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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Joseph von Souneufels.

"lehr pädagogischen Fragen sind verhältnismäßig am besten angefaßt; für wirklich
bedeutend müssen Ausführungen gelten, wie die über die Grenzen des elterlichen
Züchtigungsrechts, über die Unbilligkeit, mit seinein Kinde als mit seinem Eigen¬
tum zu schalten u. tgi. Ein paar Proben mögen die freie Denkweise und zugleich
deu lebendigen Stil des Verfassers vergegenwärtigen. "Die Gewalt der väter¬
lichen Züchtigung," heißt es u. a., "reichet weiter nicht, als so ferne sie der
Erziehung zur Seite gehen, und zu der Besserung beitragen muß. Ein Bild¬
hauer soll an seinem Werke eine kleine Hervorragung ebenen, er nimmt die
Hacke, und schlägt die Bildsäule in Stücke. Das ist das Verfahren der Ältern,
welche Wunden schlagen, wo sie nur glätten sollten, welche brechen, wo sie nur
biegen sollten." Ferner: "Die Neigung des Kindes, das ist das Opfer, in dem
sich Hausdespoten am meisten Wohlgefallen. "Thue für deinen Vater!" spricht
er, "was dieser für dich that!" -- Wenn um der Sohn den Vater fragte:
"Was haben Sie für mich gethan!" was könnte ihm dieser antworten: "Ich
habe mich nach meiner Neigung verehelicht, du bist ohne meinen Willen gebohren
worden: aber ich habe dich erzogen." -- So mag dann der Wirgpfaff zu dem
Opfervieh sprechen: "Sieh, was ich für dich gethan habe! ich habe dich gemästet,
damit du zum Schlachten fett seist" -- wie der Vater: "ich habe dich groß
gezogen, um meinen Absichten gewürget zu werden." Gemüthsneigung, Fähig¬
keiten, wenn man diese zu Rath zöge, konnte mancher Sohn schon in den Windeln,
manche Tochter im Kinderröckchen bestimmet sein? Der Domherr am Weisbande
und der Oberste auf der Schulbank, hat dieser von seiner Frömmigkeit, hat
jener von seiner kriegerischen Neigung Merkmale gegeben? Der Vater berath¬
schlaget also mit niemandem als mit sich selbst, und mit seinen Absichten: sein
Willen henget den Nacken des Kindes nnter das Joch des unbilligsten Gesetzes,
welches sich mit dem heiligsten Ansetzn der Natur waffnet, und oft dem un¬
glücklichen Sklaven der gemißbrauchten väterlichen Gewalt, selbst den elenden
Trost, zu seufzen, raubet, der dein Galercnsklavcn an der Ruderbank nicht versagt
ist." -- Hierher gehört auch folgende Apostrophe: "Eltern! denket weniger, daß
eure Kinder zu eurer Ergötzung ihr Dasein erhalten haben, als um dereinst
Menschen, Bürger zu sein! oder wenn ihr ja den süssen Namen Bater nothwendig
mit der Ergützung verbunden glaubt -- es wird das Glück der Gesellschaft
ausmachen, wenn diese Meinung allgemein ist -- so suchet diese Ergötzung nnr
uicht aus Unkosten des Klubs, das ihr glücklich zu machen verpflichtet seid, und
wünschet. Suchet diese Ergötzungen nicht in den Gaukeleien der kleinen Spiel¬
thiere. Es sind keine Affen, die ihr vor euch habet: es sind Kinder, die Bürger
werden, die eure Stelle in der Gesellschaft besetzen, wann ihr dereinst abtretet,
die Freude, der Stab, eures Alters werden sollen. In Sachen, die euch vor¬
hinein zeigen, daß sie eure Hoffnung, daß sie ihre Bestimmung erfüllen werden,
in diesen findet das Reizende der Kindheit!"


Joseph von Souneufels.

«lehr pädagogischen Fragen sind verhältnismäßig am besten angefaßt; für wirklich
bedeutend müssen Ausführungen gelten, wie die über die Grenzen des elterlichen
Züchtigungsrechts, über die Unbilligkeit, mit seinein Kinde als mit seinem Eigen¬
tum zu schalten u. tgi. Ein paar Proben mögen die freie Denkweise und zugleich
deu lebendigen Stil des Verfassers vergegenwärtigen. „Die Gewalt der väter¬
lichen Züchtigung," heißt es u. a., „reichet weiter nicht, als so ferne sie der
Erziehung zur Seite gehen, und zu der Besserung beitragen muß. Ein Bild¬
hauer soll an seinem Werke eine kleine Hervorragung ebenen, er nimmt die
Hacke, und schlägt die Bildsäule in Stücke. Das ist das Verfahren der Ältern,
welche Wunden schlagen, wo sie nur glätten sollten, welche brechen, wo sie nur
biegen sollten." Ferner: „Die Neigung des Kindes, das ist das Opfer, in dem
sich Hausdespoten am meisten Wohlgefallen. »Thue für deinen Vater!« spricht
er, »was dieser für dich that!« — Wenn um der Sohn den Vater fragte:
»Was haben Sie für mich gethan!« was könnte ihm dieser antworten: »Ich
habe mich nach meiner Neigung verehelicht, du bist ohne meinen Willen gebohren
worden: aber ich habe dich erzogen.« — So mag dann der Wirgpfaff zu dem
Opfervieh sprechen: »Sieh, was ich für dich gethan habe! ich habe dich gemästet,
damit du zum Schlachten fett seist« — wie der Vater: »ich habe dich groß
gezogen, um meinen Absichten gewürget zu werden.« Gemüthsneigung, Fähig¬
keiten, wenn man diese zu Rath zöge, konnte mancher Sohn schon in den Windeln,
manche Tochter im Kinderröckchen bestimmet sein? Der Domherr am Weisbande
und der Oberste auf der Schulbank, hat dieser von seiner Frömmigkeit, hat
jener von seiner kriegerischen Neigung Merkmale gegeben? Der Vater berath¬
schlaget also mit niemandem als mit sich selbst, und mit seinen Absichten: sein
Willen henget den Nacken des Kindes nnter das Joch des unbilligsten Gesetzes,
welches sich mit dem heiligsten Ansetzn der Natur waffnet, und oft dem un¬
glücklichen Sklaven der gemißbrauchten väterlichen Gewalt, selbst den elenden
Trost, zu seufzen, raubet, der dein Galercnsklavcn an der Ruderbank nicht versagt
ist." — Hierher gehört auch folgende Apostrophe: „Eltern! denket weniger, daß
eure Kinder zu eurer Ergötzung ihr Dasein erhalten haben, als um dereinst
Menschen, Bürger zu sein! oder wenn ihr ja den süssen Namen Bater nothwendig
mit der Ergützung verbunden glaubt — es wird das Glück der Gesellschaft
ausmachen, wenn diese Meinung allgemein ist — so suchet diese Ergötzung nnr
uicht aus Unkosten des Klubs, das ihr glücklich zu machen verpflichtet seid, und
wünschet. Suchet diese Ergötzungen nicht in den Gaukeleien der kleinen Spiel¬
thiere. Es sind keine Affen, die ihr vor euch habet: es sind Kinder, die Bürger
werden, die eure Stelle in der Gesellschaft besetzen, wann ihr dereinst abtretet,
die Freude, der Stab, eures Alters werden sollen. In Sachen, die euch vor¬
hinein zeigen, daß sie eure Hoffnung, daß sie ihre Bestimmung erfüllen werden,
in diesen findet das Reizende der Kindheit!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/656>, abgerufen am 29.06.2024.