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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Joseplz von Souueuscls.

Der "Mann ohne Vorurteil" zeigt eine große Vielseitigkeit. So findet
sich beispielsweise mich ein Abschnitt, wo für eine andre Methode des Latein-
lernens platirt wird. Man solle, wird verlangt, die alte Sprache ebenso rasch
und praktisch abmachen wie das Französisch. Ein andermal wird Kapa-ka-um
gefragt, ob er nicht die Jagd nnter die gesitteten Vergnügungen rechne. "Ich
weiß nicht," lautet seine Antwort, "was meine Mitbrüder thun. Aber ich weiß,
daß ich an ihrer Stelle jagen würde, allenfalls um mir durch Erlegung der
Thiere Fleisch, wenn ich nun einmal an diese Speise verwöhnt Ware, zu ver¬
schaffen: daß ich aber nicht das Thier, wie ihr, erlegen würde, um zu jage".
Die Jagd würde denn ein Mittel meiner Erhaltung, nicht meiner Ergötzlich¬
keit sein."

Soweit bei Sonnenfels die öffentliche Thätigkeit mit der amtlichen Stellung
zusammenhing, bietet sie uur ein spezinlgeschichtliches Interesse. Bemerkenswert
ist, daß Svnnenfels den neuen, zu durchgreifender Umgestaltung der bisherigen
Anschauungen drängenden staatswissenschaftlicher Lehrsätzen, welche in England
und Frankreich bereits allgemeine Verbreitung gefunden hatten, auch in Öster¬
reich Eingang und Bürgerrecht verschaffte, daß er der erste Verfechter des
Josephinismns war, insofern seine Theorien im wesentlichen den guten Zweck
verfolgten, die klerikale Allgewalt zu Gunsten der Regierung zu vermindern.
Aber auf seine mannichfachen staatswissenschaftlicher Schriften, auf seine Be¬
obachtungen in Sachen der Polizeigesetzgebung, auf sein Urteil in der Frage der
Entscheidung durch Stimmenmehrheit bei gerichtlichen Urteilen u. s. w. näher
einzugehen, dürfte hier nicht der Ort sein. Nur das, was Sonnenfels für die
Aufhebung der Folter in Österreich that, erfordert ein besonderes Wort, da die
Sache vielfach unrichtig dargestellt wird. Man findet häufig die Ansicht, daß
Sonnenfels die Abschaffung der Tortur durchgesetzt habe. Indeß war er weder
der alleinige Gegner der Tortur, noch hat er bei dem Staatsakte, der den aus¬
gedehnten Verhandlungen über das fragliche Thema von oben herab ein Ende
"nichte, den Ausschlag gegeben. Es ist Thatsache, daß am Kaiserhofe weit
liberalere Anschauungen, als sie Svnnenfels vertrat, den Sieg errangen und
die Aufhebung der Folter schlechtweg dekretirt wurde, während Sonnenfels für
gewisse Fälle die Beibehaltung wollte. Übrigens bekleidete Sonueufels nie eine
Stellung, in welcher er wirklich selbständig und unbeeinflußt von den Tendenzen
höherer Behörden an der Regierung hätte teilnehmen können. Seine Haupt¬
thätigkeit im Stnatsdicuste war vollauf in Anspruch genommen durch Zensnr-
geschäftc. Zuerst war er Zensor des Theaters, dann Zensor des Bücher-Rc-
visivnsrates und schließlich Zensor der Gesetzessammlungen und Regicruugspatente.

In den Einzelheiten verlor das politisch-stantswissenschaftlichc Programm,
welches Sonnenfels aufstellte, im Laufe der Zeit mehr und mehr an Haltbar¬
keit. Immerhin sind aber gewisse Grundzüge desselben, die Anlehnung an den
^ontr^t 8oval, das Prinzip, daß durch möglichst große Bevölkerung das Staats-


Joseplz von Souueuscls.

Der „Mann ohne Vorurteil" zeigt eine große Vielseitigkeit. So findet
sich beispielsweise mich ein Abschnitt, wo für eine andre Methode des Latein-
lernens platirt wird. Man solle, wird verlangt, die alte Sprache ebenso rasch
und praktisch abmachen wie das Französisch. Ein andermal wird Kapa-ka-um
gefragt, ob er nicht die Jagd nnter die gesitteten Vergnügungen rechne. „Ich
weiß nicht," lautet seine Antwort, „was meine Mitbrüder thun. Aber ich weiß,
daß ich an ihrer Stelle jagen würde, allenfalls um mir durch Erlegung der
Thiere Fleisch, wenn ich nun einmal an diese Speise verwöhnt Ware, zu ver¬
schaffen: daß ich aber nicht das Thier, wie ihr, erlegen würde, um zu jage».
Die Jagd würde denn ein Mittel meiner Erhaltung, nicht meiner Ergötzlich¬
keit sein."

Soweit bei Sonnenfels die öffentliche Thätigkeit mit der amtlichen Stellung
zusammenhing, bietet sie uur ein spezinlgeschichtliches Interesse. Bemerkenswert
ist, daß Svnnenfels den neuen, zu durchgreifender Umgestaltung der bisherigen
Anschauungen drängenden staatswissenschaftlicher Lehrsätzen, welche in England
und Frankreich bereits allgemeine Verbreitung gefunden hatten, auch in Öster¬
reich Eingang und Bürgerrecht verschaffte, daß er der erste Verfechter des
Josephinismns war, insofern seine Theorien im wesentlichen den guten Zweck
verfolgten, die klerikale Allgewalt zu Gunsten der Regierung zu vermindern.
Aber auf seine mannichfachen staatswissenschaftlicher Schriften, auf seine Be¬
obachtungen in Sachen der Polizeigesetzgebung, auf sein Urteil in der Frage der
Entscheidung durch Stimmenmehrheit bei gerichtlichen Urteilen u. s. w. näher
einzugehen, dürfte hier nicht der Ort sein. Nur das, was Sonnenfels für die
Aufhebung der Folter in Österreich that, erfordert ein besonderes Wort, da die
Sache vielfach unrichtig dargestellt wird. Man findet häufig die Ansicht, daß
Sonnenfels die Abschaffung der Tortur durchgesetzt habe. Indeß war er weder
der alleinige Gegner der Tortur, noch hat er bei dem Staatsakte, der den aus¬
gedehnten Verhandlungen über das fragliche Thema von oben herab ein Ende
«nichte, den Ausschlag gegeben. Es ist Thatsache, daß am Kaiserhofe weit
liberalere Anschauungen, als sie Svnnenfels vertrat, den Sieg errangen und
die Aufhebung der Folter schlechtweg dekretirt wurde, während Sonnenfels für
gewisse Fälle die Beibehaltung wollte. Übrigens bekleidete Sonueufels nie eine
Stellung, in welcher er wirklich selbständig und unbeeinflußt von den Tendenzen
höherer Behörden an der Regierung hätte teilnehmen können. Seine Haupt¬
thätigkeit im Stnatsdicuste war vollauf in Anspruch genommen durch Zensnr-
geschäftc. Zuerst war er Zensor des Theaters, dann Zensor des Bücher-Rc-
visivnsrates und schließlich Zensor der Gesetzessammlungen und Regicruugspatente.

In den Einzelheiten verlor das politisch-stantswissenschaftlichc Programm,
welches Sonnenfels aufstellte, im Laufe der Zeit mehr und mehr an Haltbar¬
keit. Immerhin sind aber gewisse Grundzüge desselben, die Anlehnung an den
^ontr^t 8oval, das Prinzip, daß durch möglichst große Bevölkerung das Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/657>, abgerufen am 28.09.2024.