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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

weglmg in dere"l Falten das Kreuz wieder barg, das sie bis gestern nie von
sich gelassen. Aber sie horte mit einemmale, wie Gras Friedrichs Tochter an
die'Thür trat und mit zitternder Stimme, doch vernehmlich sagte: Hedwig, ich
muß hinweg! Ich kann und ich will den Mann nicht verlassen, der mich von
Herzen geliebt, da ich nichts war als eine arme Schiffbrüchige und seines Vaters
Pflegekind. Ich muß zu Tonio, ich will zu ihm. Ich weiß jetzt zu meinem
Trost, daß mein Vater lebt, daß Ihr lebt, ich werde jedes Tages Eurer denken
und für Euch beten! Zu bleiben vermag ich nicht, wenn ich Tonio einsam und
in seiner Armut lassen muß! Sage meinem Vater, er solle nur uicht zu schwer
zürnen! Sei glücklich, Hedwig, und Schutze Euch alle der Himmel!

Schluchzen erstickte die Stimme der Zitternden, die erschrockene Widerrede
und die lauten Hilferufe der Gespielin von einst vernahm fie nicht mehr. Dann
mit raschem Entschluß eilte sie zur Brüstung des Söllers, schwang sich hinauf
und sprang ohne Zögern in die aufspritzende Flut an der Stelle hinab, an
welcher sie vorhin mit kundigem Auge gesehen hatte, daß die Lagune hier
tief genug herantrete. Mit gewandtem Arm teilte sie die Flut, uicht einmal
blickte sie rückwärts, sondern schwamm hinüber, wo sie vorhin ein Fischerboot
von Mcilmnveev ans der stillen Fläche erkannt hatte. Sie konnten aus den
Fenstern der Herberge zum Delphin nicht wahrnehmen, ob sie es erreiche oder uicht.

Es war voller Abend geworden und ein kühler Hauch wehte wie gestern
vom Meere herüber. Bei der Hütte des Mareantoniv am Ostrnnde des Lido
saß der junge Fischer allein, uns denselben Steinen, auf denen er gestern und
manchen Abend zuvor mit seinem Weibe gesessen. Die heranschwelleude Woge
netzte ihm, wie gestern, die Füße, ohne daß er sie zurückzog. Das kräftig schöne
Gesicht des jungen Mannes sah heute bleicher als das Margheritas aus und
zeigte müde, schmerzdurchzuckte Züge. Vor einer Stunde erst waren sein Vater
und seiue Brüder von ihm gegangen, nachdem sie ihm lange, bange Stunden
ihren Ingrimm über die Fremde, die Hochmütige, die ihn treulos verlassen,
vorgetobt lind ihn um heikler Liebe willen zu ihr gehöhnt hatten. Touio hatte
ihnen nicht mehr erwiedern mögen, als er am Mittag Pater Girolamo ans seine
lange, trübe Kunde von dem, was heute am Morgen und was vor vielen Jahren
geschehen sei, entgegnet hatte. Hat Margherita ein Glück wiedergefunden, mich
den: ihre Seele wiederverlangt, und will sie mich lassen in ihrem Glück, wie
vermag ich sie zu halten? Glaube Ihr, daß der Doge den deutschen Grafen
zwingen wird, in den Händen, in der Hütte eines Fischers voll Malamoeev sein
Kind zu lassen? Oder glaubt Ihr, ich solle vor jenen Grafen von Thann treten,
mein Weib begehren und darnach ein Stück Geld nehmen, für sie, die ich liebe
wie mein Auge und mehr! Tausendmal lieber will ich denken, daß Gott mir
sie genommen!

Und nun saß Tonio allein und sann über Leid und Glück der vergangnen, über
Leid der künftigen Tage nach. Er fragte sich, wie Margherita seiner jetzt denken


Die Fischerin von Malamocco.

weglmg in dere»l Falten das Kreuz wieder barg, das sie bis gestern nie von
sich gelassen. Aber sie horte mit einemmale, wie Gras Friedrichs Tochter an
die'Thür trat und mit zitternder Stimme, doch vernehmlich sagte: Hedwig, ich
muß hinweg! Ich kann und ich will den Mann nicht verlassen, der mich von
Herzen geliebt, da ich nichts war als eine arme Schiffbrüchige und seines Vaters
Pflegekind. Ich muß zu Tonio, ich will zu ihm. Ich weiß jetzt zu meinem
Trost, daß mein Vater lebt, daß Ihr lebt, ich werde jedes Tages Eurer denken
und für Euch beten! Zu bleiben vermag ich nicht, wenn ich Tonio einsam und
in seiner Armut lassen muß! Sage meinem Vater, er solle nur uicht zu schwer
zürnen! Sei glücklich, Hedwig, und Schutze Euch alle der Himmel!

Schluchzen erstickte die Stimme der Zitternden, die erschrockene Widerrede
und die lauten Hilferufe der Gespielin von einst vernahm fie nicht mehr. Dann
mit raschem Entschluß eilte sie zur Brüstung des Söllers, schwang sich hinauf
und sprang ohne Zögern in die aufspritzende Flut an der Stelle hinab, an
welcher sie vorhin mit kundigem Auge gesehen hatte, daß die Lagune hier
tief genug herantrete. Mit gewandtem Arm teilte sie die Flut, uicht einmal
blickte sie rückwärts, sondern schwamm hinüber, wo sie vorhin ein Fischerboot
von Mcilmnveev ans der stillen Fläche erkannt hatte. Sie konnten aus den
Fenstern der Herberge zum Delphin nicht wahrnehmen, ob sie es erreiche oder uicht.

Es war voller Abend geworden und ein kühler Hauch wehte wie gestern
vom Meere herüber. Bei der Hütte des Mareantoniv am Ostrnnde des Lido
saß der junge Fischer allein, uns denselben Steinen, auf denen er gestern und
manchen Abend zuvor mit seinem Weibe gesessen. Die heranschwelleude Woge
netzte ihm, wie gestern, die Füße, ohne daß er sie zurückzog. Das kräftig schöne
Gesicht des jungen Mannes sah heute bleicher als das Margheritas aus und
zeigte müde, schmerzdurchzuckte Züge. Vor einer Stunde erst waren sein Vater
und seiue Brüder von ihm gegangen, nachdem sie ihm lange, bange Stunden
ihren Ingrimm über die Fremde, die Hochmütige, die ihn treulos verlassen,
vorgetobt lind ihn um heikler Liebe willen zu ihr gehöhnt hatten. Touio hatte
ihnen nicht mehr erwiedern mögen, als er am Mittag Pater Girolamo ans seine
lange, trübe Kunde von dem, was heute am Morgen und was vor vielen Jahren
geschehen sei, entgegnet hatte. Hat Margherita ein Glück wiedergefunden, mich
den: ihre Seele wiederverlangt, und will sie mich lassen in ihrem Glück, wie
vermag ich sie zu halten? Glaube Ihr, daß der Doge den deutschen Grafen
zwingen wird, in den Händen, in der Hütte eines Fischers voll Malamoeev sein
Kind zu lassen? Oder glaubt Ihr, ich solle vor jenen Grafen von Thann treten,
mein Weib begehren und darnach ein Stück Geld nehmen, für sie, die ich liebe
wie mein Auge und mehr! Tausendmal lieber will ich denken, daß Gott mir
sie genommen!

Und nun saß Tonio allein und sann über Leid und Glück der vergangnen, über
Leid der künftigen Tage nach. Er fragte sich, wie Margherita seiner jetzt denken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/684>, abgerufen am 29.06.2024.