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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Weihnachtsbräuche in der Reformationszeit.

er Sitte und Brauch der deutscheu Vorfahren während des Mittel¬
alters schildern will, muß seinen Stoff von den verschiedensten
Orten her zusammentragen; da sind die Geschichtsbücher, die Lieder
und Sagen, die Denkmäler der bildenden Künste zu befragen, da
geben die Auszeichnungen des heimischen Rechts und die Novellen-
sammluugen manch überraschenden Beitrag; fremde Reisende, die unser Vater¬
land durchzogen, bewahrten in stummer Verwunderung über das seltsame Ge-
bahren diesen und jenen ihnen fremdartigen Zug auf, doch nirgends findet sich
eine umfassende Erzählung. Der erste, dem wir darüber ausführlichere Kunde
verdanken, ist der Baier Johannes Bom. Geboren zu Und an der Gotland,
war er im letzten Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts Kaplan des Deutsch-
ordeus zu Ulm; sein Werk "Alter Völker Sitten, Gesetze und Gebräuche"
erschien zuerst im Jahre 1520 zu Augsburg und zerfällt in drei Bücher*). Nach¬
dem er als Einleitung den Ursprung des Menschengeschlechts behandelt hat,
giebt er im ersten Buche eine Schilderung der Bewohner Afrikas, im zweiten
der Asiens und im dritten der europäischen Volker. Das wertvollste an seiner
Schrift ist für uns die Beschreibung Deutschlands, vor allem Frankens, seiner
Heimat. Ein Abschnitt, der Llvririani-i des Taeitus entlehnt, bildet hier die
Einleitung, dann entwirft der Verfasser aus eigner Anschauung ein farbenreiches
Bild der deutschen Stände, voran der Geistlichkeit, "deren großer Teil sich dem
Nichtsthun hingiebt; nnr wenige beschäftigen sich mit den Wissenschaften, die
Nachmittagsstunden bringen sie mit Spielen und Trinken hin." Als zweiten
Stand nennt er die Fürsten und den Adel und schilt mit bittern Worten ihre
Unbotmäßigkeit gegen das Reich und ihre Herrschsucht. "Wer von ihnen Handel
treibt oder ein Handwerk, der entweiht ihren Stand; die Jagd betrachten sie
für ihr ausschließliches Vorrecht, weitere Strecke" zu Fuß zu gehen, halten sie
für entehrend, doch zu plündern, wenn ihnen das Nötige fehlt, scheuen sie sich
nicht; unglaublich ist, in welcher Weise sie die unglücklichen Bauern quälen,
unser deutsches Vaterland wäre drei-, viermal so glücklich, wenn jene Dionyst'
entweder vertrieben oder mit Einschränkung ihrer Macht gezwungen würden, als
gewöhnliche Leute, wie die Edeln in der Schweiz, zu leben."

Als dritter Stand schließen sich die Bürger an. Hier erzählt der Ver¬
fasser, wie in den Reichsstädten Recht gesprochen wird, wie sich Geschlechter und
Zünfte gegenüberstehen, er berichtet von den Schöffen, die ohne Lohn und Eut-



Norvs, Jo^us se iÄus omnium g'ondiam, xsr ^oMNöw Loomum ^uds-nura, Isnwuiouw,
ox wultis o!s>ri""imis rvrnm sorixtoridns voUoobi. ^."Aust-w Vinävl. 1520.
Weihnachtsbräuche in der Reformationszeit.

er Sitte und Brauch der deutscheu Vorfahren während des Mittel¬
alters schildern will, muß seinen Stoff von den verschiedensten
Orten her zusammentragen; da sind die Geschichtsbücher, die Lieder
und Sagen, die Denkmäler der bildenden Künste zu befragen, da
geben die Auszeichnungen des heimischen Rechts und die Novellen-
sammluugen manch überraschenden Beitrag; fremde Reisende, die unser Vater¬
land durchzogen, bewahrten in stummer Verwunderung über das seltsame Ge-
bahren diesen und jenen ihnen fremdartigen Zug auf, doch nirgends findet sich
eine umfassende Erzählung. Der erste, dem wir darüber ausführlichere Kunde
verdanken, ist der Baier Johannes Bom. Geboren zu Und an der Gotland,
war er im letzten Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts Kaplan des Deutsch-
ordeus zu Ulm; sein Werk „Alter Völker Sitten, Gesetze und Gebräuche"
erschien zuerst im Jahre 1520 zu Augsburg und zerfällt in drei Bücher*). Nach¬
dem er als Einleitung den Ursprung des Menschengeschlechts behandelt hat,
giebt er im ersten Buche eine Schilderung der Bewohner Afrikas, im zweiten
der Asiens und im dritten der europäischen Volker. Das wertvollste an seiner
Schrift ist für uns die Beschreibung Deutschlands, vor allem Frankens, seiner
Heimat. Ein Abschnitt, der Llvririani-i des Taeitus entlehnt, bildet hier die
Einleitung, dann entwirft der Verfasser aus eigner Anschauung ein farbenreiches
Bild der deutschen Stände, voran der Geistlichkeit, „deren großer Teil sich dem
Nichtsthun hingiebt; nnr wenige beschäftigen sich mit den Wissenschaften, die
Nachmittagsstunden bringen sie mit Spielen und Trinken hin." Als zweiten
Stand nennt er die Fürsten und den Adel und schilt mit bittern Worten ihre
Unbotmäßigkeit gegen das Reich und ihre Herrschsucht. „Wer von ihnen Handel
treibt oder ein Handwerk, der entweiht ihren Stand; die Jagd betrachten sie
für ihr ausschließliches Vorrecht, weitere Strecke« zu Fuß zu gehen, halten sie
für entehrend, doch zu plündern, wenn ihnen das Nötige fehlt, scheuen sie sich
nicht; unglaublich ist, in welcher Weise sie die unglücklichen Bauern quälen,
unser deutsches Vaterland wäre drei-, viermal so glücklich, wenn jene Dionyst'
entweder vertrieben oder mit Einschränkung ihrer Macht gezwungen würden, als
gewöhnliche Leute, wie die Edeln in der Schweiz, zu leben."

Als dritter Stand schließen sich die Bürger an. Hier erzählt der Ver¬
fasser, wie in den Reichsstädten Recht gesprochen wird, wie sich Geschlechter und
Zünfte gegenüberstehen, er berichtet von den Schöffen, die ohne Lohn und Eut-



Norvs, Jo^us se iÄus omnium g'ondiam, xsr ^oMNöw Loomum ^uds-nura, Isnwuiouw,
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[0664] Weihnachtsbräuche in der Reformationszeit. er Sitte und Brauch der deutscheu Vorfahren während des Mittel¬ alters schildern will, muß seinen Stoff von den verschiedensten Orten her zusammentragen; da sind die Geschichtsbücher, die Lieder und Sagen, die Denkmäler der bildenden Künste zu befragen, da geben die Auszeichnungen des heimischen Rechts und die Novellen- sammluugen manch überraschenden Beitrag; fremde Reisende, die unser Vater¬ land durchzogen, bewahrten in stummer Verwunderung über das seltsame Ge- bahren diesen und jenen ihnen fremdartigen Zug auf, doch nirgends findet sich eine umfassende Erzählung. Der erste, dem wir darüber ausführlichere Kunde verdanken, ist der Baier Johannes Bom. Geboren zu Und an der Gotland, war er im letzten Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts Kaplan des Deutsch- ordeus zu Ulm; sein Werk „Alter Völker Sitten, Gesetze und Gebräuche" erschien zuerst im Jahre 1520 zu Augsburg und zerfällt in drei Bücher*). Nach¬ dem er als Einleitung den Ursprung des Menschengeschlechts behandelt hat, giebt er im ersten Buche eine Schilderung der Bewohner Afrikas, im zweiten der Asiens und im dritten der europäischen Volker. Das wertvollste an seiner Schrift ist für uns die Beschreibung Deutschlands, vor allem Frankens, seiner Heimat. Ein Abschnitt, der Llvririani-i des Taeitus entlehnt, bildet hier die Einleitung, dann entwirft der Verfasser aus eigner Anschauung ein farbenreiches Bild der deutschen Stände, voran der Geistlichkeit, „deren großer Teil sich dem Nichtsthun hingiebt; nnr wenige beschäftigen sich mit den Wissenschaften, die Nachmittagsstunden bringen sie mit Spielen und Trinken hin." Als zweiten Stand nennt er die Fürsten und den Adel und schilt mit bittern Worten ihre Unbotmäßigkeit gegen das Reich und ihre Herrschsucht. „Wer von ihnen Handel treibt oder ein Handwerk, der entweiht ihren Stand; die Jagd betrachten sie für ihr ausschließliches Vorrecht, weitere Strecke« zu Fuß zu gehen, halten sie für entehrend, doch zu plündern, wenn ihnen das Nötige fehlt, scheuen sie sich nicht; unglaublich ist, in welcher Weise sie die unglücklichen Bauern quälen, unser deutsches Vaterland wäre drei-, viermal so glücklich, wenn jene Dionyst' entweder vertrieben oder mit Einschränkung ihrer Macht gezwungen würden, als gewöhnliche Leute, wie die Edeln in der Schweiz, zu leben." Als dritter Stand schließen sich die Bürger an. Hier erzählt der Ver¬ fasser, wie in den Reichsstädten Recht gesprochen wird, wie sich Geschlechter und Zünfte gegenüberstehen, er berichtet von den Schöffen, die ohne Lohn und Eut- Norvs, Jo^us se iÄus omnium g'ondiam, xsr ^oMNöw Loomum ^uds-nura, Isnwuiouw, ox wultis o!s>ri»»imis rvrnm sorixtoridns voUoobi. ^.«Aust-w Vinävl. 1520.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/664>, abgerufen am 29.06.2024.