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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von lllalamocco.

der Thür der Zelle lehnte, sah mit einer Art Neugier auf das schöne junge
Weib mit den blonden Haaren und in der Tracht der Fischerinnen vom Lido.
Sie aber nahm mir den Mann ans der Steinbank wahr, dessen verwittertes
Aussehen verriet, daß er seit Jahren diese dumpffeuchte Zelle nicht verlassen habe.
Margherita merkte, daß er flüchtig uach ihr aufschaute, allein dabei so wenig
Bewegung verriet als bei dem Anblick der alternden Fran, welche zwischen ihr
und der Steinbank geduldig am Boden kniete und eines Wortes aus dem Munde
des Büßers harrte.

Ihr müßt ihm Euern Namen und den Eurer Tochter wieder zurufen,
sprach in gebrochnem Deutsch der Bruder des Antoniusklosters zu der knienden
Frau. Der Vicentiner hat oft viele Gesichte, sagt ihm noch einmal, wer Ihr
seid und was Ihr von ihm zu wissen begehrt, ich will es ihm dolmetschen.

Schoir zehn Tage laß ich es ihm jeden Tag zurufen! seufzte die Frau mit
schweren Thränen in ihren halberloschnen Augen. Sagt ihm noch einmal, frommer
Bruder, wer vor ihm steht: Mechtild von Rothenburg, die Fran Meister
Nichwins, des Goldschmieds, die seit acht Jahren um ihr herziges Kind, die
blonde Gertrud, klagt und weint! Sie entwich heimlich aus unserm Hause
zur Zeit, da das Kreuzheer der Kinder nach Wülschland herunterzog. Zweimal
hat mein armer Mann die weite Reise hierher und nach Bologna gethan, um
eine Spur von unserm Kinde zu finden, jetzt sitzt er daheim im Krankenstuhl
und kann die Füße nicht rühren. Wir haben vernommen, daß jener dort zur
Strafe seiner Sünden die armen Kinder schaut, die er einst ins Verderben ge¬
bracht. Ich will ja gern bis zu den Sarazenen wallfahrten, und wir wollen
alles dreingeben, was uns außer unserm Häuschen an der Tauber noch ge¬
blieben ist, wenn wir nnr eine Kunde von dem Kinde erhalten. Aber bald,
bald müßte es sein, meine Augen schwinden gar sehr, und die Kräfte leider auch!

Erschüttert lauschte Margherita den Worten in ihrer Heimatsprache. Sie
nahm: wahr, wie sich die Blicke der deutschen Frau mit einer seltsamen Mischung
vou tiefem Abscheu und Mitleid auf deu Mann in der Mönchskutte hefteten,
der jetzt wieder wie halberftarrt auf seinem Stcinbett lag und scheinbar anteillos
ins Leere hinaussah. Der Mönch, nach dem sich die Rothenbnrgcrin hingewandt,
herrschte jetzt den Büßer an und wiederholte ihm so viel von der Rede der
Goldschmiedssrau, als er selbst verstanden hatte.

Merk auf, Pietro Vieeutiuo, sagte er hart zu ihm. Du kannst ein Körnlein
der Sündenlast von deiner Seele wälzen. Diese Arme hier ist Mechtild, die
Frau Meister Nichwins, eines Goldschmieds von Rothenburg in Franken. Ihr
Kind ist mit den jugendlichen Kreuzfahrern gezogen und auf deinen Schiffen
verschwunden! So du sie schaust, kunde ihrer Mutter, ob sie lebend oder tot ist.
Gertrud, die Goldschmiedstochter von Rothenburg, ein blondes Mädchen, Pietro!

Ein langes Schweigen folgte, bis sich mit einemmale die Gestalt gegenüber
aufzurichten begann. Margherita fuhr zusammen, als sie die .Kette klirren hörte,


Die Fischerin von lllalamocco.

der Thür der Zelle lehnte, sah mit einer Art Neugier auf das schöne junge
Weib mit den blonden Haaren und in der Tracht der Fischerinnen vom Lido.
Sie aber nahm mir den Mann ans der Steinbank wahr, dessen verwittertes
Aussehen verriet, daß er seit Jahren diese dumpffeuchte Zelle nicht verlassen habe.
Margherita merkte, daß er flüchtig uach ihr aufschaute, allein dabei so wenig
Bewegung verriet als bei dem Anblick der alternden Fran, welche zwischen ihr
und der Steinbank geduldig am Boden kniete und eines Wortes aus dem Munde
des Büßers harrte.

Ihr müßt ihm Euern Namen und den Eurer Tochter wieder zurufen,
sprach in gebrochnem Deutsch der Bruder des Antoniusklosters zu der knienden
Frau. Der Vicentiner hat oft viele Gesichte, sagt ihm noch einmal, wer Ihr
seid und was Ihr von ihm zu wissen begehrt, ich will es ihm dolmetschen.

Schoir zehn Tage laß ich es ihm jeden Tag zurufen! seufzte die Frau mit
schweren Thränen in ihren halberloschnen Augen. Sagt ihm noch einmal, frommer
Bruder, wer vor ihm steht: Mechtild von Rothenburg, die Fran Meister
Nichwins, des Goldschmieds, die seit acht Jahren um ihr herziges Kind, die
blonde Gertrud, klagt und weint! Sie entwich heimlich aus unserm Hause
zur Zeit, da das Kreuzheer der Kinder nach Wülschland herunterzog. Zweimal
hat mein armer Mann die weite Reise hierher und nach Bologna gethan, um
eine Spur von unserm Kinde zu finden, jetzt sitzt er daheim im Krankenstuhl
und kann die Füße nicht rühren. Wir haben vernommen, daß jener dort zur
Strafe seiner Sünden die armen Kinder schaut, die er einst ins Verderben ge¬
bracht. Ich will ja gern bis zu den Sarazenen wallfahrten, und wir wollen
alles dreingeben, was uns außer unserm Häuschen an der Tauber noch ge¬
blieben ist, wenn wir nnr eine Kunde von dem Kinde erhalten. Aber bald,
bald müßte es sein, meine Augen schwinden gar sehr, und die Kräfte leider auch!

Erschüttert lauschte Margherita den Worten in ihrer Heimatsprache. Sie
nahm: wahr, wie sich die Blicke der deutschen Frau mit einer seltsamen Mischung
vou tiefem Abscheu und Mitleid auf deu Mann in der Mönchskutte hefteten,
der jetzt wieder wie halberftarrt auf seinem Stcinbett lag und scheinbar anteillos
ins Leere hinaussah. Der Mönch, nach dem sich die Rothenbnrgcrin hingewandt,
herrschte jetzt den Büßer an und wiederholte ihm so viel von der Rede der
Goldschmiedssrau, als er selbst verstanden hatte.

Merk auf, Pietro Vieeutiuo, sagte er hart zu ihm. Du kannst ein Körnlein
der Sündenlast von deiner Seele wälzen. Diese Arme hier ist Mechtild, die
Frau Meister Nichwins, eines Goldschmieds von Rothenburg in Franken. Ihr
Kind ist mit den jugendlichen Kreuzfahrern gezogen und auf deinen Schiffen
verschwunden! So du sie schaust, kunde ihrer Mutter, ob sie lebend oder tot ist.
Gertrud, die Goldschmiedstochter von Rothenburg, ein blondes Mädchen, Pietro!

Ein langes Schweigen folgte, bis sich mit einemmale die Gestalt gegenüber
aufzurichten begann. Margherita fuhr zusammen, als sie die .Kette klirren hörte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/672>, abgerufen am 28.09.2024.