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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Joseph von Sounenfels.

angeflickter Schellen nicht; es hat eigentümliche und wahrhaft scherzhafte Ein¬
fälle genug, die es aufheitern." In einem spätern Briefe werden die sprach¬
lichen Vorzüge gewürdigt, welche Lessings Stücke auszeichnen.

Die Schrift von Wilibald Müller stellt genauer dar, wie sich Sonnen¬
fels erfolgreich gegen die Unsittlichkeiten der Wiener Bühne, gegen die Herrschaft
der Burleske und des Hanswurstes, gegen die extemporirten Stücke wandte, und
welches die äußern Vorgänge dabei waren. Bei der großen Theaterlust der
Wiener und der Intelligenz des österreichischen Adels ließ sich von vornherein
erwarten, daß die Kniserstadt an der Donan ein Hauptsitz der dramatischen Kunst
und ein Stützpunkt für die Entwicklung des Theaters werden würde. Wir lassen
hier das Detail jener Bewegung unberücksichtigt, welche übrigens, wie natürlich,
in den dramaturgischen Schriften Sonnenfelsens, neben den Exkursen ans dem
Gebiete der französischen und englischen Literatur und neben der Besprechung
von Personalfragen und dramatischen Arbeiten, sich mehrfach widerspiegelt.
Ebenso soll ein andrer, von den Literarhistorikern ins Ange gefaßter Punkt,
nämlich das persönliche Verhältnis, welches zwischen Sounenfels und Lessing
bestanden hat, in der vorliegenden Skizze nnr kurz berührt werden. Man hat
Sounenfels beschuldigt, die Berufung Lessings nach Wien, über welche in den
Jahren 1769--1772 Verhandlungen schwebten, hintertrieben zu haben. Wilibald
Müller geht auf diesen Vorwurf, und was damit zusammenhängt, ausführlich
ein; er gelangt zu dem Resultat, daß Sonnensels nie in der Lage gewesen sei,
ans jene Berufung, die man an maßgebender Stelle durchaus uicht ernst genommen
habe, Einfluß auszuüben. Thatsächlich hatte sich allerdings, wie den Kennern
wohlbewußt ist, zwischen Sonnenfels und Lessing eine Art Spannung gebildet,
welche in den verschiedenen Beziehungen beider Männer zu Klotz ihren Grund
hatte. Aber es scheint, daß hieraus kein Gewicht gelegt werden darf und daß
es die Sache über Gebühr ausbeuten hieße, wenn man das Urteil über den
Charakter und die persönlichen Eigenschaften des einen oder des andern darnach
mit bestimmen wollte. Die erwähnten Auseinandersetzungen in der Müllerschen
Schrift tragen durchaus das Gepräge der Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit,
wie deun überhaupt jeder, der ein knappes, aber vollständiges und gleichmäßiges
Bild von Sonnenfelsens Leben und Thätigkeit haben will, sich Müllers Dar¬
stellung empfohlen lassen sein mag.




Joseph von Sounenfels.

angeflickter Schellen nicht; es hat eigentümliche und wahrhaft scherzhafte Ein¬
fälle genug, die es aufheitern." In einem spätern Briefe werden die sprach¬
lichen Vorzüge gewürdigt, welche Lessings Stücke auszeichnen.

Die Schrift von Wilibald Müller stellt genauer dar, wie sich Sonnen¬
fels erfolgreich gegen die Unsittlichkeiten der Wiener Bühne, gegen die Herrschaft
der Burleske und des Hanswurstes, gegen die extemporirten Stücke wandte, und
welches die äußern Vorgänge dabei waren. Bei der großen Theaterlust der
Wiener und der Intelligenz des österreichischen Adels ließ sich von vornherein
erwarten, daß die Kniserstadt an der Donan ein Hauptsitz der dramatischen Kunst
und ein Stützpunkt für die Entwicklung des Theaters werden würde. Wir lassen
hier das Detail jener Bewegung unberücksichtigt, welche übrigens, wie natürlich,
in den dramaturgischen Schriften Sonnenfelsens, neben den Exkursen ans dem
Gebiete der französischen und englischen Literatur und neben der Besprechung
von Personalfragen und dramatischen Arbeiten, sich mehrfach widerspiegelt.
Ebenso soll ein andrer, von den Literarhistorikern ins Ange gefaßter Punkt,
nämlich das persönliche Verhältnis, welches zwischen Sounenfels und Lessing
bestanden hat, in der vorliegenden Skizze nnr kurz berührt werden. Man hat
Sounenfels beschuldigt, die Berufung Lessings nach Wien, über welche in den
Jahren 1769—1772 Verhandlungen schwebten, hintertrieben zu haben. Wilibald
Müller geht auf diesen Vorwurf, und was damit zusammenhängt, ausführlich
ein; er gelangt zu dem Resultat, daß Sonnensels nie in der Lage gewesen sei,
ans jene Berufung, die man an maßgebender Stelle durchaus uicht ernst genommen
habe, Einfluß auszuüben. Thatsächlich hatte sich allerdings, wie den Kennern
wohlbewußt ist, zwischen Sonnenfels und Lessing eine Art Spannung gebildet,
welche in den verschiedenen Beziehungen beider Männer zu Klotz ihren Grund
hatte. Aber es scheint, daß hieraus kein Gewicht gelegt werden darf und daß
es die Sache über Gebühr ausbeuten hieße, wenn man das Urteil über den
Charakter und die persönlichen Eigenschaften des einen oder des andern darnach
mit bestimmen wollte. Die erwähnten Auseinandersetzungen in der Müllerschen
Schrift tragen durchaus das Gepräge der Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit,
wie deun überhaupt jeder, der ein knappes, aber vollständiges und gleichmäßiges
Bild von Sonnenfelsens Leben und Thätigkeit haben will, sich Müllers Dar¬
stellung empfohlen lassen sein mag.




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[0663] Joseph von Sounenfels. angeflickter Schellen nicht; es hat eigentümliche und wahrhaft scherzhafte Ein¬ fälle genug, die es aufheitern." In einem spätern Briefe werden die sprach¬ lichen Vorzüge gewürdigt, welche Lessings Stücke auszeichnen. Die Schrift von Wilibald Müller stellt genauer dar, wie sich Sonnen¬ fels erfolgreich gegen die Unsittlichkeiten der Wiener Bühne, gegen die Herrschaft der Burleske und des Hanswurstes, gegen die extemporirten Stücke wandte, und welches die äußern Vorgänge dabei waren. Bei der großen Theaterlust der Wiener und der Intelligenz des österreichischen Adels ließ sich von vornherein erwarten, daß die Kniserstadt an der Donan ein Hauptsitz der dramatischen Kunst und ein Stützpunkt für die Entwicklung des Theaters werden würde. Wir lassen hier das Detail jener Bewegung unberücksichtigt, welche übrigens, wie natürlich, in den dramaturgischen Schriften Sonnenfelsens, neben den Exkursen ans dem Gebiete der französischen und englischen Literatur und neben der Besprechung von Personalfragen und dramatischen Arbeiten, sich mehrfach widerspiegelt. Ebenso soll ein andrer, von den Literarhistorikern ins Ange gefaßter Punkt, nämlich das persönliche Verhältnis, welches zwischen Sounenfels und Lessing bestanden hat, in der vorliegenden Skizze nnr kurz berührt werden. Man hat Sounenfels beschuldigt, die Berufung Lessings nach Wien, über welche in den Jahren 1769—1772 Verhandlungen schwebten, hintertrieben zu haben. Wilibald Müller geht auf diesen Vorwurf, und was damit zusammenhängt, ausführlich ein; er gelangt zu dem Resultat, daß Sonnensels nie in der Lage gewesen sei, ans jene Berufung, die man an maßgebender Stelle durchaus uicht ernst genommen habe, Einfluß auszuüben. Thatsächlich hatte sich allerdings, wie den Kennern wohlbewußt ist, zwischen Sonnenfels und Lessing eine Art Spannung gebildet, welche in den verschiedenen Beziehungen beider Männer zu Klotz ihren Grund hatte. Aber es scheint, daß hieraus kein Gewicht gelegt werden darf und daß es die Sache über Gebühr ausbeuten hieße, wenn man das Urteil über den Charakter und die persönlichen Eigenschaften des einen oder des andern darnach mit bestimmen wollte. Die erwähnten Auseinandersetzungen in der Müllerschen Schrift tragen durchaus das Gepräge der Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit, wie deun überhaupt jeder, der ein knappes, aber vollständiges und gleichmäßiges Bild von Sonnenfelsens Leben und Thätigkeit haben will, sich Müllers Dar¬ stellung empfohlen lassen sein mag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/663>, abgerufen am 29.06.2024.