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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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scheinen. Das Kabinet hat zwei große Arbeitsgebiete vor sich. Das nächste
Jahr wird vermutlich Reformen in der Gesetzgebung und Verwaltung gewidmet
sein: ein Bankerottgesetz, ein Patentgesetz und ein Kriminalgesetzlmch sind dringend
notwendig, desgleichen warten die Korporation Londons und die Grafschafts-
verwnltung auf Umgestaltung dnrch fähige Hand. Lord Derbys Fonds von ge¬
sundem Verstand und seine Arbeitskraft werden seinen Beistand wertvoll machen,
wenn es gilt, diese großen und verwickelten Maßregeln durch die Klippen und
Triebsandbänke im Oberhause zu steuern. Aber dieses Parlament wird eine noch
viel schwierigere und riesenhaftere Aufgabe zu lösen haben: die Ausdehnung des
Stimmrechts in den Grafschaften und eine neue Verteilung der Parlamentssitze,
eine Reformbill von solcher Bedeutung, daß sie ihre Mutter, die Reformbill von
1832, und deren erste Tochter, das Statut von 1867, neben sich als zwerghaft
erscheinen lassen wird. Wenn die Zeit für die Liberalen kommt, sich mit ihren
Gegnern zu verständigen und ihnen eine gründliche Umbildung unsers Ver-
tretnngssystems vorzuschlagen, so wird die Möglichkeit, die Maßregel durchzu-
bringen, für sie ganz außerordentlich verstärkt sein, wenn die öffentliche Meinung
dadurch beruhigt ist, daß ein großer Peer und Grundbesitzer wie Lord Derby,
dessen Mäßigung und Vorsicht allgemein bekannt sind, Sitz und Stimme in der
Negierung hat."

Nicht so leicht ist es, vorauszusagen, welchen Einfluß der Eintritt des in
Rede stehende" Staatsmannes in das Ministerium Gladswue auf die auswärtigen
Angelegenheiten haben wird. Wäre Lord Derby etwa vor Jahresfrist dem
Kabinet beigetreten, so würde er vermutlich in demselben die llnthätigkcit und
den Frieden befürwortet und die ägyptische Expeditioii bekämpft haben; denn er
war vielleicht der am wenigsten nnternehmungslnstige Minister des Auswärtigen,
den England jemals besaß. Die Radikalen bezeichneten ihn als Tnrkenfreuud,
weil er den Aufstand Kretas gegen die Pforte uicht unterstützte und weil er
sich später dem russische" Kreuzzuge nach Bulgarien nicht anschloß, aber als
er l 878 lieber das konservative Ministerium" verließ, als auch "ur ein einziges
britisches Kriegsschiff nach den Dardanellen zu senden, wurde er plötzlich der Lieb-
lingsheld der Türkenfeinde in der Partei, die jetzt am Ruder ist. Er war aber
weder el" Freund noch ein Feind der Pforte gewesen, sonder" nur ein Gegner
aller Einmischiing in jene Händel.

Schließen wir daraus auf seine Stellung zur ägyptischen Frage, so ist zu-
nächst zu bemerke", daß er keinen erst zu beginnenden oder bereits begonnenen
Krieg vorfindet, sondern einen schon beendigte"! es fragt sich "icht, ob England
sich eine Stellung am Nil erkämpfe", scaber" ob es eine solche mifgebeu oder
behaupten soll. Seine abstrakte Friedensliebe wird also von der Sache nicht
berührt. Man wird ihn einfach ersuchen, zur Stärkung einer Position mitzu¬
wirken, die bereits erobert ist. Die Gegner des Ministeriums könne" sagen,
daß ein Rückzug aus ÄMüe" möglich sei, wem, sie aber hinzufügen wollte",


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scheinen. Das Kabinet hat zwei große Arbeitsgebiete vor sich. Das nächste
Jahr wird vermutlich Reformen in der Gesetzgebung und Verwaltung gewidmet
sein: ein Bankerottgesetz, ein Patentgesetz und ein Kriminalgesetzlmch sind dringend
notwendig, desgleichen warten die Korporation Londons und die Grafschafts-
verwnltung auf Umgestaltung dnrch fähige Hand. Lord Derbys Fonds von ge¬
sundem Verstand und seine Arbeitskraft werden seinen Beistand wertvoll machen,
wenn es gilt, diese großen und verwickelten Maßregeln durch die Klippen und
Triebsandbänke im Oberhause zu steuern. Aber dieses Parlament wird eine noch
viel schwierigere und riesenhaftere Aufgabe zu lösen haben: die Ausdehnung des
Stimmrechts in den Grafschaften und eine neue Verteilung der Parlamentssitze,
eine Reformbill von solcher Bedeutung, daß sie ihre Mutter, die Reformbill von
1832, und deren erste Tochter, das Statut von 1867, neben sich als zwerghaft
erscheinen lassen wird. Wenn die Zeit für die Liberalen kommt, sich mit ihren
Gegnern zu verständigen und ihnen eine gründliche Umbildung unsers Ver-
tretnngssystems vorzuschlagen, so wird die Möglichkeit, die Maßregel durchzu-
bringen, für sie ganz außerordentlich verstärkt sein, wenn die öffentliche Meinung
dadurch beruhigt ist, daß ein großer Peer und Grundbesitzer wie Lord Derby,
dessen Mäßigung und Vorsicht allgemein bekannt sind, Sitz und Stimme in der
Negierung hat."

Nicht so leicht ist es, vorauszusagen, welchen Einfluß der Eintritt des in
Rede stehende» Staatsmannes in das Ministerium Gladswue auf die auswärtigen
Angelegenheiten haben wird. Wäre Lord Derby etwa vor Jahresfrist dem
Kabinet beigetreten, so würde er vermutlich in demselben die llnthätigkcit und
den Frieden befürwortet und die ägyptische Expeditioii bekämpft haben; denn er
war vielleicht der am wenigsten nnternehmungslnstige Minister des Auswärtigen,
den England jemals besaß. Die Radikalen bezeichneten ihn als Tnrkenfreuud,
weil er den Aufstand Kretas gegen die Pforte uicht unterstützte und weil er
sich später dem russische» Kreuzzuge nach Bulgarien nicht anschloß, aber als
er l 878 lieber das konservative Ministerium» verließ, als auch »ur ein einziges
britisches Kriegsschiff nach den Dardanellen zu senden, wurde er plötzlich der Lieb-
lingsheld der Türkenfeinde in der Partei, die jetzt am Ruder ist. Er war aber
weder el» Freund noch ein Feind der Pforte gewesen, sonder» nur ein Gegner
aller Einmischiing in jene Händel.

Schließen wir daraus auf seine Stellung zur ägyptischen Frage, so ist zu-
nächst zu bemerke», daß er keinen erst zu beginnenden oder bereits begonnenen
Krieg vorfindet, sondern einen schon beendigte»! es fragt sich »icht, ob England
sich eine Stellung am Nil erkämpfe», scaber» ob es eine solche mifgebeu oder
behaupten soll. Seine abstrakte Friedensliebe wird also von der Sache nicht
berührt. Man wird ihn einfach ersuchen, zur Stärkung einer Position mitzu¬
wirken, die bereits erobert ist. Die Gegner des Ministeriums könne» sagen,
daß ein Rückzug aus ÄMüe» möglich sei, wem, sie aber hinzufügen wollte»,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/640>, abgerufen am 01.07.2024.