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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Das deutsche thans.

das innere Leben des Hauses ankommt, so verkennt er doch anch nicht den
Einfluß, welchen die Sitten und Gewohnheiten eines Volksstanunes anch auf
die äußere Gestaltung des Hanfes haben, und zieht daraus überraschende
Folgerungen, wie gerade die Wohnstätten eines Volkes uns oft tiefe Blicke in
seine innere Entwicklung thun lassen. Wie bedeutsam dieser Umstand für die
Kulturgeschichte ist, hat dann nach Riehl besonders August Meitzen in geistvoller
Weise dargelegt; fein Aufsatz über die Ausbreitung der Dentschen in Deutsch¬
land und ihre Besiedelung der Slaveugebiete (Hildebrand und Conrad, Jahrb.
f. Nationalökon. n. still.. Bd. 32, 1879, S. 1 f.) liefert den überzeugendsten
Beweis, daß mir die Anlage der Wohnstätten und die Verteilung der Grund¬
stücke die Möglichkeit geben, nach Jahrhunderten noch ohne alle andern ge¬
schichtlichen Dokumente festzustellen, wo Deutsche und wo Slaven gehaust haben.
Die altdeutschen Dörfer bildeten ein geschlossenes Ganze von kreisförmiger oder
oblvnger Gestalt, mit Wallhecken und Gräben umzogen, in dem die Gehöfte
planlos umherlagen, mit kleinen winkligen Sack- und Nebengäßchen. Die
slavischen Dörfer dagegen zeigen das Bild einer regelmäßigen, geraden und
kurzen Straße, an welche die Gehöfte zu beiden Seiten in gedrängter Reihe
anstoßen, mit einem Anger in der Mitte; die Gehöfte sind mehr tief als breit,
Wohnhaus und Stall stehen einander gegenüber und sind mit dem Giebel der
Straße zugekehrt, der schmale Hof durch ein Thor oder Thvrhnus gegen den
Dorfweg ab geschloffen. Oder es sind sogenannte Ruudliuge, bei welchen die
Gehöfte um einen runden, nur durch einen einzigen Weg zugänglichen Platz
liegen; die Höfe und Giebelfelder der Hänser drängen sich eng zusammen, die
Gärten laufen keilförmig breiter aus. Meitzen hat nun neuerdings diese Studien
weiter verfolgt und ihre Ergebnisse vor kurzem dargelegt in der Schrift: Das
deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formell (Berlin, D. Reimer, 1832),
lind zufällig ist gleichzeitig derselbe Stoff noch von andrer Seite behandelt
worden, in der Schrift von Rudolf Henning: Das deutsche Haus in
seiner historischen Entwicklung (Straßburg, Trübner, 1882). Die Studie
Meitzens ist eine vermehrte Wiedergabe des von ihm beim ersten deutschen
Geographentage in Berlin im Juni 1881 gehaltenen Vvrtrngs, lind dieser
Umstand konnte auf den Inhalt nud die Form der Darstellung uicht ohne
Einfluß bleibell. Die Schrift Herrings bildet "lehr als jene ein abge¬
schlossenes Ganze.

Beide Schriften behandeln ausnahmslos das Bauernhaus, weil unser
städtisches Haus zwar aus dem Bauernhause entstanden ist, aber feine wettere
Entwicklung doch fremden Knltureinflüssen verdankt und dementsprechend vou der
ursprünglichen Form immer weiter abgewichen ist. Das städtische Haus der
Gegellwart, welches ganz ohne Rücksicht ans die Individualität des Bewohners
eingerichtet ist, vermag daher auch keine individuellen Anschauungen mehr zum
Ausdruck zu bringen.


Das deutsche thans.

das innere Leben des Hauses ankommt, so verkennt er doch anch nicht den
Einfluß, welchen die Sitten und Gewohnheiten eines Volksstanunes anch auf
die äußere Gestaltung des Hanfes haben, und zieht daraus überraschende
Folgerungen, wie gerade die Wohnstätten eines Volkes uns oft tiefe Blicke in
seine innere Entwicklung thun lassen. Wie bedeutsam dieser Umstand für die
Kulturgeschichte ist, hat dann nach Riehl besonders August Meitzen in geistvoller
Weise dargelegt; fein Aufsatz über die Ausbreitung der Dentschen in Deutsch¬
land und ihre Besiedelung der Slaveugebiete (Hildebrand und Conrad, Jahrb.
f. Nationalökon. n. still.. Bd. 32, 1879, S. 1 f.) liefert den überzeugendsten
Beweis, daß mir die Anlage der Wohnstätten und die Verteilung der Grund¬
stücke die Möglichkeit geben, nach Jahrhunderten noch ohne alle andern ge¬
schichtlichen Dokumente festzustellen, wo Deutsche und wo Slaven gehaust haben.
Die altdeutschen Dörfer bildeten ein geschlossenes Ganze von kreisförmiger oder
oblvnger Gestalt, mit Wallhecken und Gräben umzogen, in dem die Gehöfte
planlos umherlagen, mit kleinen winkligen Sack- und Nebengäßchen. Die
slavischen Dörfer dagegen zeigen das Bild einer regelmäßigen, geraden und
kurzen Straße, an welche die Gehöfte zu beiden Seiten in gedrängter Reihe
anstoßen, mit einem Anger in der Mitte; die Gehöfte sind mehr tief als breit,
Wohnhaus und Stall stehen einander gegenüber und sind mit dem Giebel der
Straße zugekehrt, der schmale Hof durch ein Thor oder Thvrhnus gegen den
Dorfweg ab geschloffen. Oder es sind sogenannte Ruudliuge, bei welchen die
Gehöfte um einen runden, nur durch einen einzigen Weg zugänglichen Platz
liegen; die Höfe und Giebelfelder der Hänser drängen sich eng zusammen, die
Gärten laufen keilförmig breiter aus. Meitzen hat nun neuerdings diese Studien
weiter verfolgt und ihre Ergebnisse vor kurzem dargelegt in der Schrift: Das
deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formell (Berlin, D. Reimer, 1832),
lind zufällig ist gleichzeitig derselbe Stoff noch von andrer Seite behandelt
worden, in der Schrift von Rudolf Henning: Das deutsche Haus in
seiner historischen Entwicklung (Straßburg, Trübner, 1882). Die Studie
Meitzens ist eine vermehrte Wiedergabe des von ihm beim ersten deutschen
Geographentage in Berlin im Juni 1881 gehaltenen Vvrtrngs, lind dieser
Umstand konnte auf den Inhalt nud die Form der Darstellung uicht ohne
Einfluß bleibell. Die Schrift Herrings bildet »lehr als jene ein abge¬
schlossenes Ganze.

Beide Schriften behandeln ausnahmslos das Bauernhaus, weil unser
städtisches Haus zwar aus dem Bauernhause entstanden ist, aber feine wettere
Entwicklung doch fremden Knltureinflüssen verdankt und dementsprechend vou der
ursprünglichen Form immer weiter abgewichen ist. Das städtische Haus der
Gegellwart, welches ganz ohne Rücksicht ans die Individualität des Bewohners
eingerichtet ist, vermag daher auch keine individuellen Anschauungen mehr zum
Ausdruck zu bringen.


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[0644] Das deutsche thans. das innere Leben des Hauses ankommt, so verkennt er doch anch nicht den Einfluß, welchen die Sitten und Gewohnheiten eines Volksstanunes anch auf die äußere Gestaltung des Hanfes haben, und zieht daraus überraschende Folgerungen, wie gerade die Wohnstätten eines Volkes uns oft tiefe Blicke in seine innere Entwicklung thun lassen. Wie bedeutsam dieser Umstand für die Kulturgeschichte ist, hat dann nach Riehl besonders August Meitzen in geistvoller Weise dargelegt; fein Aufsatz über die Ausbreitung der Dentschen in Deutsch¬ land und ihre Besiedelung der Slaveugebiete (Hildebrand und Conrad, Jahrb. f. Nationalökon. n. still.. Bd. 32, 1879, S. 1 f.) liefert den überzeugendsten Beweis, daß mir die Anlage der Wohnstätten und die Verteilung der Grund¬ stücke die Möglichkeit geben, nach Jahrhunderten noch ohne alle andern ge¬ schichtlichen Dokumente festzustellen, wo Deutsche und wo Slaven gehaust haben. Die altdeutschen Dörfer bildeten ein geschlossenes Ganze von kreisförmiger oder oblvnger Gestalt, mit Wallhecken und Gräben umzogen, in dem die Gehöfte planlos umherlagen, mit kleinen winkligen Sack- und Nebengäßchen. Die slavischen Dörfer dagegen zeigen das Bild einer regelmäßigen, geraden und kurzen Straße, an welche die Gehöfte zu beiden Seiten in gedrängter Reihe anstoßen, mit einem Anger in der Mitte; die Gehöfte sind mehr tief als breit, Wohnhaus und Stall stehen einander gegenüber und sind mit dem Giebel der Straße zugekehrt, der schmale Hof durch ein Thor oder Thvrhnus gegen den Dorfweg ab geschloffen. Oder es sind sogenannte Ruudliuge, bei welchen die Gehöfte um einen runden, nur durch einen einzigen Weg zugänglichen Platz liegen; die Höfe und Giebelfelder der Hänser drängen sich eng zusammen, die Gärten laufen keilförmig breiter aus. Meitzen hat nun neuerdings diese Studien weiter verfolgt und ihre Ergebnisse vor kurzem dargelegt in der Schrift: Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formell (Berlin, D. Reimer, 1832), lind zufällig ist gleichzeitig derselbe Stoff noch von andrer Seite behandelt worden, in der Schrift von Rudolf Henning: Das deutsche Haus in seiner historischen Entwicklung (Straßburg, Trübner, 1882). Die Studie Meitzens ist eine vermehrte Wiedergabe des von ihm beim ersten deutschen Geographentage in Berlin im Juni 1881 gehaltenen Vvrtrngs, lind dieser Umstand konnte auf den Inhalt nud die Form der Darstellung uicht ohne Einfluß bleibell. Die Schrift Herrings bildet »lehr als jene ein abge¬ schlossenes Ganze. Beide Schriften behandeln ausnahmslos das Bauernhaus, weil unser städtisches Haus zwar aus dem Bauernhause entstanden ist, aber feine wettere Entwicklung doch fremden Knltureinflüssen verdankt und dementsprechend vou der ursprünglichen Form immer weiter abgewichen ist. Das städtische Haus der Gegellwart, welches ganz ohne Rücksicht ans die Individualität des Bewohners eingerichtet ist, vermag daher auch keine individuellen Anschauungen mehr zum Ausdruck zu bringen.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/644>, abgerufen am 01.07.2024.