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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Joseph von Toiuieiifels.

Einwendungen gemacht. "Lessing hat eine so magere Geschichte zu seinem
Vorwürfe gewühlt, daß er Lessing sein mußte, um darin den Stoff zu fünf
Aufzügen aufzufinden. Das Handschreiben des Königs hat ganz keine Ähnlich¬
keit mit dem Befehle des Königs in Tartüffe, die jemand darin finden wollte:
macht nicht, wie dort, die Elitwicklung des Stückes, ohne alle Anlagen und Zu¬
bereitung, ein Schwert, das, wie auf den Sinnbildern, aus eiuer Wolke kömmt,
und deu Knoten zerhaue. So würde freilich ein dramatischer Werkgesell zuge¬
fahren sein; er würde den Knoten darin haben bestehen lassen, daß der unglück¬
liche Major das Madchen nicht unglücklich machen will: nun käme das Schreiben,
die Schwierigkeit wäre gehoben -- nun wanderten sie gewiß freudig dem Feld-
kaplcme zu. Nicht so Lessing: er will vom Zuschauer uicht erraten sein: der
Brief, zu dem er deu Zuschauer gehörig vorbereitet hatte, macht einen Teil
der Verwicklung mit ans, aber er wirft den Liebhaber gegen unsre Erwartung
aus dem Hafen wieder in die offne See. -- Im Ernste: ich bin mit dem ge¬
zierten Wesen des sächsischen Fräuleins nicht zufrieden. Eine kleine Strandung
noch -- allenfalls zur Rache, allenfalls, wie es selbst sagt, um sich den Anblick
seines ganzen Herzens zu verschaffen, dafür würde ich dem Verfasser gedankt
haben; aber die Sperrung geht zu weit, und schwächet bei mir das Wohlwollen
gegen Minnen, der ich sonst vom Herzen gut war. Wo will, denke ich bei mir,
die Phantastin damit hinaus? ich weiß gleichwohl, daß sie sich nur ziert, und
daß sie den Augenblick schwer erwartet, sich dem Manne an den Hals zu
werfen. Für deu Zuschauer ist also der Knoten immer schon entzwei: er sieht
in dein Mädchen nnr noch ein kleines boshaftes Geschöpf, wie so viele ihres
Geschlechts, dem man es sehr gerne glaubt: daß ihr Gemahl ihr nie einen
Streich spielen soll, ohne daß sie ihm gleich wieder einen darauf spielt -- und
am Ende wünscht man dem Major ernstlich so viele Herrschaft über sich
selbst, daß er das neckische Wesen für sich nach Sachsen ziehen lasten möchte. --
Die nehmliche Werners und Franziskcns, so sorgfältig sie der Verfasser an
der Hauptbegebenheit hergcschmieget hat, schwächet immer den Hauptanteil. Man
hört uicht einen Augenblick auf, den guten Leuten recht gut zu sein: und das
Mädchen ist wirklich klüger als sein Fräulein: denn es zieht sich bei dem ersten
Auffahren seines lieben Wachtmeisters zurück. -- Rieaut de Marliniere, einen be¬
urlaubten Offizier, dein der Verfasser alle Unbesonnenheiten, Großsprechereien
und Taschenkünste unsrer Cadedis beigelegt, der seiue Sprache wie das Deutsche
radebricht, haben die deutschen Schauspieler weggelassen; wie sie sagen, weil sie
keinen unter ihnen haben, der das Französische mit der notwendigen Fertigkeit
spricht. Mail vermißt ihn bei der Aufführung im geringsten nicht. Aber eine
Rolle, die nirgend in einem Stücke die geringste Lücke zurückläßt, ist gewiß eine
müßige Rolle. Was möchte wohl also die Absicht des Verfassers gewesen sein,
als er sie mit in sein Stück aufnahm? Vermutlich die Risade! Die Wiener -
buhlte hat Lessingen gegen sich selbst Recht verschafft: sein Stück braucht solcher


Joseph von Toiuieiifels.

Einwendungen gemacht. „Lessing hat eine so magere Geschichte zu seinem
Vorwürfe gewühlt, daß er Lessing sein mußte, um darin den Stoff zu fünf
Aufzügen aufzufinden. Das Handschreiben des Königs hat ganz keine Ähnlich¬
keit mit dem Befehle des Königs in Tartüffe, die jemand darin finden wollte:
macht nicht, wie dort, die Elitwicklung des Stückes, ohne alle Anlagen und Zu¬
bereitung, ein Schwert, das, wie auf den Sinnbildern, aus eiuer Wolke kömmt,
und deu Knoten zerhaue. So würde freilich ein dramatischer Werkgesell zuge¬
fahren sein; er würde den Knoten darin haben bestehen lassen, daß der unglück¬
liche Major das Madchen nicht unglücklich machen will: nun käme das Schreiben,
die Schwierigkeit wäre gehoben — nun wanderten sie gewiß freudig dem Feld-
kaplcme zu. Nicht so Lessing: er will vom Zuschauer uicht erraten sein: der
Brief, zu dem er deu Zuschauer gehörig vorbereitet hatte, macht einen Teil
der Verwicklung mit ans, aber er wirft den Liebhaber gegen unsre Erwartung
aus dem Hafen wieder in die offne See. — Im Ernste: ich bin mit dem ge¬
zierten Wesen des sächsischen Fräuleins nicht zufrieden. Eine kleine Strandung
noch — allenfalls zur Rache, allenfalls, wie es selbst sagt, um sich den Anblick
seines ganzen Herzens zu verschaffen, dafür würde ich dem Verfasser gedankt
haben; aber die Sperrung geht zu weit, und schwächet bei mir das Wohlwollen
gegen Minnen, der ich sonst vom Herzen gut war. Wo will, denke ich bei mir,
die Phantastin damit hinaus? ich weiß gleichwohl, daß sie sich nur ziert, und
daß sie den Augenblick schwer erwartet, sich dem Manne an den Hals zu
werfen. Für deu Zuschauer ist also der Knoten immer schon entzwei: er sieht
in dein Mädchen nnr noch ein kleines boshaftes Geschöpf, wie so viele ihres
Geschlechts, dem man es sehr gerne glaubt: daß ihr Gemahl ihr nie einen
Streich spielen soll, ohne daß sie ihm gleich wieder einen darauf spielt — und
am Ende wünscht man dem Major ernstlich so viele Herrschaft über sich
selbst, daß er das neckische Wesen für sich nach Sachsen ziehen lasten möchte. —
Die nehmliche Werners und Franziskcns, so sorgfältig sie der Verfasser an
der Hauptbegebenheit hergcschmieget hat, schwächet immer den Hauptanteil. Man
hört uicht einen Augenblick auf, den guten Leuten recht gut zu sein: und das
Mädchen ist wirklich klüger als sein Fräulein: denn es zieht sich bei dem ersten
Auffahren seines lieben Wachtmeisters zurück. — Rieaut de Marliniere, einen be¬
urlaubten Offizier, dein der Verfasser alle Unbesonnenheiten, Großsprechereien
und Taschenkünste unsrer Cadedis beigelegt, der seiue Sprache wie das Deutsche
radebricht, haben die deutschen Schauspieler weggelassen; wie sie sagen, weil sie
keinen unter ihnen haben, der das Französische mit der notwendigen Fertigkeit
spricht. Mail vermißt ihn bei der Aufführung im geringsten nicht. Aber eine
Rolle, die nirgend in einem Stücke die geringste Lücke zurückläßt, ist gewiß eine
müßige Rolle. Was möchte wohl also die Absicht des Verfassers gewesen sein,
als er sie mit in sein Stück aufnahm? Vermutlich die Risade! Die Wiener -
buhlte hat Lessingen gegen sich selbst Recht verschafft: sein Stück braucht solcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/662>, abgerufen am 29.06.2024.