Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Meihnachtsbränche in der Reformationszeit.

gelt, nur der Ehre halber, zum Wohle des Gemeinwesens zu Gericht sitzen, die
ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Bildung gewählt werden und von deren
Urteln Berufung einzulegen die Vorfahren für unwürdig hielten; jetzt freilich
werde das nicht mehr innegehalten, und das sei umso schlimmer, als der zweite
Spruch deu ersten oft verwerfe, dn er nach den geschriebenen Gesetzen (d. h. nach
römischem Recht) gefällt sei. Eine anschauliche Schilderung des städtischen Lebens
und Treibens, der städtischen Bauten und Befestigungen bildet den Schluß.
Übrigens hebt Bom den frommen Sinn der Bürger lobend hervor: "Keinen
Handwerksmann giebt es. der nicht früh morgens, ehe er sich zur Arbeit an¬
schickt, zuvor erst in die Kirche eintritt, und auch Knechte und Mägde werden
von ihren Herrschaften dazu angehalten. sie erachte:, es für einen Schimpf und
großen Vorwurf, ans Faulheit oder um nichtiger Sache willen den Gottes¬
dienst zu versäumen; sie spenden viele Almosen, fast in allen Städten finden
sich die Miuderbrüder und Siechenhäuser für erkrankte Wanderer." Dann folgt
noch ein Bild aus dein Schülerleben, das in dein Leser sofort die Erinnerung
an Luthers Eisenacher Schülerzeit wachruft: "Auch die Jünglinge finden ihren
Unterhalt, die des Studiums wegen das väterliche Haus verlassen haben und
freiwillig bald hier, bald dort in der Fremde leben, oft so viele in einer Stadt,
daß man sich wundern kann, wovon sie sich nähren; die werden von den Bür¬
gern aus Mitleid verpflegt, ihren Unterhalt erbetteln sie sich sonst, indem sie
singend von Haus zu Hans ziehen; sie erhalten deswegen so reiche Gaben, weil
sie, den Kirchen und den Geistlichen zugeteilt, beim Gottesdienst singen und zum
geistlichen Stand erzogen werden. In den einzelnen Kirchsprengeln giebt es
ein öffentliches Gebände. in dem die Schüler wie die Söhne der Bürger zum
Unterricht in deu Künsten und Wissenschaften sich einstellen, ihre Lehrer sind
nicht weniger durch Rechtschaffenheit wie dnrch ihre Gelehrsamkeit bewährt; die
Schüler, welche sich etwas zu Schulden kommen lassen und in ihren Studien nach¬
lässig sind, züchtigen sie mit dem Stock oder tadeln sie mit ein wenig harten
Worten."

Als letzter Stand werden schließlich die Bauern aufgeführt: "Sie sind in
ziemlich trüber und harter Lage; gesondert von den andern lebt ein jeder mit
Weib und Kind und seinem Vieh in drückenden Verhältnissen. Hütten aus
Lehm und Holz, nur wenig über dem Erdboden aufgeführt, bilden ihre Wohnung,
geringes Brot, Hafermus oder gekochte Hülsenfrucht ihre Speise. Wasser
ihr Getränk, der linnene Rock, zwei Stiefel und der gefärbte Hut ihre Klei¬
dung: ein zu aller Zeit ruheloses, arbeitsames, unsauberes Geschlecht. In die
Nachbarstädte trägt ein jeder die Erzeugnisse seines Ackers und des Viehes zum
Verkauf und handelt dafür seine Bedürfnisse ein, denn Handwerker, die bei ihnen
wohnen, giebt es gar keine oder mir wenige. In der Kirche -- gewöhnlich
hat ein Dorf nur eine -- versammeln sich alle des Vormittags an den Fest¬
tagen, um von ihrem Pfarrer das Wort Gottes zu vernehmen, nachmittags


Meihnachtsbränche in der Reformationszeit.

gelt, nur der Ehre halber, zum Wohle des Gemeinwesens zu Gericht sitzen, die
ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Bildung gewählt werden und von deren
Urteln Berufung einzulegen die Vorfahren für unwürdig hielten; jetzt freilich
werde das nicht mehr innegehalten, und das sei umso schlimmer, als der zweite
Spruch deu ersten oft verwerfe, dn er nach den geschriebenen Gesetzen (d. h. nach
römischem Recht) gefällt sei. Eine anschauliche Schilderung des städtischen Lebens
und Treibens, der städtischen Bauten und Befestigungen bildet den Schluß.
Übrigens hebt Bom den frommen Sinn der Bürger lobend hervor: „Keinen
Handwerksmann giebt es. der nicht früh morgens, ehe er sich zur Arbeit an¬
schickt, zuvor erst in die Kirche eintritt, und auch Knechte und Mägde werden
von ihren Herrschaften dazu angehalten. sie erachte:, es für einen Schimpf und
großen Vorwurf, ans Faulheit oder um nichtiger Sache willen den Gottes¬
dienst zu versäumen; sie spenden viele Almosen, fast in allen Städten finden
sich die Miuderbrüder und Siechenhäuser für erkrankte Wanderer." Dann folgt
noch ein Bild aus dein Schülerleben, das in dein Leser sofort die Erinnerung
an Luthers Eisenacher Schülerzeit wachruft: „Auch die Jünglinge finden ihren
Unterhalt, die des Studiums wegen das väterliche Haus verlassen haben und
freiwillig bald hier, bald dort in der Fremde leben, oft so viele in einer Stadt,
daß man sich wundern kann, wovon sie sich nähren; die werden von den Bür¬
gern aus Mitleid verpflegt, ihren Unterhalt erbetteln sie sich sonst, indem sie
singend von Haus zu Hans ziehen; sie erhalten deswegen so reiche Gaben, weil
sie, den Kirchen und den Geistlichen zugeteilt, beim Gottesdienst singen und zum
geistlichen Stand erzogen werden. In den einzelnen Kirchsprengeln giebt es
ein öffentliches Gebände. in dem die Schüler wie die Söhne der Bürger zum
Unterricht in deu Künsten und Wissenschaften sich einstellen, ihre Lehrer sind
nicht weniger durch Rechtschaffenheit wie dnrch ihre Gelehrsamkeit bewährt; die
Schüler, welche sich etwas zu Schulden kommen lassen und in ihren Studien nach¬
lässig sind, züchtigen sie mit dem Stock oder tadeln sie mit ein wenig harten
Worten."

Als letzter Stand werden schließlich die Bauern aufgeführt: „Sie sind in
ziemlich trüber und harter Lage; gesondert von den andern lebt ein jeder mit
Weib und Kind und seinem Vieh in drückenden Verhältnissen. Hütten aus
Lehm und Holz, nur wenig über dem Erdboden aufgeführt, bilden ihre Wohnung,
geringes Brot, Hafermus oder gekochte Hülsenfrucht ihre Speise. Wasser
ihr Getränk, der linnene Rock, zwei Stiefel und der gefärbte Hut ihre Klei¬
dung: ein zu aller Zeit ruheloses, arbeitsames, unsauberes Geschlecht. In die
Nachbarstädte trägt ein jeder die Erzeugnisse seines Ackers und des Viehes zum
Verkauf und handelt dafür seine Bedürfnisse ein, denn Handwerker, die bei ihnen
wohnen, giebt es gar keine oder mir wenige. In der Kirche — gewöhnlich
hat ein Dorf nur eine — versammeln sich alle des Vormittags an den Fest¬
tagen, um von ihrem Pfarrer das Wort Gottes zu vernehmen, nachmittags


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0665" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194643"/>
          <fw type="header" place="top"> Meihnachtsbränche in der Reformationszeit.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2343" prev="#ID_2342"> gelt, nur der Ehre halber, zum Wohle des Gemeinwesens zu Gericht sitzen, die<lb/>
ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Bildung gewählt werden und von deren<lb/>
Urteln Berufung einzulegen die Vorfahren für unwürdig hielten; jetzt freilich<lb/>
werde das nicht mehr innegehalten, und das sei umso schlimmer, als der zweite<lb/>
Spruch deu ersten oft verwerfe, dn er nach den geschriebenen Gesetzen (d. h. nach<lb/>
römischem Recht) gefällt sei. Eine anschauliche Schilderung des städtischen Lebens<lb/>
und Treibens, der städtischen Bauten und Befestigungen bildet den Schluß.<lb/>
Übrigens hebt Bom den frommen Sinn der Bürger lobend hervor: &#x201E;Keinen<lb/>
Handwerksmann giebt es. der nicht früh morgens, ehe er sich zur Arbeit an¬<lb/>
schickt, zuvor erst in die Kirche eintritt, und auch Knechte und Mägde werden<lb/>
von ihren Herrschaften dazu angehalten. sie erachte:, es für einen Schimpf und<lb/>
großen Vorwurf, ans Faulheit oder um nichtiger Sache willen den Gottes¬<lb/>
dienst zu versäumen; sie spenden viele Almosen, fast in allen Städten finden<lb/>
sich die Miuderbrüder und Siechenhäuser für erkrankte Wanderer." Dann folgt<lb/>
noch ein Bild aus dein Schülerleben, das in dein Leser sofort die Erinnerung<lb/>
an Luthers Eisenacher Schülerzeit wachruft: &#x201E;Auch die Jünglinge finden ihren<lb/>
Unterhalt, die des Studiums wegen das väterliche Haus verlassen haben und<lb/>
freiwillig bald hier, bald dort in der Fremde leben, oft so viele in einer Stadt,<lb/>
daß man sich wundern kann, wovon sie sich nähren; die werden von den Bür¬<lb/>
gern aus Mitleid verpflegt, ihren Unterhalt erbetteln sie sich sonst, indem sie<lb/>
singend von Haus zu Hans ziehen; sie erhalten deswegen so reiche Gaben, weil<lb/>
sie, den Kirchen und den Geistlichen zugeteilt, beim Gottesdienst singen und zum<lb/>
geistlichen Stand erzogen werden. In den einzelnen Kirchsprengeln giebt es<lb/>
ein öffentliches Gebände. in dem die Schüler wie die Söhne der Bürger zum<lb/>
Unterricht in deu Künsten und Wissenschaften sich einstellen, ihre Lehrer sind<lb/>
nicht weniger durch Rechtschaffenheit wie dnrch ihre Gelehrsamkeit bewährt; die<lb/>
Schüler, welche sich etwas zu Schulden kommen lassen und in ihren Studien nach¬<lb/>
lässig sind, züchtigen sie mit dem Stock oder tadeln sie mit ein wenig harten<lb/>
Worten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2344" next="#ID_2345"> Als letzter Stand werden schließlich die Bauern aufgeführt: &#x201E;Sie sind in<lb/>
ziemlich trüber und harter Lage; gesondert von den andern lebt ein jeder mit<lb/>
Weib und Kind und seinem Vieh in drückenden Verhältnissen. Hütten aus<lb/>
Lehm und Holz, nur wenig über dem Erdboden aufgeführt, bilden ihre Wohnung,<lb/>
geringes Brot, Hafermus oder gekochte Hülsenfrucht ihre Speise. Wasser<lb/>
ihr Getränk, der linnene Rock, zwei Stiefel und der gefärbte Hut ihre Klei¬<lb/>
dung: ein zu aller Zeit ruheloses, arbeitsames, unsauberes Geschlecht. In die<lb/>
Nachbarstädte trägt ein jeder die Erzeugnisse seines Ackers und des Viehes zum<lb/>
Verkauf und handelt dafür seine Bedürfnisse ein, denn Handwerker, die bei ihnen<lb/>
wohnen, giebt es gar keine oder mir wenige. In der Kirche &#x2014; gewöhnlich<lb/>
hat ein Dorf nur eine &#x2014; versammeln sich alle des Vormittags an den Fest¬<lb/>
tagen, um von ihrem Pfarrer das Wort Gottes zu vernehmen, nachmittags</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0665] Meihnachtsbränche in der Reformationszeit. gelt, nur der Ehre halber, zum Wohle des Gemeinwesens zu Gericht sitzen, die ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Bildung gewählt werden und von deren Urteln Berufung einzulegen die Vorfahren für unwürdig hielten; jetzt freilich werde das nicht mehr innegehalten, und das sei umso schlimmer, als der zweite Spruch deu ersten oft verwerfe, dn er nach den geschriebenen Gesetzen (d. h. nach römischem Recht) gefällt sei. Eine anschauliche Schilderung des städtischen Lebens und Treibens, der städtischen Bauten und Befestigungen bildet den Schluß. Übrigens hebt Bom den frommen Sinn der Bürger lobend hervor: „Keinen Handwerksmann giebt es. der nicht früh morgens, ehe er sich zur Arbeit an¬ schickt, zuvor erst in die Kirche eintritt, und auch Knechte und Mägde werden von ihren Herrschaften dazu angehalten. sie erachte:, es für einen Schimpf und großen Vorwurf, ans Faulheit oder um nichtiger Sache willen den Gottes¬ dienst zu versäumen; sie spenden viele Almosen, fast in allen Städten finden sich die Miuderbrüder und Siechenhäuser für erkrankte Wanderer." Dann folgt noch ein Bild aus dein Schülerleben, das in dein Leser sofort die Erinnerung an Luthers Eisenacher Schülerzeit wachruft: „Auch die Jünglinge finden ihren Unterhalt, die des Studiums wegen das väterliche Haus verlassen haben und freiwillig bald hier, bald dort in der Fremde leben, oft so viele in einer Stadt, daß man sich wundern kann, wovon sie sich nähren; die werden von den Bür¬ gern aus Mitleid verpflegt, ihren Unterhalt erbetteln sie sich sonst, indem sie singend von Haus zu Hans ziehen; sie erhalten deswegen so reiche Gaben, weil sie, den Kirchen und den Geistlichen zugeteilt, beim Gottesdienst singen und zum geistlichen Stand erzogen werden. In den einzelnen Kirchsprengeln giebt es ein öffentliches Gebände. in dem die Schüler wie die Söhne der Bürger zum Unterricht in deu Künsten und Wissenschaften sich einstellen, ihre Lehrer sind nicht weniger durch Rechtschaffenheit wie dnrch ihre Gelehrsamkeit bewährt; die Schüler, welche sich etwas zu Schulden kommen lassen und in ihren Studien nach¬ lässig sind, züchtigen sie mit dem Stock oder tadeln sie mit ein wenig harten Worten." Als letzter Stand werden schließlich die Bauern aufgeführt: „Sie sind in ziemlich trüber und harter Lage; gesondert von den andern lebt ein jeder mit Weib und Kind und seinem Vieh in drückenden Verhältnissen. Hütten aus Lehm und Holz, nur wenig über dem Erdboden aufgeführt, bilden ihre Wohnung, geringes Brot, Hafermus oder gekochte Hülsenfrucht ihre Speise. Wasser ihr Getränk, der linnene Rock, zwei Stiefel und der gefärbte Hut ihre Klei¬ dung: ein zu aller Zeit ruheloses, arbeitsames, unsauberes Geschlecht. In die Nachbarstädte trägt ein jeder die Erzeugnisse seines Ackers und des Viehes zum Verkauf und handelt dafür seine Bedürfnisse ein, denn Handwerker, die bei ihnen wohnen, giebt es gar keine oder mir wenige. In der Kirche — gewöhnlich hat ein Dorf nur eine — versammeln sich alle des Vormittags an den Fest¬ tagen, um von ihrem Pfarrer das Wort Gottes zu vernehmen, nachmittags

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/665
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/665>, abgerufen am 29.06.2024.