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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Kchmnauit.

starkes Talent in Schumann einen der beredtesten Anwälte fand. Es sind von
ihm nicht viele Klavierkvmpositionen veröffentlicht wurden: außer einem Konzert
eine Polonaise, eine Sonate und eine Rhapsodie. In den Ecksätzen der Sonate
ist er spohrisch, wie immer, wenn er ein Allegro im Viervierteltakt zu schreiben
hatte, doch mit einer Nüance jugendlicher Unrnhe. Von größerer Originalität
ist die Romanze des Werkes, deren dramatisch erregter Mittelsalz, dein Adagio
seiner <ü-irioll-Symphonie verwandt, eine tragisch interessante Natur offenbart. Aber
alle Klavierspieler, die sich nach etwas Schönem, Echten, Aparten sehnen, seien
ans seine Rhapsodie (op. 13) aufmerksam gemacht. Sie ist ein Bild von tiefem
menschlichen Gehalt und künstlerisch genialer, einfacher Ausführung, eines jener
Nachtbilder, wie sie Schumann und Kirchner in der Mehrzahl geschaffen haben-
In schwarze, eilende Wolken tritt der Mond herein; aus des Lebens Stürmen
scheint der Geist des Künstlers in das Reich der Träume zu fliehen. Wer
mag wissen, welche Erinnerungen oder Hoffnungen der freundlichen Himmels-
gestalt zu Grunde liegen, welche die Ausbrüche der tobenden Leidenschaft immer
wieder verscheucht. Auf ihrer Zeichnung und Einführung beruht aber der Wert
und die zauberische Wirkung der eigenartigen Komposition.

In diese Kategorie gehört auch Wilhelm Taubert, der allbeliebte Sänger
der "Kinderlieder." Der ältere Teil seines Ruhmes datirt vom Klavier. Als
Spieler heute noch einer der ersten unter den Meistern des sinnigen Vortrags,
vertrat er in den dreißiger Jahren als einer der letzten die Kunst des freien
Phantasireus, welche heute aus den Konzertfälen ganz gewichen ist. Als Kom¬
ponist für Klaviersolo interessirt er uus namentlich durch seine Musik zum
"Aschenbrödel," welche man als einen der frühesten Versuche bezeichnen darf,
die deutschen Märchen auf dem Klavier zu erzählen. Taubert ist hierbei weit
entfernt von der ungeheuerlichen und grausamen Vollständigkeit der eingefleischter
Programmmnsiker. Er entnimmt dem Stoffe nur die Motive, welche unzweifel¬
haft unisikalisch darstellbar siud, z. B. wie Aschenbrödel weint, wie die Stief¬
schwestern zanken, wie Aschenbrödel (am Grabe der Mutter) trauert, wie ein
Vöglein ihr Trost znsingt. Wo Tänze und Aufzüge kommen, wo das Märchen
Pomp und Gepränge verlangt, ist Tauberts Musik uicht "berühmt," aber
ünßerst gewinnend in den intimeren Momenten. Solche bieten auch seine
lyrischen Stücke genug, z. B. die -- an Mendelssohn anklingenden -- "Früh¬
lingsboten" (op. 106), die "Mondnacht," das "Minnelied" oder der Cyklus
"Ans dem Lande" (on. 108), in welchem man, anch ohne dnrch den Titel unter¬
richtet zu sein, fröhliche Kinder beim Spiele trifft.

Von weiteren interessanten Klavierkomponisten aus Schumanns Zeit sind
noch zu nennen L. Normann, der schon nach zwei Heften an Heller und
Mendelssohn erinnernder Charakterstücke -- uuter denen ein "Sonntagsritt"
recht originell ist -- wieder vom Schanplcche abgetreten zu sein scheint. Ferner
C. Lührs, der ebenfalls anmutige "Märchen" geschrieben hat. Sein bestes


Die Klaviermusik seit Robert Kchmnauit.

starkes Talent in Schumann einen der beredtesten Anwälte fand. Es sind von
ihm nicht viele Klavierkvmpositionen veröffentlicht wurden: außer einem Konzert
eine Polonaise, eine Sonate und eine Rhapsodie. In den Ecksätzen der Sonate
ist er spohrisch, wie immer, wenn er ein Allegro im Viervierteltakt zu schreiben
hatte, doch mit einer Nüance jugendlicher Unrnhe. Von größerer Originalität
ist die Romanze des Werkes, deren dramatisch erregter Mittelsalz, dein Adagio
seiner <ü-irioll-Symphonie verwandt, eine tragisch interessante Natur offenbart. Aber
alle Klavierspieler, die sich nach etwas Schönem, Echten, Aparten sehnen, seien
ans seine Rhapsodie (op. 13) aufmerksam gemacht. Sie ist ein Bild von tiefem
menschlichen Gehalt und künstlerisch genialer, einfacher Ausführung, eines jener
Nachtbilder, wie sie Schumann und Kirchner in der Mehrzahl geschaffen haben-
In schwarze, eilende Wolken tritt der Mond herein; aus des Lebens Stürmen
scheint der Geist des Künstlers in das Reich der Träume zu fliehen. Wer
mag wissen, welche Erinnerungen oder Hoffnungen der freundlichen Himmels-
gestalt zu Grunde liegen, welche die Ausbrüche der tobenden Leidenschaft immer
wieder verscheucht. Auf ihrer Zeichnung und Einführung beruht aber der Wert
und die zauberische Wirkung der eigenartigen Komposition.

In diese Kategorie gehört auch Wilhelm Taubert, der allbeliebte Sänger
der „Kinderlieder." Der ältere Teil seines Ruhmes datirt vom Klavier. Als
Spieler heute noch einer der ersten unter den Meistern des sinnigen Vortrags,
vertrat er in den dreißiger Jahren als einer der letzten die Kunst des freien
Phantasireus, welche heute aus den Konzertfälen ganz gewichen ist. Als Kom¬
ponist für Klaviersolo interessirt er uus namentlich durch seine Musik zum
„Aschenbrödel," welche man als einen der frühesten Versuche bezeichnen darf,
die deutschen Märchen auf dem Klavier zu erzählen. Taubert ist hierbei weit
entfernt von der ungeheuerlichen und grausamen Vollständigkeit der eingefleischter
Programmmnsiker. Er entnimmt dem Stoffe nur die Motive, welche unzweifel¬
haft unisikalisch darstellbar siud, z. B. wie Aschenbrödel weint, wie die Stief¬
schwestern zanken, wie Aschenbrödel (am Grabe der Mutter) trauert, wie ein
Vöglein ihr Trost znsingt. Wo Tänze und Aufzüge kommen, wo das Märchen
Pomp und Gepränge verlangt, ist Tauberts Musik uicht „berühmt," aber
ünßerst gewinnend in den intimeren Momenten. Solche bieten auch seine
lyrischen Stücke genug, z. B. die — an Mendelssohn anklingenden — „Früh¬
lingsboten" (op. 106), die „Mondnacht," das „Minnelied" oder der Cyklus
„Ans dem Lande" (on. 108), in welchem man, anch ohne dnrch den Titel unter¬
richtet zu sein, fröhliche Kinder beim Spiele trifft.

Von weiteren interessanten Klavierkomponisten aus Schumanns Zeit sind
noch zu nennen L. Normann, der schon nach zwei Heften an Heller und
Mendelssohn erinnernder Charakterstücke — uuter denen ein „Sonntagsritt"
recht originell ist — wieder vom Schanplcche abgetreten zu sein scheint. Ferner
C. Lührs, der ebenfalls anmutige „Märchen" geschrieben hat. Sein bestes


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[0086] Die Klaviermusik seit Robert Kchmnauit. starkes Talent in Schumann einen der beredtesten Anwälte fand. Es sind von ihm nicht viele Klavierkvmpositionen veröffentlicht wurden: außer einem Konzert eine Polonaise, eine Sonate und eine Rhapsodie. In den Ecksätzen der Sonate ist er spohrisch, wie immer, wenn er ein Allegro im Viervierteltakt zu schreiben hatte, doch mit einer Nüance jugendlicher Unrnhe. Von größerer Originalität ist die Romanze des Werkes, deren dramatisch erregter Mittelsalz, dein Adagio seiner <ü-irioll-Symphonie verwandt, eine tragisch interessante Natur offenbart. Aber alle Klavierspieler, die sich nach etwas Schönem, Echten, Aparten sehnen, seien ans seine Rhapsodie (op. 13) aufmerksam gemacht. Sie ist ein Bild von tiefem menschlichen Gehalt und künstlerisch genialer, einfacher Ausführung, eines jener Nachtbilder, wie sie Schumann und Kirchner in der Mehrzahl geschaffen haben- In schwarze, eilende Wolken tritt der Mond herein; aus des Lebens Stürmen scheint der Geist des Künstlers in das Reich der Träume zu fliehen. Wer mag wissen, welche Erinnerungen oder Hoffnungen der freundlichen Himmels- gestalt zu Grunde liegen, welche die Ausbrüche der tobenden Leidenschaft immer wieder verscheucht. Auf ihrer Zeichnung und Einführung beruht aber der Wert und die zauberische Wirkung der eigenartigen Komposition. In diese Kategorie gehört auch Wilhelm Taubert, der allbeliebte Sänger der „Kinderlieder." Der ältere Teil seines Ruhmes datirt vom Klavier. Als Spieler heute noch einer der ersten unter den Meistern des sinnigen Vortrags, vertrat er in den dreißiger Jahren als einer der letzten die Kunst des freien Phantasireus, welche heute aus den Konzertfälen ganz gewichen ist. Als Kom¬ ponist für Klaviersolo interessirt er uus namentlich durch seine Musik zum „Aschenbrödel," welche man als einen der frühesten Versuche bezeichnen darf, die deutschen Märchen auf dem Klavier zu erzählen. Taubert ist hierbei weit entfernt von der ungeheuerlichen und grausamen Vollständigkeit der eingefleischter Programmmnsiker. Er entnimmt dem Stoffe nur die Motive, welche unzweifel¬ haft unisikalisch darstellbar siud, z. B. wie Aschenbrödel weint, wie die Stief¬ schwestern zanken, wie Aschenbrödel (am Grabe der Mutter) trauert, wie ein Vöglein ihr Trost znsingt. Wo Tänze und Aufzüge kommen, wo das Märchen Pomp und Gepränge verlangt, ist Tauberts Musik uicht „berühmt," aber ünßerst gewinnend in den intimeren Momenten. Solche bieten auch seine lyrischen Stücke genug, z. B. die — an Mendelssohn anklingenden — „Früh¬ lingsboten" (op. 106), die „Mondnacht," das „Minnelied" oder der Cyklus „Ans dem Lande" (on. 108), in welchem man, anch ohne dnrch den Titel unter¬ richtet zu sein, fröhliche Kinder beim Spiele trifft. Von weiteren interessanten Klavierkomponisten aus Schumanns Zeit sind noch zu nennen L. Normann, der schon nach zwei Heften an Heller und Mendelssohn erinnernder Charakterstücke — uuter denen ein „Sonntagsritt" recht originell ist — wieder vom Schanplcche abgetreten zu sein scheint. Ferner C. Lührs, der ebenfalls anmutige „Märchen" geschrieben hat. Sein bestes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/86>, abgerufen am 22.07.2024.