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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Gladstone und Derby.

Derby werde sich denen zugesellen, die auf einen solchen hindrängen, so würden
sie sehr wahrscheinlich irren. Wir glauben nicht, daß sich im gegenwärtigen eng¬
lischen Ministerium eine einzige Stimme findet, welche die am Nil errungenen
Erfolge ausgegeben sehen will, und wir sind der Meinung, daß der Minister
in 8p", um den sichs handelt, viel zu verständig ist, um nicht überzeugt zu sein,
daß es viel gefährlicher fiir England sein würde, in Ägypten rückwärts zu gehen
als vorwärts.

In diesem Urteil macht uns die Rede, die der Lord in diesen Tagen zu
Manchester hielt, nicht unsicher, im Gegenteil, er scheint dort die Linie ange¬
deutet zu haben, aus welcher die Regierung in der Angelegenheit vorzugehen
entschlossen ist. Allerdings spricht er zunächst als der Friedensfreund, der er
immer war: er Null nicht zurückblicken, er begnügt sich damit, zu glauben, daß
der Krieg hätte vermieden werden sollen, wenn - hier nimmt er eine andre
Wendung -- es möglich gewesen wäre. Nach seiner Ansicht war es das plötz¬
liche, das unvorhergesehene Zurückweichen Frankreichs, wenn die ägyptische Militär-
Partei sich zum Widerstand ermutigt fühlte, und so war jene Umkehr der Fran¬
zosen die Hanptursnche des Krieges. Dann fuhr er fort, so lange England im
Besitz Indiens sei, konnte es Ägypten unmöglich wie jede andre Provinz des
türkischen Reiches behandeln, d. h. "als ein Land, mit dem es nichts zu thun
hat" -- sehr bezeichnende Worte, die inhaltschwerer sind als sie scheinen. Was
soll also geschehen? Daruns antwortete er in allgemeinen Ausdrücken: "Wir
haben keinen Tag länger Geschäfte in Ägypten, als notwendig zur Wieder-
Herstellnng der Ruhe ist." Dann wies er den Gedanken der Annexion oder
eines Protektorats, das nnr Annexion mit einem andern Namen sein würde,
sehr entschieden zurück, auch erklärte er ebenso entschieden, man dürfe Ratschläge
von auswärts, die, wenn man sie befolgte, Englands gutes Verhältnis zu Frank¬
reich zerstören würden, nicht annehmen; gleich darauf aber bemerkt er: "Wir
müssen den Khedive ans seine eignen Beine stellen, ihn stützen und ihn dann
womöglich allein stehen lassen." Womöglich! Wielange also England in Ägypten
Geschäfte haben und folglich bleiben wird, hängt von der Meinung ab, die sich
Verantwortliche Politiker von der Befähigung Fürst Tewfiks bilden, anf eignen
Beinen zu stehen. Diese Befähigung aber wird lange auf sich warten lassen
und wahrscheinlich niemals sich einstellen, und so wird auch die englische Stütze
und mit ihr die englische Bevormundung niemals zurückgezogen werden können.
Was die heikle Frage des guten Einvernehmens mit Frankreich betrifft, welches
die Gambettisten beiläufig schon aufgegeben haben, so hält Lord Derby natürlich
um ihm fest, und will nichts thun oder sagen, was ein Band zerreißen lassen
könnte, da er es als Schranke gegen eine Reaktion ans dem europäischen Fest¬
lande ansieht. Seine Freundschaft gegen Frankreich wird durch die madagassische
Streitigkeit nicht erschüttert. Wenn die französischem Ansprüche nur ein Vor¬
wand sind, hinter den, sich die Absicht einer Eroberung der Insel verbirgt, so


Gladstone und Derby.

Derby werde sich denen zugesellen, die auf einen solchen hindrängen, so würden
sie sehr wahrscheinlich irren. Wir glauben nicht, daß sich im gegenwärtigen eng¬
lischen Ministerium eine einzige Stimme findet, welche die am Nil errungenen
Erfolge ausgegeben sehen will, und wir sind der Meinung, daß der Minister
in 8p«, um den sichs handelt, viel zu verständig ist, um nicht überzeugt zu sein,
daß es viel gefährlicher fiir England sein würde, in Ägypten rückwärts zu gehen
als vorwärts.

In diesem Urteil macht uns die Rede, die der Lord in diesen Tagen zu
Manchester hielt, nicht unsicher, im Gegenteil, er scheint dort die Linie ange¬
deutet zu haben, aus welcher die Regierung in der Angelegenheit vorzugehen
entschlossen ist. Allerdings spricht er zunächst als der Friedensfreund, der er
immer war: er Null nicht zurückblicken, er begnügt sich damit, zu glauben, daß
der Krieg hätte vermieden werden sollen, wenn - hier nimmt er eine andre
Wendung — es möglich gewesen wäre. Nach seiner Ansicht war es das plötz¬
liche, das unvorhergesehene Zurückweichen Frankreichs, wenn die ägyptische Militär-
Partei sich zum Widerstand ermutigt fühlte, und so war jene Umkehr der Fran¬
zosen die Hanptursnche des Krieges. Dann fuhr er fort, so lange England im
Besitz Indiens sei, konnte es Ägypten unmöglich wie jede andre Provinz des
türkischen Reiches behandeln, d. h. „als ein Land, mit dem es nichts zu thun
hat" — sehr bezeichnende Worte, die inhaltschwerer sind als sie scheinen. Was
soll also geschehen? Daruns antwortete er in allgemeinen Ausdrücken: „Wir
haben keinen Tag länger Geschäfte in Ägypten, als notwendig zur Wieder-
Herstellnng der Ruhe ist." Dann wies er den Gedanken der Annexion oder
eines Protektorats, das nnr Annexion mit einem andern Namen sein würde,
sehr entschieden zurück, auch erklärte er ebenso entschieden, man dürfe Ratschläge
von auswärts, die, wenn man sie befolgte, Englands gutes Verhältnis zu Frank¬
reich zerstören würden, nicht annehmen; gleich darauf aber bemerkt er: „Wir
müssen den Khedive ans seine eignen Beine stellen, ihn stützen und ihn dann
womöglich allein stehen lassen." Womöglich! Wielange also England in Ägypten
Geschäfte haben und folglich bleiben wird, hängt von der Meinung ab, die sich
Verantwortliche Politiker von der Befähigung Fürst Tewfiks bilden, anf eignen
Beinen zu stehen. Diese Befähigung aber wird lange auf sich warten lassen
und wahrscheinlich niemals sich einstellen, und so wird auch die englische Stütze
und mit ihr die englische Bevormundung niemals zurückgezogen werden können.
Was die heikle Frage des guten Einvernehmens mit Frankreich betrifft, welches
die Gambettisten beiläufig schon aufgegeben haben, so hält Lord Derby natürlich
um ihm fest, und will nichts thun oder sagen, was ein Band zerreißen lassen
könnte, da er es als Schranke gegen eine Reaktion ans dem europäischen Fest¬
lande ansieht. Seine Freundschaft gegen Frankreich wird durch die madagassische
Streitigkeit nicht erschüttert. Wenn die französischem Ansprüche nur ein Vor¬
wand sind, hinter den, sich die Absicht einer Eroberung der Insel verbirgt, so


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[0641] Gladstone und Derby. Derby werde sich denen zugesellen, die auf einen solchen hindrängen, so würden sie sehr wahrscheinlich irren. Wir glauben nicht, daß sich im gegenwärtigen eng¬ lischen Ministerium eine einzige Stimme findet, welche die am Nil errungenen Erfolge ausgegeben sehen will, und wir sind der Meinung, daß der Minister in 8p«, um den sichs handelt, viel zu verständig ist, um nicht überzeugt zu sein, daß es viel gefährlicher fiir England sein würde, in Ägypten rückwärts zu gehen als vorwärts. In diesem Urteil macht uns die Rede, die der Lord in diesen Tagen zu Manchester hielt, nicht unsicher, im Gegenteil, er scheint dort die Linie ange¬ deutet zu haben, aus welcher die Regierung in der Angelegenheit vorzugehen entschlossen ist. Allerdings spricht er zunächst als der Friedensfreund, der er immer war: er Null nicht zurückblicken, er begnügt sich damit, zu glauben, daß der Krieg hätte vermieden werden sollen, wenn - hier nimmt er eine andre Wendung — es möglich gewesen wäre. Nach seiner Ansicht war es das plötz¬ liche, das unvorhergesehene Zurückweichen Frankreichs, wenn die ägyptische Militär- Partei sich zum Widerstand ermutigt fühlte, und so war jene Umkehr der Fran¬ zosen die Hanptursnche des Krieges. Dann fuhr er fort, so lange England im Besitz Indiens sei, konnte es Ägypten unmöglich wie jede andre Provinz des türkischen Reiches behandeln, d. h. „als ein Land, mit dem es nichts zu thun hat" — sehr bezeichnende Worte, die inhaltschwerer sind als sie scheinen. Was soll also geschehen? Daruns antwortete er in allgemeinen Ausdrücken: „Wir haben keinen Tag länger Geschäfte in Ägypten, als notwendig zur Wieder- Herstellnng der Ruhe ist." Dann wies er den Gedanken der Annexion oder eines Protektorats, das nnr Annexion mit einem andern Namen sein würde, sehr entschieden zurück, auch erklärte er ebenso entschieden, man dürfe Ratschläge von auswärts, die, wenn man sie befolgte, Englands gutes Verhältnis zu Frank¬ reich zerstören würden, nicht annehmen; gleich darauf aber bemerkt er: „Wir müssen den Khedive ans seine eignen Beine stellen, ihn stützen und ihn dann womöglich allein stehen lassen." Womöglich! Wielange also England in Ägypten Geschäfte haben und folglich bleiben wird, hängt von der Meinung ab, die sich Verantwortliche Politiker von der Befähigung Fürst Tewfiks bilden, anf eignen Beinen zu stehen. Diese Befähigung aber wird lange auf sich warten lassen und wahrscheinlich niemals sich einstellen, und so wird auch die englische Stütze und mit ihr die englische Bevormundung niemals zurückgezogen werden können. Was die heikle Frage des guten Einvernehmens mit Frankreich betrifft, welches die Gambettisten beiläufig schon aufgegeben haben, so hält Lord Derby natürlich um ihm fest, und will nichts thun oder sagen, was ein Band zerreißen lassen könnte, da er es als Schranke gegen eine Reaktion ans dem europäischen Fest¬ lande ansieht. Seine Freundschaft gegen Frankreich wird durch die madagassische Streitigkeit nicht erschüttert. Wenn die französischem Ansprüche nur ein Vor¬ wand sind, hinter den, sich die Absicht einer Eroberung der Insel verbirgt, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/641>, abgerufen am 01.07.2024.