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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von !Nalcimocco.

Ratlos und schwer enttäuscht blickte der greise Priester jetzt seine Schutz¬
befohlene an. Leise sagte er zu ihr: Du hast Recht, Margherita, laß uns heim¬
gehen. Mein Hoffen auf den Armen dort war nichtig. Er ist kein Seher, der
ins Verborgene schaut, und Gott hat ihn um seiner Buße willen nicht mehr
zu wissen gegönnt als andern. Die Last seines Frevels drückt ihn schwer nieder
und zwingt ihn, jede Stunde seines elenden Daseins von den Schicksalen der
vielen zu träumen, die er einst ins Verderben geführt! Er weiß gut genug,
was den meisten widerfahren ist, doch die Schicksale der einzelnen kennt er nicht;
helfe Gott denen, die auf sein Zuraten übers Meer fahren, nach den Ihren
zu suchen.

Margherita vermochte nichts zu erwiedern, auch Pater Girolamo ver¬
stummte plötzlich, denn der Minvritenbruder, der hier Wache hielt und den
Verkehr mit der Außenwelt vermittelte, trat eben wieder durch die Thür und
richtete schon von der Schwelle her einen fragenden Blick auf den greisen Pfarrer
und seine bleiche junge Begleiterin. Pater Girolamo machte dem Mönche ein
Zeichen, daß er in Gegenwart Margheritas nicht sprechen wolle, der Bruder
des Antoniusklosters sah wohl, daß dem Priester vom Lido seine Erwartungen
nicht erfüllt worden waren. Er schlug die Augen nieder und raunte dem Hin¬
weggehenden zu: Ein andres-, ein bessresmal, mein Bruder! Die Tage sind
ungleich, Pietro schaut oft morgen oder später, was er heute nicht zu sehen
vermag.

Pater Girolamo begnügte sich, mit einem stummen Gruß an dem Mino-
riten vorüberzuschreiten, Margherita erwartete ihn schon auf den Stufen, die
zu der Halle führten, in deren Hintergrunde noch verschiedene Gruppen von
Wartenden versammelt standen, während sich einige derselben der Thür entgegen
bewegten, aus welcher der alte Priester und die junge Fischersfrau hervor¬
traten. Weder Pater Girolamo noch Margherita achteten uns diese Fremden,
nnr zufällig erhob Margherita ihr Haupt ein wenig. Da sah der Pfarrer sie
plötzlich ihre Schritte hemmen, ein Laut, den er nicht zu deuten wußte, entrang
sich ihren Lippen, und mit weitgeöffneten Augen, zitternder als drinnen in der
Zelle des Büßers, suchte sie sich einen Augenblick an ihrem Beschützer festzu¬
halten. Aber schon im nächsten ließen ihre Hände wieder von seinem Arm, sie
that einen ungestümen Schritt vorwärts, der letzte Blutsschimmer entwich aus
ihrem Gesicht, sie wankte von neuem. Und indem Pater Girolamo mit einer
erschrocknen Frage herzutreten und sie abermals stützen wollte, vernahm er aus
der zunächst stehenden Menschengruppe einen wilden Aufschrei, den lauten fast
gellenden Ruf einer Frauenstimme: Margarete! -- und zugleich stürzte seine
Begleiterin so heftig zu seine" Füßen nieder, als habe sie die Hand des Todes
berührt. Erschrocken wurf sich der Priester auf die Knie und beugte sich zu
der Leblosen herab, über deren Stirn Blutstropfen rieselte". Zugleich aber
waren die Fremden, von denen der Ruf ausgegangen war, neben der Gestürzten:


Die Fischerin von !Nalcimocco.

Ratlos und schwer enttäuscht blickte der greise Priester jetzt seine Schutz¬
befohlene an. Leise sagte er zu ihr: Du hast Recht, Margherita, laß uns heim¬
gehen. Mein Hoffen auf den Armen dort war nichtig. Er ist kein Seher, der
ins Verborgene schaut, und Gott hat ihn um seiner Buße willen nicht mehr
zu wissen gegönnt als andern. Die Last seines Frevels drückt ihn schwer nieder
und zwingt ihn, jede Stunde seines elenden Daseins von den Schicksalen der
vielen zu träumen, die er einst ins Verderben geführt! Er weiß gut genug,
was den meisten widerfahren ist, doch die Schicksale der einzelnen kennt er nicht;
helfe Gott denen, die auf sein Zuraten übers Meer fahren, nach den Ihren
zu suchen.

Margherita vermochte nichts zu erwiedern, auch Pater Girolamo ver¬
stummte plötzlich, denn der Minvritenbruder, der hier Wache hielt und den
Verkehr mit der Außenwelt vermittelte, trat eben wieder durch die Thür und
richtete schon von der Schwelle her einen fragenden Blick auf den greisen Pfarrer
und seine bleiche junge Begleiterin. Pater Girolamo machte dem Mönche ein
Zeichen, daß er in Gegenwart Margheritas nicht sprechen wolle, der Bruder
des Antoniusklosters sah wohl, daß dem Priester vom Lido seine Erwartungen
nicht erfüllt worden waren. Er schlug die Augen nieder und raunte dem Hin¬
weggehenden zu: Ein andres-, ein bessresmal, mein Bruder! Die Tage sind
ungleich, Pietro schaut oft morgen oder später, was er heute nicht zu sehen
vermag.

Pater Girolamo begnügte sich, mit einem stummen Gruß an dem Mino-
riten vorüberzuschreiten, Margherita erwartete ihn schon auf den Stufen, die
zu der Halle führten, in deren Hintergrunde noch verschiedene Gruppen von
Wartenden versammelt standen, während sich einige derselben der Thür entgegen
bewegten, aus welcher der alte Priester und die junge Fischersfrau hervor¬
traten. Weder Pater Girolamo noch Margherita achteten uns diese Fremden,
nnr zufällig erhob Margherita ihr Haupt ein wenig. Da sah der Pfarrer sie
plötzlich ihre Schritte hemmen, ein Laut, den er nicht zu deuten wußte, entrang
sich ihren Lippen, und mit weitgeöffneten Augen, zitternder als drinnen in der
Zelle des Büßers, suchte sie sich einen Augenblick an ihrem Beschützer festzu¬
halten. Aber schon im nächsten ließen ihre Hände wieder von seinem Arm, sie
that einen ungestümen Schritt vorwärts, der letzte Blutsschimmer entwich aus
ihrem Gesicht, sie wankte von neuem. Und indem Pater Girolamo mit einer
erschrocknen Frage herzutreten und sie abermals stützen wollte, vernahm er aus
der zunächst stehenden Menschengruppe einen wilden Aufschrei, den lauten fast
gellenden Ruf einer Frauenstimme: Margarete! — und zugleich stürzte seine
Begleiterin so heftig zu seine» Füßen nieder, als habe sie die Hand des Todes
berührt. Erschrocken wurf sich der Priester auf die Knie und beugte sich zu
der Leblosen herab, über deren Stirn Blutstropfen rieselte«. Zugleich aber
waren die Fremden, von denen der Ruf ausgegangen war, neben der Gestürzten:


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[0676] Die Fischerin von !Nalcimocco. Ratlos und schwer enttäuscht blickte der greise Priester jetzt seine Schutz¬ befohlene an. Leise sagte er zu ihr: Du hast Recht, Margherita, laß uns heim¬ gehen. Mein Hoffen auf den Armen dort war nichtig. Er ist kein Seher, der ins Verborgene schaut, und Gott hat ihn um seiner Buße willen nicht mehr zu wissen gegönnt als andern. Die Last seines Frevels drückt ihn schwer nieder und zwingt ihn, jede Stunde seines elenden Daseins von den Schicksalen der vielen zu träumen, die er einst ins Verderben geführt! Er weiß gut genug, was den meisten widerfahren ist, doch die Schicksale der einzelnen kennt er nicht; helfe Gott denen, die auf sein Zuraten übers Meer fahren, nach den Ihren zu suchen. Margherita vermochte nichts zu erwiedern, auch Pater Girolamo ver¬ stummte plötzlich, denn der Minvritenbruder, der hier Wache hielt und den Verkehr mit der Außenwelt vermittelte, trat eben wieder durch die Thür und richtete schon von der Schwelle her einen fragenden Blick auf den greisen Pfarrer und seine bleiche junge Begleiterin. Pater Girolamo machte dem Mönche ein Zeichen, daß er in Gegenwart Margheritas nicht sprechen wolle, der Bruder des Antoniusklosters sah wohl, daß dem Priester vom Lido seine Erwartungen nicht erfüllt worden waren. Er schlug die Augen nieder und raunte dem Hin¬ weggehenden zu: Ein andres-, ein bessresmal, mein Bruder! Die Tage sind ungleich, Pietro schaut oft morgen oder später, was er heute nicht zu sehen vermag. Pater Girolamo begnügte sich, mit einem stummen Gruß an dem Mino- riten vorüberzuschreiten, Margherita erwartete ihn schon auf den Stufen, die zu der Halle führten, in deren Hintergrunde noch verschiedene Gruppen von Wartenden versammelt standen, während sich einige derselben der Thür entgegen bewegten, aus welcher der alte Priester und die junge Fischersfrau hervor¬ traten. Weder Pater Girolamo noch Margherita achteten uns diese Fremden, nnr zufällig erhob Margherita ihr Haupt ein wenig. Da sah der Pfarrer sie plötzlich ihre Schritte hemmen, ein Laut, den er nicht zu deuten wußte, entrang sich ihren Lippen, und mit weitgeöffneten Augen, zitternder als drinnen in der Zelle des Büßers, suchte sie sich einen Augenblick an ihrem Beschützer festzu¬ halten. Aber schon im nächsten ließen ihre Hände wieder von seinem Arm, sie that einen ungestümen Schritt vorwärts, der letzte Blutsschimmer entwich aus ihrem Gesicht, sie wankte von neuem. Und indem Pater Girolamo mit einer erschrocknen Frage herzutreten und sie abermals stützen wollte, vernahm er aus der zunächst stehenden Menschengruppe einen wilden Aufschrei, den lauten fast gellenden Ruf einer Frauenstimme: Margarete! — und zugleich stürzte seine Begleiterin so heftig zu seine» Füßen nieder, als habe sie die Hand des Todes berührt. Erschrocken wurf sich der Priester auf die Knie und beugte sich zu der Leblosen herab, über deren Stirn Blutstropfen rieselte«. Zugleich aber waren die Fremden, von denen der Ruf ausgegangen war, neben der Gestürzten:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/676>, abgerufen am 28.09.2024.