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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischern vou INalamocco.

mit Welcher der Büßer an seine Steinbank geschlossen war. Er beugte sich
sitzend der deutschen Frau entgegen, seine Angen glänzten noch unheimlicher als
zuvor und schlössen sich dann. Zwischen den halbgeöffneten Lippen brachen
zuerst unverständliche, heulende Laute hervor. Dann aber rief er mit einer
von innerm Jammer bewegten und doch eintönigen Stimme: Wollt Ihr Rechen¬
schaft von Pietro Vieentinos Missethat? Ich sehe das Kind, von dem Ihr
sprecht -- sie steht weinend am Bord meiner Galeere -- sie sehnt sich umsonst
nach ihrem Vaterhause und umsonst nach dem Grabe des Heilands. Sie fährt
klagend über das Meer -- sie wird wie ein Lamm ans den Sklavenmarkt von
Tarablvs geführt und findet einen heidnischen Herrn. Sie wird bleicher und
bleicher unter der heißen Sonne von Afrika, ihre schuldlose Seele löst sich
von dem hinsiechenden jungen Leibe. Sie geht vor Gottes Thron, um dort zu
klagen wider Pietro von Sinignglia, den Kaufherrn, der Kinder- und Christcn-
seelen verschachert, wider Pietro, den Mörder, den Judas.

Die Worte hallten laut wieder in dem engen dumpfen Raume, der Büßer
stürzte mit seinem Angesicht auf die Steinbank und schien sich vor aller Welt
bergen zu wollen. Der Minoritenbrnder kümmerte sich nicht um deu Zusammen¬
brechenden, sondern trat auf die deutsche Frau zu, die er aus ihrer knienden
Stellung emporrichtete. Sucht Trost bei Gott, liebe Frau, sagte er in seinem
gebrochnen Deutsch. Der Bruder Büßer schaut über die Jahre und über Land
und Meer, daß Euer Verlornes Kind längst zur himmlischen Seligkeit eingegangen
ist und für Euch gebetet hat, während Ihr um ihre irdischen Leiden gebangt
habt. Zieht heim und pflegt Eures kranken Ehemannes und sucht Eure Gertrud
nicht mehr unter den Heiden, sondern unter den Engeln zu Füßen der aller-
heiligsten Jungfrau.

Die Frau aus Rothenburg folgte mit gläubigem Blick der empordeutenden
Hand des frommen Bruders, aber sie war doch erbleicht, als ihr seine Worte
die letzte schwache Hoffnung nahmen, welche sie auf ein Wiederfinden ihrer
Tochter gehegt. Wartenden Schrittes näherte sie sich den Stufen zur Thür
der Zelle und schien erst jetzt die Anwesenheit Pater Girvlamos und Margheritas
zu gewahren. In ihrem Schmerz und ihrer schweren Enttäuschung kümmerten
sie die fremden Gesichter wenig, sie konnte nicht ahnen, daß die bebende junge
Frau, die ihr so mitleidig nachblickte, eine Landsmännin und dereinst eine Krenz-
fahrtgenossin ihrer Verlornen Tochter gewesen sei. Marghcrita machte eine
Bewegung, um dem armen Weibe des Rothenbnrgcr Goldschmieds ein tröstliches
Wort zuzurufen, aber ein ernstes Kopfschütteln, ein warnender Blick des greisen
Girolamo verhinderte sie daran.

Halte dich still, meine Tochter, sagte der Priester leise. Deine Stunde ist
noch nicht gekommen, und du stehst hier als Mareantonios Weib und kannst
jener Armen nicht helfen, anch wenn du ihr verratst, daß du einst gleiche leid-
volle Pfade mit ihrem Kinde gezogen bist. Hast du die Tochter der Frau


Die Fischern vou INalamocco.

mit Welcher der Büßer an seine Steinbank geschlossen war. Er beugte sich
sitzend der deutschen Frau entgegen, seine Angen glänzten noch unheimlicher als
zuvor und schlössen sich dann. Zwischen den halbgeöffneten Lippen brachen
zuerst unverständliche, heulende Laute hervor. Dann aber rief er mit einer
von innerm Jammer bewegten und doch eintönigen Stimme: Wollt Ihr Rechen¬
schaft von Pietro Vieentinos Missethat? Ich sehe das Kind, von dem Ihr
sprecht — sie steht weinend am Bord meiner Galeere — sie sehnt sich umsonst
nach ihrem Vaterhause und umsonst nach dem Grabe des Heilands. Sie fährt
klagend über das Meer — sie wird wie ein Lamm ans den Sklavenmarkt von
Tarablvs geführt und findet einen heidnischen Herrn. Sie wird bleicher und
bleicher unter der heißen Sonne von Afrika, ihre schuldlose Seele löst sich
von dem hinsiechenden jungen Leibe. Sie geht vor Gottes Thron, um dort zu
klagen wider Pietro von Sinignglia, den Kaufherrn, der Kinder- und Christcn-
seelen verschachert, wider Pietro, den Mörder, den Judas.

Die Worte hallten laut wieder in dem engen dumpfen Raume, der Büßer
stürzte mit seinem Angesicht auf die Steinbank und schien sich vor aller Welt
bergen zu wollen. Der Minoritenbrnder kümmerte sich nicht um deu Zusammen¬
brechenden, sondern trat auf die deutsche Frau zu, die er aus ihrer knienden
Stellung emporrichtete. Sucht Trost bei Gott, liebe Frau, sagte er in seinem
gebrochnen Deutsch. Der Bruder Büßer schaut über die Jahre und über Land
und Meer, daß Euer Verlornes Kind längst zur himmlischen Seligkeit eingegangen
ist und für Euch gebetet hat, während Ihr um ihre irdischen Leiden gebangt
habt. Zieht heim und pflegt Eures kranken Ehemannes und sucht Eure Gertrud
nicht mehr unter den Heiden, sondern unter den Engeln zu Füßen der aller-
heiligsten Jungfrau.

Die Frau aus Rothenburg folgte mit gläubigem Blick der empordeutenden
Hand des frommen Bruders, aber sie war doch erbleicht, als ihr seine Worte
die letzte schwache Hoffnung nahmen, welche sie auf ein Wiederfinden ihrer
Tochter gehegt. Wartenden Schrittes näherte sie sich den Stufen zur Thür
der Zelle und schien erst jetzt die Anwesenheit Pater Girvlamos und Margheritas
zu gewahren. In ihrem Schmerz und ihrer schweren Enttäuschung kümmerten
sie die fremden Gesichter wenig, sie konnte nicht ahnen, daß die bebende junge
Frau, die ihr so mitleidig nachblickte, eine Landsmännin und dereinst eine Krenz-
fahrtgenossin ihrer Verlornen Tochter gewesen sei. Marghcrita machte eine
Bewegung, um dem armen Weibe des Rothenbnrgcr Goldschmieds ein tröstliches
Wort zuzurufen, aber ein ernstes Kopfschütteln, ein warnender Blick des greisen
Girolamo verhinderte sie daran.

Halte dich still, meine Tochter, sagte der Priester leise. Deine Stunde ist
noch nicht gekommen, und du stehst hier als Mareantonios Weib und kannst
jener Armen nicht helfen, anch wenn du ihr verratst, daß du einst gleiche leid-
volle Pfade mit ihrem Kinde gezogen bist. Hast du die Tochter der Frau


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[0673] Die Fischern vou INalamocco. mit Welcher der Büßer an seine Steinbank geschlossen war. Er beugte sich sitzend der deutschen Frau entgegen, seine Angen glänzten noch unheimlicher als zuvor und schlössen sich dann. Zwischen den halbgeöffneten Lippen brachen zuerst unverständliche, heulende Laute hervor. Dann aber rief er mit einer von innerm Jammer bewegten und doch eintönigen Stimme: Wollt Ihr Rechen¬ schaft von Pietro Vieentinos Missethat? Ich sehe das Kind, von dem Ihr sprecht — sie steht weinend am Bord meiner Galeere — sie sehnt sich umsonst nach ihrem Vaterhause und umsonst nach dem Grabe des Heilands. Sie fährt klagend über das Meer — sie wird wie ein Lamm ans den Sklavenmarkt von Tarablvs geführt und findet einen heidnischen Herrn. Sie wird bleicher und bleicher unter der heißen Sonne von Afrika, ihre schuldlose Seele löst sich von dem hinsiechenden jungen Leibe. Sie geht vor Gottes Thron, um dort zu klagen wider Pietro von Sinignglia, den Kaufherrn, der Kinder- und Christcn- seelen verschachert, wider Pietro, den Mörder, den Judas. Die Worte hallten laut wieder in dem engen dumpfen Raume, der Büßer stürzte mit seinem Angesicht auf die Steinbank und schien sich vor aller Welt bergen zu wollen. Der Minoritenbrnder kümmerte sich nicht um deu Zusammen¬ brechenden, sondern trat auf die deutsche Frau zu, die er aus ihrer knienden Stellung emporrichtete. Sucht Trost bei Gott, liebe Frau, sagte er in seinem gebrochnen Deutsch. Der Bruder Büßer schaut über die Jahre und über Land und Meer, daß Euer Verlornes Kind längst zur himmlischen Seligkeit eingegangen ist und für Euch gebetet hat, während Ihr um ihre irdischen Leiden gebangt habt. Zieht heim und pflegt Eures kranken Ehemannes und sucht Eure Gertrud nicht mehr unter den Heiden, sondern unter den Engeln zu Füßen der aller- heiligsten Jungfrau. Die Frau aus Rothenburg folgte mit gläubigem Blick der empordeutenden Hand des frommen Bruders, aber sie war doch erbleicht, als ihr seine Worte die letzte schwache Hoffnung nahmen, welche sie auf ein Wiederfinden ihrer Tochter gehegt. Wartenden Schrittes näherte sie sich den Stufen zur Thür der Zelle und schien erst jetzt die Anwesenheit Pater Girvlamos und Margheritas zu gewahren. In ihrem Schmerz und ihrer schweren Enttäuschung kümmerten sie die fremden Gesichter wenig, sie konnte nicht ahnen, daß die bebende junge Frau, die ihr so mitleidig nachblickte, eine Landsmännin und dereinst eine Krenz- fahrtgenossin ihrer Verlornen Tochter gewesen sei. Marghcrita machte eine Bewegung, um dem armen Weibe des Rothenbnrgcr Goldschmieds ein tröstliches Wort zuzurufen, aber ein ernstes Kopfschütteln, ein warnender Blick des greisen Girolamo verhinderte sie daran. Halte dich still, meine Tochter, sagte der Priester leise. Deine Stunde ist noch nicht gekommen, und du stehst hier als Mareantonios Weib und kannst jener Armen nicht helfen, anch wenn du ihr verratst, daß du einst gleiche leid- volle Pfade mit ihrem Kinde gezogen bist. Hast du die Tochter der Frau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/673>, abgerufen am 29.06.2024.