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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Thcnnas Larlyle.

rechtigkcit, von menschlichem Mitleid, von Edelsinn durchdrungen sei oder nicht.
Carlyle schalt Napoleon I. einen Helden für die Viergroschengnlerie und wandte
sich mit Ekel von jeder Verherrlichung des Imperators ab. Und doch stießen ihn
an dem französischen Kaiser jedenfalls nur die Lüge und Doppelzüngigkeit, das
Phrasentum und die komödiantische Haltung ub; die brutale Niedcrtretung jedes
menschlichen Rechtes, die grausame Härte gegen besiegte Gegner, die despotischen
Launen hätte er ihm leicht verziehen. Wir aber vermögen für den Vertreter
einer gesunderen Anschauung der Dinge, einer ernsten Wirklichkeit und echt
konservativer Gesinnungen kein größeres Mißgeschick zu denken, als wenn er Ge¬
rechtigkeit und Menschlichkeit auf der Seite seiner Gegner läßt und wenn ihn
die Antipathie gegen Schreier- und Schwätzertnm zur Sympathie mit stupiden
Autoritätsglauben und grausanier Willkür führt.

Freilich hat derjenige Carlyle schlecht begriffen, der mit diesen Abirrungen
den Kern seines Wesens erfaßt zu haben meint und ihn daraufhin verurteilt. Die
Eigentümlichkeit seiner Natur und seine ernste Lebensarbeit zwangen Carlyle,
anch im bremsenden Getriebe der Weltstadt als eine Art Einsiedler zu leben.
J'i dieser Zurückgezogenheit erkannte er mit Hilfe unablässiger Lektüre klar und
scharf genng alles, was ihm feindselig entgegenstand. Die ungeheure Majorität
der Zeitgenossen, mit der er in Widerspruch war, schützte er nach Verdienst und
Würdigkeit, kein Maugel und keine Lüge derselben entging ihm. Seine Bundes-
und Gesinnungsgenossen konstruirte er sich allzusehr nach der eignen edlen Em¬
pfindung und dem eignen Bewußtsein. Wie er dachte, handelte und krümmte,
wäre die Negersklavcrei noch ans Jahrhunderte hinaus eine wohlthätige In¬
stitution gewesen, hätten die Länder am Balkan iir weniger als einem Menschen-
alter in friedlich glückselige verwandelt werden können, in ein andres Schottland
unter milderem Himmel und mit fruchtbareren Boden. Wenn ihn solche Träume
überkamen, konnte er, der Wirklichkeit forderte, leidenschaftlich ungerecht gegen
die Wirklichkeit werden.

Doch es ist Zeit, daß wir uns zu dem Schriftsteller zurückwenden. Cnrlylcs
Erfolge hatten ihren Höhepunkt mit der Herausgabe der Briefe Cromwells und
^r an sie geknüpften Darstellung erreicht. Ein alter Lieblingsplan von ihm,
der zusauunenhing mit seinen Jugendstudien, seiner Vorliebe für deutsches Wesen
und deutsche Literatur, war die Abfassung einer Biographie Friedrichs des
Großen. Wenn wir bedenken, daß wir in Deutschland selbst nach hundertjähriger
unablässiger Arbeit und endlosen Publikationen, nach Forschungen aller Art
und vorzüglichen Einzelwerken zur Geschichte Friedrichs doch keine klassische Bio¬
graph^ des größten deutschen Königs besitzen, so darf es uns nicht Wunder
nehmen, daß Carlyle dreizehn Jahre seines Lebens ein eine Arbeit setzen mußte,
welcher er schließlich wohl Gehalt und großes Interesse, aber nach keiner Seite
hin Vollkommenheit zu geben vermochte. Wir haben schou früher angedeutet,
Ulwiefern ihn der Heroenkultus hier mit sich selbst in Widerspruch setzte. Die


Grniztwten IV. 1382. U)
Thcnnas Larlyle.

rechtigkcit, von menschlichem Mitleid, von Edelsinn durchdrungen sei oder nicht.
Carlyle schalt Napoleon I. einen Helden für die Viergroschengnlerie und wandte
sich mit Ekel von jeder Verherrlichung des Imperators ab. Und doch stießen ihn
an dem französischen Kaiser jedenfalls nur die Lüge und Doppelzüngigkeit, das
Phrasentum und die komödiantische Haltung ub; die brutale Niedcrtretung jedes
menschlichen Rechtes, die grausame Härte gegen besiegte Gegner, die despotischen
Launen hätte er ihm leicht verziehen. Wir aber vermögen für den Vertreter
einer gesunderen Anschauung der Dinge, einer ernsten Wirklichkeit und echt
konservativer Gesinnungen kein größeres Mißgeschick zu denken, als wenn er Ge¬
rechtigkeit und Menschlichkeit auf der Seite seiner Gegner läßt und wenn ihn
die Antipathie gegen Schreier- und Schwätzertnm zur Sympathie mit stupiden
Autoritätsglauben und grausanier Willkür führt.

Freilich hat derjenige Carlyle schlecht begriffen, der mit diesen Abirrungen
den Kern seines Wesens erfaßt zu haben meint und ihn daraufhin verurteilt. Die
Eigentümlichkeit seiner Natur und seine ernste Lebensarbeit zwangen Carlyle,
anch im bremsenden Getriebe der Weltstadt als eine Art Einsiedler zu leben.
J'i dieser Zurückgezogenheit erkannte er mit Hilfe unablässiger Lektüre klar und
scharf genng alles, was ihm feindselig entgegenstand. Die ungeheure Majorität
der Zeitgenossen, mit der er in Widerspruch war, schützte er nach Verdienst und
Würdigkeit, kein Maugel und keine Lüge derselben entging ihm. Seine Bundes-
und Gesinnungsgenossen konstruirte er sich allzusehr nach der eignen edlen Em¬
pfindung und dem eignen Bewußtsein. Wie er dachte, handelte und krümmte,
wäre die Negersklavcrei noch ans Jahrhunderte hinaus eine wohlthätige In¬
stitution gewesen, hätten die Länder am Balkan iir weniger als einem Menschen-
alter in friedlich glückselige verwandelt werden können, in ein andres Schottland
unter milderem Himmel und mit fruchtbareren Boden. Wenn ihn solche Träume
überkamen, konnte er, der Wirklichkeit forderte, leidenschaftlich ungerecht gegen
die Wirklichkeit werden.

Doch es ist Zeit, daß wir uns zu dem Schriftsteller zurückwenden. Cnrlylcs
Erfolge hatten ihren Höhepunkt mit der Herausgabe der Briefe Cromwells und
^r an sie geknüpften Darstellung erreicht. Ein alter Lieblingsplan von ihm,
der zusauunenhing mit seinen Jugendstudien, seiner Vorliebe für deutsches Wesen
und deutsche Literatur, war die Abfassung einer Biographie Friedrichs des
Großen. Wenn wir bedenken, daß wir in Deutschland selbst nach hundertjähriger
unablässiger Arbeit und endlosen Publikationen, nach Forschungen aller Art
und vorzüglichen Einzelwerken zur Geschichte Friedrichs doch keine klassische Bio¬
graph^ des größten deutschen Königs besitzen, so darf es uns nicht Wunder
nehmen, daß Carlyle dreizehn Jahre seines Lebens ein eine Arbeit setzen mußte,
welcher er schließlich wohl Gehalt und großes Interesse, aber nach keiner Seite
hin Vollkommenheit zu geben vermochte. Wir haben schou früher angedeutet,
Ulwiefern ihn der Heroenkultus hier mit sich selbst in Widerspruch setzte. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/77>, abgerufen am 01.07.2024.