e Klaviermusik enthält eine Menge traulich anmutiger Stücke, wie sie ein
"um ohne Gemüt nicht erfindet. Solche stehen in seinen „Frühlingsboten"
in einem Werke seiner frühern Zeit, ebenso wie noch in spätern
'Uavwrheften. Man sehe nur das Larghetto in ox. 135, das wie eine Sinn.
. )e Furtdichtuug von Schumanns „Warum" erscheint. Das kleine Original
Erweiterungen und selbständige Zwischensätze erhalten. Ähnlich herzlich und
^/zend ist in op. 149 die erste der beiden Elegien, eine im Volkston gehaltene
. ^chlung einer traurigen Geschichte. Mau muß es verstehen und kann es
stehen, wie Raff dazu kam, mit purem Nebel zu arbeite». Der Hauptgrund
l der, daß er in der Zeit des Jugeudfeuers, in den Tagen, die für die Ent-
^""g des künstlerischen Charakters den Ausschlag gaben, genötigt war, sich
der
^>n und mischte sich in seine Gedanken, so oft er die Feder eingetaucht hatte.
"Ah d' 'der^ '"^ ^ Salonkompvsition einzulassen. Sie entdeckte ihm im Laufe
. ^' Zeit manche ihrer nobelsten Pntzwerke, aber sie ließ auch nie wieder von
wei s ^ erwuchs der Klaviermusik in Raff trotz der guten Absichten,
l)e die Natur mit ihm gehabt hatte, nur ein zweideutiges Talent.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/93>, abgerufen am 22.07.2024.