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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Vie Lischorin von Malainocco.

Pater Girolnmo sah mit staunender Erschütterung auf das Wunder, das
sich hier begab. Denn obschon er selbst in diesen Minuten erriet, daß mich
Graf Friedrich von Thurm und seine Begleiter durch die weitverbreitete Kunde
von dem Büßer im Antoniuskloster nach Venedig gezogen worden seien, so schien
es dem frommen Alten ein hohes Wunder Gottes, daß eben gestern Margherita
den unwiderstehlichen Drang gefühlt, sich ihrem geistliche" Berater zu vertrauen,
daß das Gerücht von Pietro Vieentino bis in seine eigne weltferne Stille ge-
drungen war, und daß in derselben Stunde, wo er, an jeder Hoffnung verzngeud,
mit Margherita die Zelle des Büßers verließ, der ritterliche Mann, zu dessen
Füßen Margherita jetzt kniete, sein Verlornes und seit Jahren umsonst gesuchtes
Kind erblickt habe! Der wackre Priester würde am liebsten seine wogende
Empfindung in einem lauten Dankgebet ergossen haben, wenn sich nur Graf
Friedrich aus der Starrheit, die ihn überkommen, hätte regen und die bebende
Tochter in seine Arme schließen wollen! Der stattliche Deutsche aber stand schier
unbeweglich und schaute mit einem Blick, den sich Pater Girolnmo nicht zu
deuten wußte, auf Margherita herab, er hatte das Kreuz an s ihrer Hand ge¬
nommen und drückte es krampfhaft in der seinen, er rang umsonst nach einem Worte,
bis er endlich selbst zu zittern begann, und sich wie hilfesuchend zu seinem Begleiter
und dem Mädchen wandte, welche vorhin zuerst in Margherita die Jugendgespielin
und Leideusgeuvssiu erkannt hatte. In den Zügen des alten Försters Wvlfhnrt und
seiner Tochter Hedwig aber las der Graf so flehentliche Bitten und so schweres
Bangen vor einem harten Wort, daß ihn beides überwältigte und er mit einemmal
selbstvergessen die junge Frau um seine Vrnst zog und mit in Thränen erstickender
Stimme sagte: Gretel, lieb Gretel, willst endlich heimkommen? Da schlang sie
ihre Arme wortlos um seinen Hals, sie schmiegte die bleichen Wangen und die
Fülle ihres blonden Haares an seine Schulter, ihr wars, als schwüudeu die
Jahre in Nebel, da sie nicht zu dein kräftig schönen Antlitz aufgeschaut, dem
ihr eignes so auffallend glich. Und wie sie sich endlich von ihm löste und zum
erstenmale wieder aufzusehen wagte, sprach aus den feuchten blauen Augen
abermals eine Bitte um Vergebung, die Hoch inniger und dringender war als
die, welche sich vorhin ihrem Munde entrungen. Sie streckte ihre Hände dem
Förster von Heringen und seiner Tochter entgegen, ein Glanz seliger Ge¬
wißheit lag ans ihren Zügen, vor Pater Girolmnos Augen wuchs gleichsam
ihre Gestalt, in dieser Minute hatte sie vergessen, daß sie Margherita vom
Lido hieß -- ihr Heute schloß sich an ein Gestern vor acht Jahren und
sie war wieder Margarete von Thann, die Grafeutochter aus Haus Friede¬
wald !

Tausendmal habe ich dich im Traume geschalte, mein Vater! rief sie und
ihre trunkenen Blicke verrieten, wie sehr sie aller Umgebung entrückt sei. Ich
wußte, ich fühlte, daß du leben müssest, und hoffte in Rene und heißen Thränen
dich wiederzusehn. Dn aber, Wolfsart, und dn, Hedwig. ihr seid mir wahr-


Vie Lischorin von Malainocco.

Pater Girolnmo sah mit staunender Erschütterung auf das Wunder, das
sich hier begab. Denn obschon er selbst in diesen Minuten erriet, daß mich
Graf Friedrich von Thurm und seine Begleiter durch die weitverbreitete Kunde
von dem Büßer im Antoniuskloster nach Venedig gezogen worden seien, so schien
es dem frommen Alten ein hohes Wunder Gottes, daß eben gestern Margherita
den unwiderstehlichen Drang gefühlt, sich ihrem geistliche« Berater zu vertrauen,
daß das Gerücht von Pietro Vieentino bis in seine eigne weltferne Stille ge-
drungen war, und daß in derselben Stunde, wo er, an jeder Hoffnung verzngeud,
mit Margherita die Zelle des Büßers verließ, der ritterliche Mann, zu dessen
Füßen Margherita jetzt kniete, sein Verlornes und seit Jahren umsonst gesuchtes
Kind erblickt habe! Der wackre Priester würde am liebsten seine wogende
Empfindung in einem lauten Dankgebet ergossen haben, wenn sich nur Graf
Friedrich aus der Starrheit, die ihn überkommen, hätte regen und die bebende
Tochter in seine Arme schließen wollen! Der stattliche Deutsche aber stand schier
unbeweglich und schaute mit einem Blick, den sich Pater Girolnmo nicht zu
deuten wußte, auf Margherita herab, er hatte das Kreuz an s ihrer Hand ge¬
nommen und drückte es krampfhaft in der seinen, er rang umsonst nach einem Worte,
bis er endlich selbst zu zittern begann, und sich wie hilfesuchend zu seinem Begleiter
und dem Mädchen wandte, welche vorhin zuerst in Margherita die Jugendgespielin
und Leideusgeuvssiu erkannt hatte. In den Zügen des alten Försters Wvlfhnrt und
seiner Tochter Hedwig aber las der Graf so flehentliche Bitten und so schweres
Bangen vor einem harten Wort, daß ihn beides überwältigte und er mit einemmal
selbstvergessen die junge Frau um seine Vrnst zog und mit in Thränen erstickender
Stimme sagte: Gretel, lieb Gretel, willst endlich heimkommen? Da schlang sie
ihre Arme wortlos um seinen Hals, sie schmiegte die bleichen Wangen und die
Fülle ihres blonden Haares an seine Schulter, ihr wars, als schwüudeu die
Jahre in Nebel, da sie nicht zu dein kräftig schönen Antlitz aufgeschaut, dem
ihr eignes so auffallend glich. Und wie sie sich endlich von ihm löste und zum
erstenmale wieder aufzusehen wagte, sprach aus den feuchten blauen Augen
abermals eine Bitte um Vergebung, die Hoch inniger und dringender war als
die, welche sich vorhin ihrem Munde entrungen. Sie streckte ihre Hände dem
Förster von Heringen und seiner Tochter entgegen, ein Glanz seliger Ge¬
wißheit lag ans ihren Zügen, vor Pater Girolmnos Augen wuchs gleichsam
ihre Gestalt, in dieser Minute hatte sie vergessen, daß sie Margherita vom
Lido hieß — ihr Heute schloß sich an ein Gestern vor acht Jahren und
sie war wieder Margarete von Thann, die Grafeutochter aus Haus Friede¬
wald !

Tausendmal habe ich dich im Traume geschalte, mein Vater! rief sie und
ihre trunkenen Blicke verrieten, wie sehr sie aller Umgebung entrückt sei. Ich
wußte, ich fühlte, daß du leben müssest, und hoffte in Rene und heißen Thränen
dich wiederzusehn. Dn aber, Wolfsart, und dn, Hedwig. ihr seid mir wahr-


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[0678] Vie Lischorin von Malainocco. Pater Girolnmo sah mit staunender Erschütterung auf das Wunder, das sich hier begab. Denn obschon er selbst in diesen Minuten erriet, daß mich Graf Friedrich von Thurm und seine Begleiter durch die weitverbreitete Kunde von dem Büßer im Antoniuskloster nach Venedig gezogen worden seien, so schien es dem frommen Alten ein hohes Wunder Gottes, daß eben gestern Margherita den unwiderstehlichen Drang gefühlt, sich ihrem geistliche« Berater zu vertrauen, daß das Gerücht von Pietro Vieentino bis in seine eigne weltferne Stille ge- drungen war, und daß in derselben Stunde, wo er, an jeder Hoffnung verzngeud, mit Margherita die Zelle des Büßers verließ, der ritterliche Mann, zu dessen Füßen Margherita jetzt kniete, sein Verlornes und seit Jahren umsonst gesuchtes Kind erblickt habe! Der wackre Priester würde am liebsten seine wogende Empfindung in einem lauten Dankgebet ergossen haben, wenn sich nur Graf Friedrich aus der Starrheit, die ihn überkommen, hätte regen und die bebende Tochter in seine Arme schließen wollen! Der stattliche Deutsche aber stand schier unbeweglich und schaute mit einem Blick, den sich Pater Girolnmo nicht zu deuten wußte, auf Margherita herab, er hatte das Kreuz an s ihrer Hand ge¬ nommen und drückte es krampfhaft in der seinen, er rang umsonst nach einem Worte, bis er endlich selbst zu zittern begann, und sich wie hilfesuchend zu seinem Begleiter und dem Mädchen wandte, welche vorhin zuerst in Margherita die Jugendgespielin und Leideusgeuvssiu erkannt hatte. In den Zügen des alten Försters Wvlfhnrt und seiner Tochter Hedwig aber las der Graf so flehentliche Bitten und so schweres Bangen vor einem harten Wort, daß ihn beides überwältigte und er mit einemmal selbstvergessen die junge Frau um seine Vrnst zog und mit in Thränen erstickender Stimme sagte: Gretel, lieb Gretel, willst endlich heimkommen? Da schlang sie ihre Arme wortlos um seinen Hals, sie schmiegte die bleichen Wangen und die Fülle ihres blonden Haares an seine Schulter, ihr wars, als schwüudeu die Jahre in Nebel, da sie nicht zu dein kräftig schönen Antlitz aufgeschaut, dem ihr eignes so auffallend glich. Und wie sie sich endlich von ihm löste und zum erstenmale wieder aufzusehen wagte, sprach aus den feuchten blauen Augen abermals eine Bitte um Vergebung, die Hoch inniger und dringender war als die, welche sich vorhin ihrem Munde entrungen. Sie streckte ihre Hände dem Förster von Heringen und seiner Tochter entgegen, ein Glanz seliger Ge¬ wißheit lag ans ihren Zügen, vor Pater Girolmnos Augen wuchs gleichsam ihre Gestalt, in dieser Minute hatte sie vergessen, daß sie Margherita vom Lido hieß — ihr Heute schloß sich an ein Gestern vor acht Jahren und sie war wieder Margarete von Thann, die Grafeutochter aus Haus Friede¬ wald ! Tausendmal habe ich dich im Traume geschalte, mein Vater! rief sie und ihre trunkenen Blicke verrieten, wie sehr sie aller Umgebung entrückt sei. Ich wußte, ich fühlte, daß du leben müssest, und hoffte in Rene und heißen Thränen dich wiederzusehn. Dn aber, Wolfsart, und dn, Hedwig. ihr seid mir wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/678>, abgerufen am 29.06.2024.