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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Das deutsche Haus.

Eine große Schwierigkeit für den Forscher bietet die Seltenheit solcher
Bauernhäuser, welche ihren ursprünglichen Charakter noch rein bewahrt haben.
Umso dankbarer muß man den Verfassern für den außerordentlichen Fleiß sein,
mit welchen: sie das verstreute Material aus den entlegensten Orten und Zeiten
gesammelt haben, nicht minder aber für die scharfsinnige Beweisführung, mit
der sie zeigen, daß die verschiedenen Bauarten den Stammeseigentümlichkeiten
der verschiedei,en germanischen Völkerschaften entsprechen und dabei doch auf eine
gemeinsame Grundform zurückweisen. Meitzen bringt überdies die Verbreitungs-
gebiete der wichtigsten Hausformen in dankenswerter Weise kartographisch zur
Darstellung, während sich Herrings Schrift durch geordnete Bvrführnng an¬
sprechender Hansskizzen, welche die Ausführungen des Textes dein Ange zur
Anschauung bringen, auszeichnet.

Wenn nach Cäsar die Germanen zu seiner Zeit überhaupt uoch nicht bauten,
so berichtet schou Taeitus von einem Fortschritt, da nach seinein (und Hervdians)
Zeugnis die deutscheu Häuser schon Wände mit gefälligem Anstrich hatten, und
zwar waren sie häufiger ans Holzstämmen mit Fachbau und Flechtwerk als
aus Mauersteinen und Ziegeln hergestellt. Über den innern Ansbnu sind Nur
ohne Kunde. Gegenüber diesen und ein paar andern geschichtlichen Zeugnissen
aus der ältesten Zeit und den. uns aus späterer Zeit erhaltenen geringen Ban¬
resten ist natürlich der Konjektur ein weiter Spielraum gelassen, den man denn
auch in verschiedner Weise, nicht immer zu Gunsten des deutschen Hauses, aus¬
zufüllen versucht hat. So wollten z. B. Leo von Klenze und Gottfried Semper
aus technischen und konstruktiven Einzelnheiten -- welche Nieder an gothische
Formen noch an Formen der Renaissance erinnerten -- für süddeutsche Bauern¬
häuser spätrömische (romanische) oder gmco-italische Traditionen annehme,?, und
Meitzen selbst leitet einzelne deutsche Hansformen ans der griechischen Tempel-
eella, andre aus dem celtischen ^ngnrinnr ab. Henning weist diese Annahmen
treffend mit dem Hinweise zurück, daß da, wo es sich um die Begründung und
die Herkunft des Hanfes handelt, die entscheidenden Kriterien der Grundriß und
die Anlage des Hauses sind; diese verbänden aber das süddeutsche Haus nicht
mit jenen südlichen Formen, sondern vielmehr mit dem iwrdischen, dein nor¬
wegischen Hanse. Örtliche Verhältnisse, spätere Verwertung baulicher Fortschritte
und Erfindungen (Kalk, Ziegel, Mauerwerk) bei Errichtung der Wohnung können
Anklänge an südliche Formen verursacht haben, ohne deshalb auf die Einrich¬
tung der Wohnung, welche doch den Geist des Volkes widerspiegelt, von Ein¬
fluß gewesen zu sein. Auch ist zu beachten, daß zum Teil jene Ähnlichkeiten
mit südlichen Formen in spätern, abgeleiteten Typen hervortreten, während in
den ursprünglichen Formen nichts davon zu spüren ist.

Findet man -- wie es der Fall ist -- bei den ältesten vorhandenen Häu¬
sern in Deutschland eine Ähnlichkeit mit arischen Formen, so ist nach Henning
dabei nicht sowohl um Entlehnung, als vielmehr an Erbschaft, an gemeinsame


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Das deutsche Haus.

Eine große Schwierigkeit für den Forscher bietet die Seltenheit solcher
Bauernhäuser, welche ihren ursprünglichen Charakter noch rein bewahrt haben.
Umso dankbarer muß man den Verfassern für den außerordentlichen Fleiß sein,
mit welchen: sie das verstreute Material aus den entlegensten Orten und Zeiten
gesammelt haben, nicht minder aber für die scharfsinnige Beweisführung, mit
der sie zeigen, daß die verschiedenen Bauarten den Stammeseigentümlichkeiten
der verschiedei,en germanischen Völkerschaften entsprechen und dabei doch auf eine
gemeinsame Grundform zurückweisen. Meitzen bringt überdies die Verbreitungs-
gebiete der wichtigsten Hausformen in dankenswerter Weise kartographisch zur
Darstellung, während sich Herrings Schrift durch geordnete Bvrführnng an¬
sprechender Hansskizzen, welche die Ausführungen des Textes dein Ange zur
Anschauung bringen, auszeichnet.

Wenn nach Cäsar die Germanen zu seiner Zeit überhaupt uoch nicht bauten,
so berichtet schou Taeitus von einem Fortschritt, da nach seinein (und Hervdians)
Zeugnis die deutscheu Häuser schon Wände mit gefälligem Anstrich hatten, und
zwar waren sie häufiger ans Holzstämmen mit Fachbau und Flechtwerk als
aus Mauersteinen und Ziegeln hergestellt. Über den innern Ansbnu sind Nur
ohne Kunde. Gegenüber diesen und ein paar andern geschichtlichen Zeugnissen
aus der ältesten Zeit und den. uns aus späterer Zeit erhaltenen geringen Ban¬
resten ist natürlich der Konjektur ein weiter Spielraum gelassen, den man denn
auch in verschiedner Weise, nicht immer zu Gunsten des deutschen Hauses, aus¬
zufüllen versucht hat. So wollten z. B. Leo von Klenze und Gottfried Semper
aus technischen und konstruktiven Einzelnheiten — welche Nieder an gothische
Formen noch an Formen der Renaissance erinnerten — für süddeutsche Bauern¬
häuser spätrömische (romanische) oder gmco-italische Traditionen annehme,?, und
Meitzen selbst leitet einzelne deutsche Hansformen ans der griechischen Tempel-
eella, andre aus dem celtischen ^ngnrinnr ab. Henning weist diese Annahmen
treffend mit dem Hinweise zurück, daß da, wo es sich um die Begründung und
die Herkunft des Hanfes handelt, die entscheidenden Kriterien der Grundriß und
die Anlage des Hauses sind; diese verbänden aber das süddeutsche Haus nicht
mit jenen südlichen Formen, sondern vielmehr mit dem iwrdischen, dein nor¬
wegischen Hanse. Örtliche Verhältnisse, spätere Verwertung baulicher Fortschritte
und Erfindungen (Kalk, Ziegel, Mauerwerk) bei Errichtung der Wohnung können
Anklänge an südliche Formen verursacht haben, ohne deshalb auf die Einrich¬
tung der Wohnung, welche doch den Geist des Volkes widerspiegelt, von Ein¬
fluß gewesen zu sein. Auch ist zu beachten, daß zum Teil jene Ähnlichkeiten
mit südlichen Formen in spätern, abgeleiteten Typen hervortreten, während in
den ursprünglichen Formen nichts davon zu spüren ist.

Findet man — wie es der Fall ist — bei den ältesten vorhandenen Häu¬
sern in Deutschland eine Ähnlichkeit mit arischen Formen, so ist nach Henning
dabei nicht sowohl um Entlehnung, als vielmehr an Erbschaft, an gemeinsame


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[0645] Das deutsche Haus. Eine große Schwierigkeit für den Forscher bietet die Seltenheit solcher Bauernhäuser, welche ihren ursprünglichen Charakter noch rein bewahrt haben. Umso dankbarer muß man den Verfassern für den außerordentlichen Fleiß sein, mit welchen: sie das verstreute Material aus den entlegensten Orten und Zeiten gesammelt haben, nicht minder aber für die scharfsinnige Beweisführung, mit der sie zeigen, daß die verschiedenen Bauarten den Stammeseigentümlichkeiten der verschiedei,en germanischen Völkerschaften entsprechen und dabei doch auf eine gemeinsame Grundform zurückweisen. Meitzen bringt überdies die Verbreitungs- gebiete der wichtigsten Hausformen in dankenswerter Weise kartographisch zur Darstellung, während sich Herrings Schrift durch geordnete Bvrführnng an¬ sprechender Hansskizzen, welche die Ausführungen des Textes dein Ange zur Anschauung bringen, auszeichnet. Wenn nach Cäsar die Germanen zu seiner Zeit überhaupt uoch nicht bauten, so berichtet schou Taeitus von einem Fortschritt, da nach seinein (und Hervdians) Zeugnis die deutscheu Häuser schon Wände mit gefälligem Anstrich hatten, und zwar waren sie häufiger ans Holzstämmen mit Fachbau und Flechtwerk als aus Mauersteinen und Ziegeln hergestellt. Über den innern Ansbnu sind Nur ohne Kunde. Gegenüber diesen und ein paar andern geschichtlichen Zeugnissen aus der ältesten Zeit und den. uns aus späterer Zeit erhaltenen geringen Ban¬ resten ist natürlich der Konjektur ein weiter Spielraum gelassen, den man denn auch in verschiedner Weise, nicht immer zu Gunsten des deutschen Hauses, aus¬ zufüllen versucht hat. So wollten z. B. Leo von Klenze und Gottfried Semper aus technischen und konstruktiven Einzelnheiten — welche Nieder an gothische Formen noch an Formen der Renaissance erinnerten — für süddeutsche Bauern¬ häuser spätrömische (romanische) oder gmco-italische Traditionen annehme,?, und Meitzen selbst leitet einzelne deutsche Hansformen ans der griechischen Tempel- eella, andre aus dem celtischen ^ngnrinnr ab. Henning weist diese Annahmen treffend mit dem Hinweise zurück, daß da, wo es sich um die Begründung und die Herkunft des Hanfes handelt, die entscheidenden Kriterien der Grundriß und die Anlage des Hauses sind; diese verbänden aber das süddeutsche Haus nicht mit jenen südlichen Formen, sondern vielmehr mit dem iwrdischen, dein nor¬ wegischen Hanse. Örtliche Verhältnisse, spätere Verwertung baulicher Fortschritte und Erfindungen (Kalk, Ziegel, Mauerwerk) bei Errichtung der Wohnung können Anklänge an südliche Formen verursacht haben, ohne deshalb auf die Einrich¬ tung der Wohnung, welche doch den Geist des Volkes widerspiegelt, von Ein¬ fluß gewesen zu sein. Auch ist zu beachten, daß zum Teil jene Ähnlichkeiten mit südlichen Formen in spätern, abgeleiteten Typen hervortreten, während in den ursprünglichen Formen nichts davon zu spüren ist. Findet man — wie es der Fall ist — bei den ältesten vorhandenen Häu¬ sern in Deutschland eine Ähnlichkeit mit arischen Formen, so ist nach Henning dabei nicht sowohl um Entlehnung, als vielmehr an Erbschaft, an gemeinsame dew'it^wi^u IV. d!I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/645>, abgerufen am 01.07.2024.