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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

steht in den Suiten, deren Musik dnrch ein freies, ungezwungenes, wenn mich
nicht eben bedeutendes Wesen anspricht. Weiter nach der Gegenwart zu be¬
gegnen wir noch C. D. von Bruyck (op. 1,9, Schatten- und Nebelbilder), der
seine treffenden Einfälle allerdings etwas zu viel wiederholt, Gustav Flügel,
der lange Zeit mit an der Spitze der bessern und beliebtesten Salonkompomsten
stand (Tagfalter und Nachtfalter, Mondscheinbilder), und Emil Büchner.^Für
die kleinen Klavierstücke des letztern haben wir eine große Sympathie. Seine
langdahinströmenden Melodien bezeugen ein angebornes Mnsiltalent von nicht
gewöhnlicher Stärke, und in den muntern Sachen (Leichter Sinn, Turnier), wo
" im allgemeinen nicht besonders wählerisch ist, schlägt er einen flotten Ton
an. der besonders alte Studenten an "Jnchheidi und Juchheida," an frohen
Vnrschengefang und manche frische Stunde vergangner Zeiten erinnern wird
Dagegen hat Ernst Pauer, der als Lehrer in England der deutschen Mustk
anerkennenswerte Pionierdicnste leistet, die Hoffnungen nicht erfüllt, welche man
i" den Kreisen der Schumannschen Zeitschrift eine Weile an sein Komposttwns-
talent knüpfte. Der anständige Musiker kämpft bei ihm mit dem Virtuosen des
Salons, die Motive entnimmt er nicht der eignen Seele, sondern der Bekannt¬
schaft mit Mendelssohn und Chopin. Freiere Regungen zeigt er nur im Bereich
der Einleitungen in reeitativischcn Wendungen, dann und wann auch in einem
Scherzo, derjenigen Form, in der ja die meisten relativ glücklich sind. Besten¬
falls legt er poetisch an; in der musikalischen Ausführung bleibt er äußerlich
und unselbständig. Unter denen, welche wenigstens wegen einiger aparten Wen¬
dungen bemerkt zu werden verdienen, nennen wir noch Carl Mächtig.

Halb lind halb gehören zu dieser Gruppe der Halbvcrgesseueu auch zwei
Komponisten, deren Klavierwcrke entschieden hervorragen: C P- Grädener und
^art Eschmann. Grädener ist eine Natur mit scharfen Ecken, aber von un¬
verkennbarer Gesundheit; geistreich, in der Haltung manchmal herausfordernd
und wie in ironischer Abwehr gegen verhaßtes Scheinwcsen begriffen. Ist acht
"lief, was er sagt und fingt, in gleichem Grade anmutend und blühend, so doch
meiste hübsch und natürlich, einfach erfunden und empfunden, und oft mit
'"nun volkstümlichen Anklang hervorgebracht, der an Schnmam. erinnert Am
Listen anregend wirkt er in. Hinblick ans die metrische und formelle Seite seiner
Wavierwerke.' In seinen "Fliegenden Blättern" z. B. (op. 5 und ox. 28) über¬
rascht uns eine Fülle von neuen Schemen großer und kleiner Art. ein Treiben
""d ein Leben an dem man sich überzeuge" kauu, daß in der Kunst der Frnh-
I"'g ebenso ständig wiederkehrt wie in der Natur. In seinen Tänzen macht er
'"'tunter gruseln wie er überhaupt voll der verschiedensten Hnmore steckt. Es
hob barocke darunter -- aber auch Becthovensche. Vorbeigehen sollte an ihm
Klavierspieler. Mit den: etwas knorrigen Talente Grädeners verglichen,
^scheint dasjenige Eschmanns von entschieden weichem Stamme. Seine Musik
hat die Reize des bescheidenen Veilchens. Im Konzertsaale würden seine Klavier-


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

steht in den Suiten, deren Musik dnrch ein freies, ungezwungenes, wenn mich
nicht eben bedeutendes Wesen anspricht. Weiter nach der Gegenwart zu be¬
gegnen wir noch C. D. von Bruyck (op. 1,9, Schatten- und Nebelbilder), der
seine treffenden Einfälle allerdings etwas zu viel wiederholt, Gustav Flügel,
der lange Zeit mit an der Spitze der bessern und beliebtesten Salonkompomsten
stand (Tagfalter und Nachtfalter, Mondscheinbilder), und Emil Büchner.^Für
die kleinen Klavierstücke des letztern haben wir eine große Sympathie. Seine
langdahinströmenden Melodien bezeugen ein angebornes Mnsiltalent von nicht
gewöhnlicher Stärke, und in den muntern Sachen (Leichter Sinn, Turnier), wo
" im allgemeinen nicht besonders wählerisch ist, schlägt er einen flotten Ton
an. der besonders alte Studenten an „Jnchheidi und Juchheida," an frohen
Vnrschengefang und manche frische Stunde vergangner Zeiten erinnern wird
Dagegen hat Ernst Pauer, der als Lehrer in England der deutschen Mustk
anerkennenswerte Pionierdicnste leistet, die Hoffnungen nicht erfüllt, welche man
i" den Kreisen der Schumannschen Zeitschrift eine Weile an sein Komposttwns-
talent knüpfte. Der anständige Musiker kämpft bei ihm mit dem Virtuosen des
Salons, die Motive entnimmt er nicht der eignen Seele, sondern der Bekannt¬
schaft mit Mendelssohn und Chopin. Freiere Regungen zeigt er nur im Bereich
der Einleitungen in reeitativischcn Wendungen, dann und wann auch in einem
Scherzo, derjenigen Form, in der ja die meisten relativ glücklich sind. Besten¬
falls legt er poetisch an; in der musikalischen Ausführung bleibt er äußerlich
und unselbständig. Unter denen, welche wenigstens wegen einiger aparten Wen¬
dungen bemerkt zu werden verdienen, nennen wir noch Carl Mächtig.

Halb lind halb gehören zu dieser Gruppe der Halbvcrgesseueu auch zwei
Komponisten, deren Klavierwcrke entschieden hervorragen: C P- Grädener und
^art Eschmann. Grädener ist eine Natur mit scharfen Ecken, aber von un¬
verkennbarer Gesundheit; geistreich, in der Haltung manchmal herausfordernd
und wie in ironischer Abwehr gegen verhaßtes Scheinwcsen begriffen. Ist acht
"lief, was er sagt und fingt, in gleichem Grade anmutend und blühend, so doch
meiste hübsch und natürlich, einfach erfunden und empfunden, und oft mit
'"nun volkstümlichen Anklang hervorgebracht, der an Schnmam. erinnert Am
Listen anregend wirkt er in. Hinblick ans die metrische und formelle Seite seiner
Wavierwerke.' In seinen „Fliegenden Blättern" z. B. (op. 5 und ox. 28) über¬
rascht uns eine Fülle von neuen Schemen großer und kleiner Art. ein Treiben
""d ein Leben an dem man sich überzeuge» kauu, daß in der Kunst der Frnh-
I"'g ebenso ständig wiederkehrt wie in der Natur. In seinen Tänzen macht er
'"'tunter gruseln wie er überhaupt voll der verschiedensten Hnmore steckt. Es
hob barocke darunter — aber auch Becthovensche. Vorbeigehen sollte an ihm
Klavierspieler. Mit den: etwas knorrigen Talente Grädeners verglichen,
^scheint dasjenige Eschmanns von entschieden weichem Stamme. Seine Musik
hat die Reize des bescheidenen Veilchens. Im Konzertsaale würden seine Klavier-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/87>, abgerufen am 22.07.2024.