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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Thomas Larlylo.

geritten; viele davon (wenigstens im Winter) unter nächtlichem Himmel. Die
Sonne ging gerade unter, wenn ich das Pferd bestieg. Den ganzen übrigen
Tag saß ich schweigend oben, und hielt an in der Arbeit nud an eiuer solchen
invitlLKirrm Minerva.-Arbeit! Gewöhnlich kam ich uach Hause zwischen fünf und
sechs, warf meine Gamaschen ab, und für einen Augenblick von den Nachtge¬
spenstern verschont, versuchte ich vor meinem einsamen, diätetischen und durchans
einfachen, kleinen Mittagsessen ein Stündchen zu schlafen; zuerst aber ging ich
anf eine halbe Stunde hinauf zu ihr in die Wohnstube, wo ein freundliches
Feuer (alles in traulichen Halbdunkel mit den Lichtern kaum angezündet), ein
Löffel voll Branntwein und Wusser und eine Pfeife Tabak mich erwarteten,
die ich uns dem Teppich sitzend, mit meinem Rücken an den Kaminpfeiler leh¬
nend, rauchen gelernt hatte, sodaß, wenn die Thür ein wenig offen gelassen wurde
und ich selbst sorgfältig war, aller Rauch den Schornstein hinaufzog. Dies war
der einzige helle Lichtblick am schwarzen Tage. O jene Abendhnlbstnnden, wie
schön und gesegnet waren sie! Nun warten sie meiner nicht mehr, wenn ich
nach Hanse komme! Meistens saß sie zurückgelehnt anf dem Sofa; anch sie
von dem Treiben und Leiden des Tages ermüdet genug! Ihre Erzählung aber,
selbst dessen, was schlecht war, war so voller Anmut und Wahrheit, so voller
ungesuchter Melodie eines natürlich-fröhlichen nud liebenden Herzens, daß ich
nie irgendwo ähnliches Vergnügen empfand. Ihr Mut, ihre Geduld, ihr schwei¬
gender Heroismus muß während dieser Zeit oft überaus groß gewesen sein.
Innerhalb der letzten zwei Jahre hat sie mir erzählt, wie ich bei solchen Ge¬
legenheiten von der Schlacht bei Mollwitz zu ihr zu sprechen pflegte, so lange
dieselbe anf dein Ambos war. Sie lag anf dein Sofa und fühlte sich schwach
-- doch hatte ich keine Ahnung, wie schwach --, dabei war sie aber geduldig,
freundlich, ruhig und gut wie immer. Nachdem ich, so viel ich mich erinnere,
meinen Weg mit größter Anstrengung und mit allen nnr möglichen Drehungen
und Wendungen durch das unentrinnbare Labyrinth und deu Sumpf der Ver¬
zweiflung hindnrchgefunden hatte, überwand ich, wie es scheint, zuletzt Mvllwitz,
sah alles klar vor mir und um mich, und begann nun in der armen Freude
meines Herzens ihr einen'Abend nach dein andern davon vorzuerzählen. Ich
erinnere mich, daß sie wenig antwortete, obgleich stets in frenndlicher Weife.
Sie war in ihrem Innern damals überzeugt, daß sie dem Tode nahe sei. Der
Winter dunkel, das Gewicht des Leidens und der gänzliche Verfall der Kräfte
so groß, und dabei einen Abend uach dem andern mein Thema: Mollwitz! Sie
hat mir dies innerhalb der letzten zwei Jahre gestanden. Wie konnte ich ohne
Gefühl der Scham und der Erniedrigung zuhören? .... Es füllt mich in
diesem Augenblicke mit Rene und Demütigung, und doch zugleich mit einer Art
sanfter, frommer Seligkeit. Sie las die ersten beiden Bände von Friedrich
(meistens die Druckbogen), während sie bei dem alten Frünlein Donnldson in
Haddiugton zum Besuch war; ihr Tadel traf jedesmal deu Nagel auf deu Kopf,


Thomas Larlylo.

geritten; viele davon (wenigstens im Winter) unter nächtlichem Himmel. Die
Sonne ging gerade unter, wenn ich das Pferd bestieg. Den ganzen übrigen
Tag saß ich schweigend oben, und hielt an in der Arbeit nud an eiuer solchen
invitlLKirrm Minerva.-Arbeit! Gewöhnlich kam ich uach Hause zwischen fünf und
sechs, warf meine Gamaschen ab, und für einen Augenblick von den Nachtge¬
spenstern verschont, versuchte ich vor meinem einsamen, diätetischen und durchans
einfachen, kleinen Mittagsessen ein Stündchen zu schlafen; zuerst aber ging ich
anf eine halbe Stunde hinauf zu ihr in die Wohnstube, wo ein freundliches
Feuer (alles in traulichen Halbdunkel mit den Lichtern kaum angezündet), ein
Löffel voll Branntwein und Wusser und eine Pfeife Tabak mich erwarteten,
die ich uns dem Teppich sitzend, mit meinem Rücken an den Kaminpfeiler leh¬
nend, rauchen gelernt hatte, sodaß, wenn die Thür ein wenig offen gelassen wurde
und ich selbst sorgfältig war, aller Rauch den Schornstein hinaufzog. Dies war
der einzige helle Lichtblick am schwarzen Tage. O jene Abendhnlbstnnden, wie
schön und gesegnet waren sie! Nun warten sie meiner nicht mehr, wenn ich
nach Hanse komme! Meistens saß sie zurückgelehnt anf dem Sofa; anch sie
von dem Treiben und Leiden des Tages ermüdet genug! Ihre Erzählung aber,
selbst dessen, was schlecht war, war so voller Anmut und Wahrheit, so voller
ungesuchter Melodie eines natürlich-fröhlichen nud liebenden Herzens, daß ich
nie irgendwo ähnliches Vergnügen empfand. Ihr Mut, ihre Geduld, ihr schwei¬
gender Heroismus muß während dieser Zeit oft überaus groß gewesen sein.
Innerhalb der letzten zwei Jahre hat sie mir erzählt, wie ich bei solchen Ge¬
legenheiten von der Schlacht bei Mollwitz zu ihr zu sprechen pflegte, so lange
dieselbe anf dein Ambos war. Sie lag anf dein Sofa und fühlte sich schwach
— doch hatte ich keine Ahnung, wie schwach —, dabei war sie aber geduldig,
freundlich, ruhig und gut wie immer. Nachdem ich, so viel ich mich erinnere,
meinen Weg mit größter Anstrengung und mit allen nnr möglichen Drehungen
und Wendungen durch das unentrinnbare Labyrinth und deu Sumpf der Ver¬
zweiflung hindnrchgefunden hatte, überwand ich, wie es scheint, zuletzt Mvllwitz,
sah alles klar vor mir und um mich, und begann nun in der armen Freude
meines Herzens ihr einen'Abend nach dein andern davon vorzuerzählen. Ich
erinnere mich, daß sie wenig antwortete, obgleich stets in frenndlicher Weife.
Sie war in ihrem Innern damals überzeugt, daß sie dem Tode nahe sei. Der
Winter dunkel, das Gewicht des Leidens und der gänzliche Verfall der Kräfte
so groß, und dabei einen Abend uach dem andern mein Thema: Mollwitz! Sie
hat mir dies innerhalb der letzten zwei Jahre gestanden. Wie konnte ich ohne
Gefühl der Scham und der Erniedrigung zuhören? .... Es füllt mich in
diesem Augenblicke mit Rene und Demütigung, und doch zugleich mit einer Art
sanfter, frommer Seligkeit. Sie las die ersten beiden Bände von Friedrich
(meistens die Druckbogen), während sie bei dem alten Frünlein Donnldson in
Haddiugton zum Besuch war; ihr Tadel traf jedesmal deu Nagel auf deu Kopf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/80>, abgerufen am 22.07.2024.