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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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gegen das Deutschtum im Kaiserstaate richten, welches doch einzig und allein
jahrhundertelang demselben den innern Zusammenhalt gegeben und namentlich
auch Ungarn ausschließlich der westeuropäischen Kultur erschlossen hat.

Mögen indeß chauvinistische Tendenzen im Westen nud Osten aus poli¬
tischen Gründen der militärischen Jugenderziehung das Wort reden, wir wollen
einmal lediglich vom praktischen Standpunkte aus die Frage beleuchte", ob und
wie weit es für deutsche Verhältnisse im Interesse der Wehrhaftigkeit der Nation
wünschenswert erscheint, die ersten Anfänge militärischer Erziehung schon in die
Schule zu verlegen.

Seit jenen eingangs erwähnten Vorschlägen Gueisenaus ist dieser Gegen¬
stand vielfach ventilirt und manches Wort pro et ooutr", gesprochen und ge¬
schrieben worden, sodnsz sich im Laufe der Zeit eine förmliche Literatur darüber
gebildet hat. Wenn wir die Einführung einer militärischen Jugenderziehung
w den Schulen zunächst im engsten Zusammenhange mit der allgemeinen Wehr¬
pflicht auffassen, so ist vor allem festzustellen, ob in dieser Hinsicht aus derselben
ein Vorteil vou Bedeutung erwächst. Die allgemeine Wehrpflicht besteht insofern
uur auf dem Papier, als selbst bei den strengen ärztlichen Vorschriften immer noch
etwa sechzig Prozent aller diensttauglichem jungen Männer nicht eingestellt werden.
Sollten diese sämmtlich zu Soldaten in dreijähriger Dienstzeit herangebildet
werden, so würde eine solche Maßregel die Präseuzzifser und damit die Kosten
^6 stehenden Heeres in solchem Grade erhöhen, daß sie schon aus diesem Grunde
überhaupt undurchführbar erscheint. Wohl hat man in neuester Zeit durch die
^buugspsticht der Ersatzreservisten die Zahl der ausgebildeten Soldaten zu er¬
höhen versucht, ohne jedoch damit die Ehre wie die Last des Vaterlandsver¬
teidigers ganz allgemein auf alle gesunden Schultern zu übertragen. Da liegt
nun der Gedanke allerdings nicht fern und ist auch von den verschiedensten Seiten
angeregt worden, einen Teil der militärischen Ausbildung in die frühere Jugend
des Knaben zu verlegen, hiermit die notwendige Dienstzeit zu verkürze:? und bei
gleicher Prüsenzziffer der Armee eine erhöhte Zahl von Männern zu Soldaten
auszubilden.

Dieser Vorschlag muß zunächst an der Unmöglichkeit scheitern, wirkliche
^vitalen in kürzerer als dreijähriger Frist auszubilden, denn wenn schon Jahu
1810 in seinem "Deutschen Volkstum" einen solchen Zeitraum für notwendig
halt und denselben in ein Jahr zum Dienstlernen, eins zum Dienstthun und
^us zum Dienstlehren einteilt, so ist bei den heutigen täglich gesteigerten An-
forderungen, welche die allerhöchste Anspannung von Körper und Geist verlangen,
nicht nu eine Herabsetzung zu denken. Ferner könnte die vorbereitende kriege¬
rische Ausbildung in der Schule sich lediglich auf die Masse des Heeres, die
Infanterie, beziehen, währeud die eigenartigen Dienstverhältnisse vou Kavallerie,
Artillerie und Ingenieuren nur in der Truppe selbst erlernt werden können.
Ebenso müßte für diejenige" Knaben, welche mit dem vierzehnten Lebensjahre


gegen das Deutschtum im Kaiserstaate richten, welches doch einzig und allein
jahrhundertelang demselben den innern Zusammenhalt gegeben und namentlich
auch Ungarn ausschließlich der westeuropäischen Kultur erschlossen hat.

Mögen indeß chauvinistische Tendenzen im Westen nud Osten aus poli¬
tischen Gründen der militärischen Jugenderziehung das Wort reden, wir wollen
einmal lediglich vom praktischen Standpunkte aus die Frage beleuchte«, ob und
wie weit es für deutsche Verhältnisse im Interesse der Wehrhaftigkeit der Nation
wünschenswert erscheint, die ersten Anfänge militärischer Erziehung schon in die
Schule zu verlegen.

Seit jenen eingangs erwähnten Vorschlägen Gueisenaus ist dieser Gegen¬
stand vielfach ventilirt und manches Wort pro et ooutr», gesprochen und ge¬
schrieben worden, sodnsz sich im Laufe der Zeit eine förmliche Literatur darüber
gebildet hat. Wenn wir die Einführung einer militärischen Jugenderziehung
w den Schulen zunächst im engsten Zusammenhange mit der allgemeinen Wehr¬
pflicht auffassen, so ist vor allem festzustellen, ob in dieser Hinsicht aus derselben
ein Vorteil vou Bedeutung erwächst. Die allgemeine Wehrpflicht besteht insofern
uur auf dem Papier, als selbst bei den strengen ärztlichen Vorschriften immer noch
etwa sechzig Prozent aller diensttauglichem jungen Männer nicht eingestellt werden.
Sollten diese sämmtlich zu Soldaten in dreijähriger Dienstzeit herangebildet
werden, so würde eine solche Maßregel die Präseuzzifser und damit die Kosten
^6 stehenden Heeres in solchem Grade erhöhen, daß sie schon aus diesem Grunde
überhaupt undurchführbar erscheint. Wohl hat man in neuester Zeit durch die
^buugspsticht der Ersatzreservisten die Zahl der ausgebildeten Soldaten zu er¬
höhen versucht, ohne jedoch damit die Ehre wie die Last des Vaterlandsver¬
teidigers ganz allgemein auf alle gesunden Schultern zu übertragen. Da liegt
nun der Gedanke allerdings nicht fern und ist auch von den verschiedensten Seiten
angeregt worden, einen Teil der militärischen Ausbildung in die frühere Jugend
des Knaben zu verlegen, hiermit die notwendige Dienstzeit zu verkürze:? und bei
gleicher Prüsenzziffer der Armee eine erhöhte Zahl von Männern zu Soldaten
auszubilden.

Dieser Vorschlag muß zunächst an der Unmöglichkeit scheitern, wirkliche
^vitalen in kürzerer als dreijähriger Frist auszubilden, denn wenn schon Jahu
1810 in seinem „Deutschen Volkstum" einen solchen Zeitraum für notwendig
halt und denselben in ein Jahr zum Dienstlernen, eins zum Dienstthun und
^us zum Dienstlehren einteilt, so ist bei den heutigen täglich gesteigerten An-
forderungen, welche die allerhöchste Anspannung von Körper und Geist verlangen,
nicht nu eine Herabsetzung zu denken. Ferner könnte die vorbereitende kriege¬
rische Ausbildung in der Schule sich lediglich auf die Masse des Heeres, die
Infanterie, beziehen, währeud die eigenartigen Dienstverhältnisse vou Kavallerie,
Artillerie und Ingenieuren nur in der Truppe selbst erlernt werden können.
Ebenso müßte für diejenige» Knaben, welche mit dem vierzehnten Lebensjahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/71>, abgerufen am 01.07.2024.