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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Lhomas "Larlyle.

Konsequenz seiner Darstellung Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. wurde
beinahe die sein, daß die jedesmalige Art und Weise, Macht zu äußern und an
deu Tag zu legen, nach göttlichen und menschlichen Gesetzen keinen Widerspruch
dulde und daß, wer unter Friedrich Wilhelm I. an Büchern und schönen
Künsten Wohlgefallen gefunden habe, ebenso ein Verächter Gottes gewesen sei,
als wer unter Friedrich II. Kritik an diesen Neigungen und Erholungen des
königlichen Weisen geübt habe. Indeß dürfen derartige Widersprüche die Teil¬
nahme an den großen Vorzügen und der eminenten Anschauungs- und Dnr-
stellungsfähigkeit, welche sich in dem Buche kundgiebt, nicht mindern. Aus der
Biographie Thomas Fischers sehen wir, wie schwer Carlyle die Arbeit an seinem
"Friedrich dem Großen" wurde und wie bald er zu der Erkenntnis gediehen scheint,
daß er sich eine Aufgabe gestellt habe, deren auch nur annähernde Lösung mit
seinen Hilfsmitteln und seiner besondern Art, geistig zu schaffen, kaum möglich sei.

Die nächsten dreizehn Jahre, heißt es, von 1852 bis 1865, waren viel¬
leicht die stillsten im Leben Carlyles. Es waren Jahre der mühsamsten, zu
Zeiten fast einer überwältigenden Arbeit, Zeiten fast mönchischer Zurückgezogen¬
heit und vielfach verbitterter Stimmung. "Friedrich der Große," das letzte
umfassende, historische Werk, dehnte sich unter seineu Händen zu eiuer vollstän¬
digen politischen Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts aus. Die Vorarbeiten
zu diesem erstaunlichen Denkmal des Fleißes und einer bis ius kleinste gehenden
Genauigkeit begannen im Jahre 1852 mit Carlyles Reise nach Deutschland zum
Zweck des Besuches von Schlachtfeldern und des Sammelus von Material.
Von dieser Reise wissen wir nicht viel mehr, als das wenige, was uns in den
"Erinnerungen" erzählt wird. "Es war im Jahre 1352, heißt es dort, als
ich Deutschland zum erstenmal sah; auf meiner ersten Forschungsreise mit Bezug
auf Friedrich; fünf Jahre nachher unternahm ich eine zweite. Diesmal wars,
um bei Herrn Preuß und Kompagnie Nachfrage zu halten, mich umzusehen, und
nach Büchern, Porträts u. s. w. zu suchen. Ich reiste von Seotsbrig, wo
meine liebe, alte Mutter in betrübender Schwäche lebte, nach Leith und über
Rotterdam uach Köln und Bonn, und ich habe niemals in meinem ganzen
Leben auch uur annähernd, äußerlich wenigstens, eine unangenehmere Reise ge¬
habt als diese. Nur die zweite übertrifft sie noch." Aus einer Notiz in Varn-
hageus Tagebüchern und einem Bericht Charles Bvners, eines auch sonst be¬
kannten Schriftstellers, über ein Gespräch mit Carlyle im Jahre 1862 ersehen
wir, daß die Grüude zu seiner Unzufriedenheit allerdings sehr äußerlicher Natur
waren und meistens in seiner physischen Empfindlichkeit ihren Grund hatten.
Er fand die Speisen für einen Christenmenschen ungenießbar, die Betten zu kurz,
die Gasthöfe uicht still genug. "Die Leute trampeln einem über den Kopf,"
sagte er, "und rennen einem die ganze Nacht an der Thür vorbei. Volle sieben
Wochen, die ich in Deutschland zubrachte, konnte ich uicht schlafen." Voller
Anerkennung sprach er sich indessen über einen Besuch bei Tieck aus, sowie über


Lhomas «Larlyle.

Konsequenz seiner Darstellung Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. wurde
beinahe die sein, daß die jedesmalige Art und Weise, Macht zu äußern und an
deu Tag zu legen, nach göttlichen und menschlichen Gesetzen keinen Widerspruch
dulde und daß, wer unter Friedrich Wilhelm I. an Büchern und schönen
Künsten Wohlgefallen gefunden habe, ebenso ein Verächter Gottes gewesen sei,
als wer unter Friedrich II. Kritik an diesen Neigungen und Erholungen des
königlichen Weisen geübt habe. Indeß dürfen derartige Widersprüche die Teil¬
nahme an den großen Vorzügen und der eminenten Anschauungs- und Dnr-
stellungsfähigkeit, welche sich in dem Buche kundgiebt, nicht mindern. Aus der
Biographie Thomas Fischers sehen wir, wie schwer Carlyle die Arbeit an seinem
„Friedrich dem Großen" wurde und wie bald er zu der Erkenntnis gediehen scheint,
daß er sich eine Aufgabe gestellt habe, deren auch nur annähernde Lösung mit
seinen Hilfsmitteln und seiner besondern Art, geistig zu schaffen, kaum möglich sei.

Die nächsten dreizehn Jahre, heißt es, von 1852 bis 1865, waren viel¬
leicht die stillsten im Leben Carlyles. Es waren Jahre der mühsamsten, zu
Zeiten fast einer überwältigenden Arbeit, Zeiten fast mönchischer Zurückgezogen¬
heit und vielfach verbitterter Stimmung. „Friedrich der Große," das letzte
umfassende, historische Werk, dehnte sich unter seineu Händen zu eiuer vollstän¬
digen politischen Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts aus. Die Vorarbeiten
zu diesem erstaunlichen Denkmal des Fleißes und einer bis ius kleinste gehenden
Genauigkeit begannen im Jahre 1852 mit Carlyles Reise nach Deutschland zum
Zweck des Besuches von Schlachtfeldern und des Sammelus von Material.
Von dieser Reise wissen wir nicht viel mehr, als das wenige, was uns in den
„Erinnerungen" erzählt wird. „Es war im Jahre 1352, heißt es dort, als
ich Deutschland zum erstenmal sah; auf meiner ersten Forschungsreise mit Bezug
auf Friedrich; fünf Jahre nachher unternahm ich eine zweite. Diesmal wars,
um bei Herrn Preuß und Kompagnie Nachfrage zu halten, mich umzusehen, und
nach Büchern, Porträts u. s. w. zu suchen. Ich reiste von Seotsbrig, wo
meine liebe, alte Mutter in betrübender Schwäche lebte, nach Leith und über
Rotterdam uach Köln und Bonn, und ich habe niemals in meinem ganzen
Leben auch uur annähernd, äußerlich wenigstens, eine unangenehmere Reise ge¬
habt als diese. Nur die zweite übertrifft sie noch." Aus einer Notiz in Varn-
hageus Tagebüchern und einem Bericht Charles Bvners, eines auch sonst be¬
kannten Schriftstellers, über ein Gespräch mit Carlyle im Jahre 1862 ersehen
wir, daß die Grüude zu seiner Unzufriedenheit allerdings sehr äußerlicher Natur
waren und meistens in seiner physischen Empfindlichkeit ihren Grund hatten.
Er fand die Speisen für einen Christenmenschen ungenießbar, die Betten zu kurz,
die Gasthöfe uicht still genug. „Die Leute trampeln einem über den Kopf,"
sagte er, „und rennen einem die ganze Nacht an der Thür vorbei. Volle sieben
Wochen, die ich in Deutschland zubrachte, konnte ich uicht schlafen." Voller
Anerkennung sprach er sich indessen über einen Besuch bei Tieck aus, sowie über


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[0078] Lhomas «Larlyle. Konsequenz seiner Darstellung Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. wurde beinahe die sein, daß die jedesmalige Art und Weise, Macht zu äußern und an deu Tag zu legen, nach göttlichen und menschlichen Gesetzen keinen Widerspruch dulde und daß, wer unter Friedrich Wilhelm I. an Büchern und schönen Künsten Wohlgefallen gefunden habe, ebenso ein Verächter Gottes gewesen sei, als wer unter Friedrich II. Kritik an diesen Neigungen und Erholungen des königlichen Weisen geübt habe. Indeß dürfen derartige Widersprüche die Teil¬ nahme an den großen Vorzügen und der eminenten Anschauungs- und Dnr- stellungsfähigkeit, welche sich in dem Buche kundgiebt, nicht mindern. Aus der Biographie Thomas Fischers sehen wir, wie schwer Carlyle die Arbeit an seinem „Friedrich dem Großen" wurde und wie bald er zu der Erkenntnis gediehen scheint, daß er sich eine Aufgabe gestellt habe, deren auch nur annähernde Lösung mit seinen Hilfsmitteln und seiner besondern Art, geistig zu schaffen, kaum möglich sei. Die nächsten dreizehn Jahre, heißt es, von 1852 bis 1865, waren viel¬ leicht die stillsten im Leben Carlyles. Es waren Jahre der mühsamsten, zu Zeiten fast einer überwältigenden Arbeit, Zeiten fast mönchischer Zurückgezogen¬ heit und vielfach verbitterter Stimmung. „Friedrich der Große," das letzte umfassende, historische Werk, dehnte sich unter seineu Händen zu eiuer vollstän¬ digen politischen Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts aus. Die Vorarbeiten zu diesem erstaunlichen Denkmal des Fleißes und einer bis ius kleinste gehenden Genauigkeit begannen im Jahre 1852 mit Carlyles Reise nach Deutschland zum Zweck des Besuches von Schlachtfeldern und des Sammelus von Material. Von dieser Reise wissen wir nicht viel mehr, als das wenige, was uns in den „Erinnerungen" erzählt wird. „Es war im Jahre 1352, heißt es dort, als ich Deutschland zum erstenmal sah; auf meiner ersten Forschungsreise mit Bezug auf Friedrich; fünf Jahre nachher unternahm ich eine zweite. Diesmal wars, um bei Herrn Preuß und Kompagnie Nachfrage zu halten, mich umzusehen, und nach Büchern, Porträts u. s. w. zu suchen. Ich reiste von Seotsbrig, wo meine liebe, alte Mutter in betrübender Schwäche lebte, nach Leith und über Rotterdam uach Köln und Bonn, und ich habe niemals in meinem ganzen Leben auch uur annähernd, äußerlich wenigstens, eine unangenehmere Reise ge¬ habt als diese. Nur die zweite übertrifft sie noch." Aus einer Notiz in Varn- hageus Tagebüchern und einem Bericht Charles Bvners, eines auch sonst be¬ kannten Schriftstellers, über ein Gespräch mit Carlyle im Jahre 1862 ersehen wir, daß die Grüude zu seiner Unzufriedenheit allerdings sehr äußerlicher Natur waren und meistens in seiner physischen Empfindlichkeit ihren Grund hatten. Er fand die Speisen für einen Christenmenschen ungenießbar, die Betten zu kurz, die Gasthöfe uicht still genug. „Die Leute trampeln einem über den Kopf," sagte er, „und rennen einem die ganze Nacht an der Thür vorbei. Volle sieben Wochen, die ich in Deutschland zubrachte, konnte ich uicht schlafen." Voller Anerkennung sprach er sich indessen über einen Besuch bei Tieck aus, sowie über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/78>, abgerufen am 22.07.2024.