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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Erziehung der deutschen Jugend zur Nahrhaftigkeit.

die Volksschule verlassen, ein Übergangsstadium geschaffen werden, damit sie bis
zum Eintritt i" das Heer das Erlernte nicht wieder vergessen. Thatsächlich
wird in Frankreich an einer derartigen Organisation gearbeitet, deren bedeutende
Kosten in Deutschland denn doch gerechten Anstoß bei der Volksvertretung wie
in der Bevölkerung selbst erregen dürften.

Es bleibt also nur die Möglichkeit übrig, den Knaben in der Schule körper¬
lich vorzubereiten auf die Strapatzen und Entbehrungen der Dienstjahre, und
wie wünschenswert das ist, wird jeder anerkennen und bezeugen, dessen Lebens-
aufgabe darin besteht, die körperlich ungewandte und ungeschlachte männliche
Jugend als Rekruten einzuexerzieren; dazu liegt auch eine beachtenswerte Mah¬
nung in der Selbstmordstatistik der Armee für 1881, welche einen erschreckend
hohen Prozentsatz solcher Leute nachweist, welche den schweren an sie gestellten
körperlichen Aufgaben unterlegen sind.

Bei allen Übungen der Schüler muß aber zunächst jede politische Tendenz
in Wegfall kommen, ebenso Paraden und öffentliche Aufzüge, welche geeignet
scheinen, das hohe ethische Moment, welches ihnen zu Grunde gelegt werden muß,
zu Eitelkeit und Narretei herabzudrücken. Ebenso sollen sich die körperlichen
Übungen der Knaben lediglich einer rationellen Ausbildung des schlanken, ge¬
schmeidigen Körpers befleißigen, einen frischen, fröhlichen Geist, willige Unter¬
ordnung in die Gesammtheit, freudigen Gehorsam fördern und durch ange¬
messene Lehren und Vorträge bereits den Knaben mit dem Bilde deutscher
Heereseiurichtuugen vertraut machen und in ihm den Geist der Pflichterfüllung,
der Vaterlandsliebe, der treuen Anhänglichkeit an Kaiser und Reich wecken und
stärken.

Eigentliche militärische Übungen empfehlen sich für die Knaben nicht. Ihre
Ausführung erfordert ein höheres Maß körperlicher Anstrengung und unbedingter
Hingebung, als von den jugendlichen Körpern und Charakteren verlangt werden
kann. Jedermann weiß, daß das sogenannte Detailcxerzieren, die körperlich
stramme Haltung, die Wendungen, Gewehrgriffe und der Parademarsch nicht
als Selbstzweck betrieben werden, sondern als Mittel zum Zweck dienen, um
durch regelmäßige stritte Gewöhnung die Masse der Soldaten, welche keineswegs
Heroen sind, auch im schärfsten Gewehrfeuer und uuter den mancherlei andern
Gefahren, Strapatzen und Entbehrungen eines Feldzuges gehorsam und willig
zu erhalten. Sie bilden die Hauptstützen der Disziplin, ohne welche eine Armee
undenkbar ist; und wie dieser unbedingte Gehorsam auch in den scheinbar un¬
bedeutendsten Kleinigkeiten, in der Drehung des Kopfes auf Kommando u. s. w-,
nicht ohne Hilfe des Strafgesetzbuches erlangt werden kann, so würde es grausam
erscheinen, für Knaben bereits wirksame Disziplinarstrafen einzuführen, während
ohne dieselben der Jnstruktor kein Mittel hat. die Unart zu zügeln und Ge¬
horsam zu erlangen. Dann werden aber ^militärischen Übungen zur Spielerei,
und wie, man verzeihe den Vergleich, die Kinder, welche vor Bestich der Schule


Die Erziehung der deutschen Jugend zur Nahrhaftigkeit.

die Volksschule verlassen, ein Übergangsstadium geschaffen werden, damit sie bis
zum Eintritt i» das Heer das Erlernte nicht wieder vergessen. Thatsächlich
wird in Frankreich an einer derartigen Organisation gearbeitet, deren bedeutende
Kosten in Deutschland denn doch gerechten Anstoß bei der Volksvertretung wie
in der Bevölkerung selbst erregen dürften.

Es bleibt also nur die Möglichkeit übrig, den Knaben in der Schule körper¬
lich vorzubereiten auf die Strapatzen und Entbehrungen der Dienstjahre, und
wie wünschenswert das ist, wird jeder anerkennen und bezeugen, dessen Lebens-
aufgabe darin besteht, die körperlich ungewandte und ungeschlachte männliche
Jugend als Rekruten einzuexerzieren; dazu liegt auch eine beachtenswerte Mah¬
nung in der Selbstmordstatistik der Armee für 1881, welche einen erschreckend
hohen Prozentsatz solcher Leute nachweist, welche den schweren an sie gestellten
körperlichen Aufgaben unterlegen sind.

Bei allen Übungen der Schüler muß aber zunächst jede politische Tendenz
in Wegfall kommen, ebenso Paraden und öffentliche Aufzüge, welche geeignet
scheinen, das hohe ethische Moment, welches ihnen zu Grunde gelegt werden muß,
zu Eitelkeit und Narretei herabzudrücken. Ebenso sollen sich die körperlichen
Übungen der Knaben lediglich einer rationellen Ausbildung des schlanken, ge¬
schmeidigen Körpers befleißigen, einen frischen, fröhlichen Geist, willige Unter¬
ordnung in die Gesammtheit, freudigen Gehorsam fördern und durch ange¬
messene Lehren und Vorträge bereits den Knaben mit dem Bilde deutscher
Heereseiurichtuugen vertraut machen und in ihm den Geist der Pflichterfüllung,
der Vaterlandsliebe, der treuen Anhänglichkeit an Kaiser und Reich wecken und
stärken.

Eigentliche militärische Übungen empfehlen sich für die Knaben nicht. Ihre
Ausführung erfordert ein höheres Maß körperlicher Anstrengung und unbedingter
Hingebung, als von den jugendlichen Körpern und Charakteren verlangt werden
kann. Jedermann weiß, daß das sogenannte Detailcxerzieren, die körperlich
stramme Haltung, die Wendungen, Gewehrgriffe und der Parademarsch nicht
als Selbstzweck betrieben werden, sondern als Mittel zum Zweck dienen, um
durch regelmäßige stritte Gewöhnung die Masse der Soldaten, welche keineswegs
Heroen sind, auch im schärfsten Gewehrfeuer und uuter den mancherlei andern
Gefahren, Strapatzen und Entbehrungen eines Feldzuges gehorsam und willig
zu erhalten. Sie bilden die Hauptstützen der Disziplin, ohne welche eine Armee
undenkbar ist; und wie dieser unbedingte Gehorsam auch in den scheinbar un¬
bedeutendsten Kleinigkeiten, in der Drehung des Kopfes auf Kommando u. s. w-,
nicht ohne Hilfe des Strafgesetzbuches erlangt werden kann, so würde es grausam
erscheinen, für Knaben bereits wirksame Disziplinarstrafen einzuführen, während
ohne dieselben der Jnstruktor kein Mittel hat. die Unart zu zügeln und Ge¬
horsam zu erlangen. Dann werden aber ^militärischen Übungen zur Spielerei,
und wie, man verzeihe den Vergleich, die Kinder, welche vor Bestich der Schule


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[0072] Die Erziehung der deutschen Jugend zur Nahrhaftigkeit. die Volksschule verlassen, ein Übergangsstadium geschaffen werden, damit sie bis zum Eintritt i» das Heer das Erlernte nicht wieder vergessen. Thatsächlich wird in Frankreich an einer derartigen Organisation gearbeitet, deren bedeutende Kosten in Deutschland denn doch gerechten Anstoß bei der Volksvertretung wie in der Bevölkerung selbst erregen dürften. Es bleibt also nur die Möglichkeit übrig, den Knaben in der Schule körper¬ lich vorzubereiten auf die Strapatzen und Entbehrungen der Dienstjahre, und wie wünschenswert das ist, wird jeder anerkennen und bezeugen, dessen Lebens- aufgabe darin besteht, die körperlich ungewandte und ungeschlachte männliche Jugend als Rekruten einzuexerzieren; dazu liegt auch eine beachtenswerte Mah¬ nung in der Selbstmordstatistik der Armee für 1881, welche einen erschreckend hohen Prozentsatz solcher Leute nachweist, welche den schweren an sie gestellten körperlichen Aufgaben unterlegen sind. Bei allen Übungen der Schüler muß aber zunächst jede politische Tendenz in Wegfall kommen, ebenso Paraden und öffentliche Aufzüge, welche geeignet scheinen, das hohe ethische Moment, welches ihnen zu Grunde gelegt werden muß, zu Eitelkeit und Narretei herabzudrücken. Ebenso sollen sich die körperlichen Übungen der Knaben lediglich einer rationellen Ausbildung des schlanken, ge¬ schmeidigen Körpers befleißigen, einen frischen, fröhlichen Geist, willige Unter¬ ordnung in die Gesammtheit, freudigen Gehorsam fördern und durch ange¬ messene Lehren und Vorträge bereits den Knaben mit dem Bilde deutscher Heereseiurichtuugen vertraut machen und in ihm den Geist der Pflichterfüllung, der Vaterlandsliebe, der treuen Anhänglichkeit an Kaiser und Reich wecken und stärken. Eigentliche militärische Übungen empfehlen sich für die Knaben nicht. Ihre Ausführung erfordert ein höheres Maß körperlicher Anstrengung und unbedingter Hingebung, als von den jugendlichen Körpern und Charakteren verlangt werden kann. Jedermann weiß, daß das sogenannte Detailcxerzieren, die körperlich stramme Haltung, die Wendungen, Gewehrgriffe und der Parademarsch nicht als Selbstzweck betrieben werden, sondern als Mittel zum Zweck dienen, um durch regelmäßige stritte Gewöhnung die Masse der Soldaten, welche keineswegs Heroen sind, auch im schärfsten Gewehrfeuer und uuter den mancherlei andern Gefahren, Strapatzen und Entbehrungen eines Feldzuges gehorsam und willig zu erhalten. Sie bilden die Hauptstützen der Disziplin, ohne welche eine Armee undenkbar ist; und wie dieser unbedingte Gehorsam auch in den scheinbar un¬ bedeutendsten Kleinigkeiten, in der Drehung des Kopfes auf Kommando u. s. w-, nicht ohne Hilfe des Strafgesetzbuches erlangt werden kann, so würde es grausam erscheinen, für Knaben bereits wirksame Disziplinarstrafen einzuführen, während ohne dieselben der Jnstruktor kein Mittel hat. die Unart zu zügeln und Ge¬ horsam zu erlangen. Dann werden aber ^militärischen Übungen zur Spielerei, und wie, man verzeihe den Vergleich, die Kinder, welche vor Bestich der Schule

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/72>, abgerufen am 22.07.2024.