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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malainocco.

Unehe vor mir sehen, und ihre Namen und Stimmen höre ich um mich schwirren,
daß ich nie eine Stunde mehr rasten kann.

Und du siehst nicht, Pietro, ob die, nach der ich frage, lebt oder tot ist?
Du kannst mir nicht sagen, ob du Mnrgherita von Thurm je im Traume wieder
erblickt hast, ob du sie jetzt siehst?

Sie ist tot wie die andern, sie schläft tief in der See! schrie der Mann
von Sinigaglia wild auf. Wollt Ihr auch noch die Toten erstehen lassen, damit
ich keine Ruhe mehr finde und beständig zittern muß?

Dabei streifte ein schener, furchtsamer Blick des Mannes das totenbleiche
Gesicht der jungen Fran, die in der Mitte seiner Zelle stand. Und doch war
in seinen Zügen etwas, das dem jungen Weibe deutlich sagte, Pietro Vieeutino
habe sie nicht erkannt. Sie blickte flehend auf Pater Girolcnno, der aber nicht
nach ihr hinsah und beständig den Büßer auf der Steinbank, welcher in sein
starres Hinbrüten versinken wollte, wieder emporrüttelte.

Du kennst diese hier nicht, Pietro Vicentino? rief er ihn mit eindring¬
licher Stimme wieder an. Nimm deinen Schleier hinweg. Mnrgherita, zeig ihm
deine Züge frei. Kennst dn dies Geficht nicht wieder, erinnerst dich des Namens
von Thann nicht oder doch dieses Kleinods? Willst du die einzige nicht wieder¬
erkennen, die dir nicht flucht?

Der greise Priester hatte im Eifer Mnrgheritas goldnes Kreuz mit den
funkelnden Steinen aus seinem geistlichen Kleide gezogen, Margherita gehorchte
gleichzeitig widerstrebend seinem Gebot und ließ den schwarzen Schleier, den sie
nach der Landessitte um das Haupt trug, auf die Schultern herabfallen. Aber
der Angerufene kehrte sich gleichgiltig, ja trotzig hinweg, seine Stimme sank
wieder zu dem heisern, hohlen Jammertvne herab, in welchem er vorher geredet:
Mir fluchen alle, die leben! Nur die Toten lasten mir des Tages Ruhe, doch
nachts nicht, wahrlich nicht. Euer Grafenkind liegt still in den Wogen und kommt
nur nachts, den zu schrecken, der sie hinabstieß! Warum fragt Ihr wieder und
wieder nach denen, die nicht mehr sind, warum schreit Ihr mir Namen ins Ohr,
die mir die kümmerliche Ruhe rauben, welche ich in Gebet und Schweigen ge¬
wonnen habe?

Margherita bat ihren geistlichen Führer mit angstvoll flehentlichein Aus¬
druck ein zweitesmal, die Zelle zu verlassen. Doch Pater Girolamo fuhr un-
erschüttert fort: Und du weißt nicht, daß das Grafenkind von Thann lebt,
fühlst nicht, daß Gott und seine Heiligen sie ans der Gewalt der Wogen ge¬
rettet haben, kannst nicht schauen, wo sie jetzt weilt und wonach ihre Sehn¬
sucht steht?

Sie ist tot, tot! wiederholte der Büßer wie abwehrend und vor sich hin-
starrend. Euch kenne ich! setzte er mit zuckenden Lippen hinzu. Euch kenne
ich wohl, auch wenn Ihr in fremden: Gewand wieder zu mir kommt. Euch hat
der Prior zu mir geführt, und Ihr habt mich schon wievielemale gequält!


Die Fischerin von Malainocco.

Unehe vor mir sehen, und ihre Namen und Stimmen höre ich um mich schwirren,
daß ich nie eine Stunde mehr rasten kann.

Und du siehst nicht, Pietro, ob die, nach der ich frage, lebt oder tot ist?
Du kannst mir nicht sagen, ob du Mnrgherita von Thurm je im Traume wieder
erblickt hast, ob du sie jetzt siehst?

Sie ist tot wie die andern, sie schläft tief in der See! schrie der Mann
von Sinigaglia wild auf. Wollt Ihr auch noch die Toten erstehen lassen, damit
ich keine Ruhe mehr finde und beständig zittern muß?

Dabei streifte ein schener, furchtsamer Blick des Mannes das totenbleiche
Gesicht der jungen Fran, die in der Mitte seiner Zelle stand. Und doch war
in seinen Zügen etwas, das dem jungen Weibe deutlich sagte, Pietro Vieeutino
habe sie nicht erkannt. Sie blickte flehend auf Pater Girolcnno, der aber nicht
nach ihr hinsah und beständig den Büßer auf der Steinbank, welcher in sein
starres Hinbrüten versinken wollte, wieder emporrüttelte.

Du kennst diese hier nicht, Pietro Vicentino? rief er ihn mit eindring¬
licher Stimme wieder an. Nimm deinen Schleier hinweg. Mnrgherita, zeig ihm
deine Züge frei. Kennst dn dies Geficht nicht wieder, erinnerst dich des Namens
von Thann nicht oder doch dieses Kleinods? Willst du die einzige nicht wieder¬
erkennen, die dir nicht flucht?

Der greise Priester hatte im Eifer Mnrgheritas goldnes Kreuz mit den
funkelnden Steinen aus seinem geistlichen Kleide gezogen, Margherita gehorchte
gleichzeitig widerstrebend seinem Gebot und ließ den schwarzen Schleier, den sie
nach der Landessitte um das Haupt trug, auf die Schultern herabfallen. Aber
der Angerufene kehrte sich gleichgiltig, ja trotzig hinweg, seine Stimme sank
wieder zu dem heisern, hohlen Jammertvne herab, in welchem er vorher geredet:
Mir fluchen alle, die leben! Nur die Toten lasten mir des Tages Ruhe, doch
nachts nicht, wahrlich nicht. Euer Grafenkind liegt still in den Wogen und kommt
nur nachts, den zu schrecken, der sie hinabstieß! Warum fragt Ihr wieder und
wieder nach denen, die nicht mehr sind, warum schreit Ihr mir Namen ins Ohr,
die mir die kümmerliche Ruhe rauben, welche ich in Gebet und Schweigen ge¬
wonnen habe?

Margherita bat ihren geistlichen Führer mit angstvoll flehentlichein Aus¬
druck ein zweitesmal, die Zelle zu verlassen. Doch Pater Girolamo fuhr un-
erschüttert fort: Und du weißt nicht, daß das Grafenkind von Thann lebt,
fühlst nicht, daß Gott und seine Heiligen sie ans der Gewalt der Wogen ge¬
rettet haben, kannst nicht schauen, wo sie jetzt weilt und wonach ihre Sehn¬
sucht steht?

Sie ist tot, tot! wiederholte der Büßer wie abwehrend und vor sich hin-
starrend. Euch kenne ich! setzte er mit zuckenden Lippen hinzu. Euch kenne
ich wohl, auch wenn Ihr in fremden: Gewand wieder zu mir kommt. Euch hat
der Prior zu mir geführt, und Ihr habt mich schon wievielemale gequält!


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[0675] Die Fischerin von Malainocco. Unehe vor mir sehen, und ihre Namen und Stimmen höre ich um mich schwirren, daß ich nie eine Stunde mehr rasten kann. Und du siehst nicht, Pietro, ob die, nach der ich frage, lebt oder tot ist? Du kannst mir nicht sagen, ob du Mnrgherita von Thurm je im Traume wieder erblickt hast, ob du sie jetzt siehst? Sie ist tot wie die andern, sie schläft tief in der See! schrie der Mann von Sinigaglia wild auf. Wollt Ihr auch noch die Toten erstehen lassen, damit ich keine Ruhe mehr finde und beständig zittern muß? Dabei streifte ein schener, furchtsamer Blick des Mannes das totenbleiche Gesicht der jungen Fran, die in der Mitte seiner Zelle stand. Und doch war in seinen Zügen etwas, das dem jungen Weibe deutlich sagte, Pietro Vieeutino habe sie nicht erkannt. Sie blickte flehend auf Pater Girolcnno, der aber nicht nach ihr hinsah und beständig den Büßer auf der Steinbank, welcher in sein starres Hinbrüten versinken wollte, wieder emporrüttelte. Du kennst diese hier nicht, Pietro Vicentino? rief er ihn mit eindring¬ licher Stimme wieder an. Nimm deinen Schleier hinweg. Mnrgherita, zeig ihm deine Züge frei. Kennst dn dies Geficht nicht wieder, erinnerst dich des Namens von Thann nicht oder doch dieses Kleinods? Willst du die einzige nicht wieder¬ erkennen, die dir nicht flucht? Der greise Priester hatte im Eifer Mnrgheritas goldnes Kreuz mit den funkelnden Steinen aus seinem geistlichen Kleide gezogen, Margherita gehorchte gleichzeitig widerstrebend seinem Gebot und ließ den schwarzen Schleier, den sie nach der Landessitte um das Haupt trug, auf die Schultern herabfallen. Aber der Angerufene kehrte sich gleichgiltig, ja trotzig hinweg, seine Stimme sank wieder zu dem heisern, hohlen Jammertvne herab, in welchem er vorher geredet: Mir fluchen alle, die leben! Nur die Toten lasten mir des Tages Ruhe, doch nachts nicht, wahrlich nicht. Euer Grafenkind liegt still in den Wogen und kommt nur nachts, den zu schrecken, der sie hinabstieß! Warum fragt Ihr wieder und wieder nach denen, die nicht mehr sind, warum schreit Ihr mir Namen ins Ohr, die mir die kümmerliche Ruhe rauben, welche ich in Gebet und Schweigen ge¬ wonnen habe? Margherita bat ihren geistlichen Führer mit angstvoll flehentlichein Aus¬ druck ein zweitesmal, die Zelle zu verlassen. Doch Pater Girolamo fuhr un- erschüttert fort: Und du weißt nicht, daß das Grafenkind von Thann lebt, fühlst nicht, daß Gott und seine Heiligen sie ans der Gewalt der Wogen ge¬ rettet haben, kannst nicht schauen, wo sie jetzt weilt und wonach ihre Sehn¬ sucht steht? Sie ist tot, tot! wiederholte der Büßer wie abwehrend und vor sich hin- starrend. Euch kenne ich! setzte er mit zuckenden Lippen hinzu. Euch kenne ich wohl, auch wenn Ihr in fremden: Gewand wieder zu mir kommt. Euch hat der Prior zu mir geführt, und Ihr habt mich schon wievielemale gequält!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/675>, abgerufen am 29.06.2024.