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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

zwischen den Häusern Pater Girolamo sichtbar, welcher seine Schritte beschleunigte,
als er von fern erkannte, daß seine Begleiterin schon völlig zu der Fahrt gerüstet
sei, die er ihr angeraten hatte und deren Zweck ihr noch dunkel war.

Der greise Priester segnete den Fährmann wie die junge Frau, welche sich
vom Sitz erhoben hatte, und trat hinter Battista in das Boot. Er machte ein
Zeichen zur Abfahrt, und wenige Minuten später glitt das kleine Fahrzeug
lautlos über die Flut, den Inseln der Stadt entgegen, die in der Dämmerung
lind den Morgennebeln sich nur in dunklen Umrissen zeigten. Sowie Pater
Girolamo neben Margherita Platz nahm, sah er auch die Erregung und beinahe
wilde Spannung in dem Gesicht des jungen Weibes. Ihre Hand ergreifend
hub er ohne Umschweife mit seiner milden, eindringlichen Stimme an: Ich beide
dir gestern nicht gesagt, meine Tochter, warum ich ans einen Lichtstrahl für dich
im Antoninskloster hoffe. Bei den Minoriten anf der Gindeeea verbringt ein
Mann seine letzten Lebenstage in Reue und harter Buße, der einst an dir und
deinen verblendeten Genossinnen und Genossen schwer gefrevelt hat. Jener Kauf¬
herr von Sinigaglia, der euch verriet und den seine Sünde Tag und Nacht
nicht ruhen läßt, weilt schon seit drei Jahren im Kloster dort drüben. Er soll
Überlebende ans der Zahl der Verkauften so wiedererkennen, als hätte er sie
erst gestern gesehen, er soll im Traum die Schicksale derer schauen, gegen die
er einst gesündigt. Fort und fort kommen ans allen Ländern und namentlich
ans deinem Heimatlande, aus Deutschland, Unglückliche, um vou Pietro Vicen-
tino etwas über ihre Verlornen Lieben zu erfahren. Ich habe gedacht, daß der
Unselige dich vielleicht wiedererkennen würde. Oder wenn ihm der Name ans
Ohr schlägt, den du daheim geführt, daß er sich besinnnen mag, ob je eine
Frage nach dir gethan worden ist und wer sie gethan hat! Ich habe von den
Brüdern die Erlaubnis erhalten, dich vor den Büßer zu stellen. Wenn du in
der Klosterkirche die Messe gehört und deine Gebete gesprochen haben wirst, will
ich dich zu seiner Zelle führen. Wir werden dort nicht allein fein, Margherita,
Gott wird dir Kraft geben, seinen Anblick zu ertragen, und ihm heute, wo er
elender ist als alle, die er verraten hat. auch in deinem Herzen nicht zu fluchen.
Gott füge es, daß wir ruhiger voll ihm gehen, als wir zu ihm kommen.

Margherita ließ in tiefer Erschütterung das Haupt sinken, und ein einziger
Wehlaut entrang sich ihrer Brust. Was ihr Pater Girolamo sagte, war so
anders, so völlig anders, als sie im Traum des gestrigen Abends und der
Nacht gewähnt! Sie bebte vor dem Gedanken zurück, den Verruchten wieder¬
sehen zu sollen, den sie selbst in ihrer Erinnerung nur zagend heraufbeschwöre",
und sie empfand, daß alles, was sie von Hoffnung an diese Fahrt geknüpft
hatte, beinahe so zerfloß, wie der Dunst über der stillen Flut, auf der sie fuhren,
durch welchen die Morgensonne hindurchbrach. Der greise Pfarrer hielt ihre
Hände zwischen den seinen und streichelte sie wie die Hände eines leidenden
Kindes. Battista, der die Ruderstangc unermüdlich handhabte, schallte mit sprach -


Die Fischerin von Malamocco.

zwischen den Häusern Pater Girolamo sichtbar, welcher seine Schritte beschleunigte,
als er von fern erkannte, daß seine Begleiterin schon völlig zu der Fahrt gerüstet
sei, die er ihr angeraten hatte und deren Zweck ihr noch dunkel war.

Der greise Priester segnete den Fährmann wie die junge Frau, welche sich
vom Sitz erhoben hatte, und trat hinter Battista in das Boot. Er machte ein
Zeichen zur Abfahrt, und wenige Minuten später glitt das kleine Fahrzeug
lautlos über die Flut, den Inseln der Stadt entgegen, die in der Dämmerung
lind den Morgennebeln sich nur in dunklen Umrissen zeigten. Sowie Pater
Girolamo neben Margherita Platz nahm, sah er auch die Erregung und beinahe
wilde Spannung in dem Gesicht des jungen Weibes. Ihre Hand ergreifend
hub er ohne Umschweife mit seiner milden, eindringlichen Stimme an: Ich beide
dir gestern nicht gesagt, meine Tochter, warum ich ans einen Lichtstrahl für dich
im Antoninskloster hoffe. Bei den Minoriten anf der Gindeeea verbringt ein
Mann seine letzten Lebenstage in Reue und harter Buße, der einst an dir und
deinen verblendeten Genossinnen und Genossen schwer gefrevelt hat. Jener Kauf¬
herr von Sinigaglia, der euch verriet und den seine Sünde Tag und Nacht
nicht ruhen läßt, weilt schon seit drei Jahren im Kloster dort drüben. Er soll
Überlebende ans der Zahl der Verkauften so wiedererkennen, als hätte er sie
erst gestern gesehen, er soll im Traum die Schicksale derer schauen, gegen die
er einst gesündigt. Fort und fort kommen ans allen Ländern und namentlich
ans deinem Heimatlande, aus Deutschland, Unglückliche, um vou Pietro Vicen-
tino etwas über ihre Verlornen Lieben zu erfahren. Ich habe gedacht, daß der
Unselige dich vielleicht wiedererkennen würde. Oder wenn ihm der Name ans
Ohr schlägt, den du daheim geführt, daß er sich besinnnen mag, ob je eine
Frage nach dir gethan worden ist und wer sie gethan hat! Ich habe von den
Brüdern die Erlaubnis erhalten, dich vor den Büßer zu stellen. Wenn du in
der Klosterkirche die Messe gehört und deine Gebete gesprochen haben wirst, will
ich dich zu seiner Zelle führen. Wir werden dort nicht allein fein, Margherita,
Gott wird dir Kraft geben, seinen Anblick zu ertragen, und ihm heute, wo er
elender ist als alle, die er verraten hat. auch in deinem Herzen nicht zu fluchen.
Gott füge es, daß wir ruhiger voll ihm gehen, als wir zu ihm kommen.

Margherita ließ in tiefer Erschütterung das Haupt sinken, und ein einziger
Wehlaut entrang sich ihrer Brust. Was ihr Pater Girolamo sagte, war so
anders, so völlig anders, als sie im Traum des gestrigen Abends und der
Nacht gewähnt! Sie bebte vor dem Gedanken zurück, den Verruchten wieder¬
sehen zu sollen, den sie selbst in ihrer Erinnerung nur zagend heraufbeschwöre«,
und sie empfand, daß alles, was sie von Hoffnung an diese Fahrt geknüpft
hatte, beinahe so zerfloß, wie der Dunst über der stillen Flut, auf der sie fuhren,
durch welchen die Morgensonne hindurchbrach. Der greise Pfarrer hielt ihre
Hände zwischen den seinen und streichelte sie wie die Hände eines leidenden
Kindes. Battista, der die Ruderstangc unermüdlich handhabte, schallte mit sprach -


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[0631] Die Fischerin von Malamocco. zwischen den Häusern Pater Girolamo sichtbar, welcher seine Schritte beschleunigte, als er von fern erkannte, daß seine Begleiterin schon völlig zu der Fahrt gerüstet sei, die er ihr angeraten hatte und deren Zweck ihr noch dunkel war. Der greise Priester segnete den Fährmann wie die junge Frau, welche sich vom Sitz erhoben hatte, und trat hinter Battista in das Boot. Er machte ein Zeichen zur Abfahrt, und wenige Minuten später glitt das kleine Fahrzeug lautlos über die Flut, den Inseln der Stadt entgegen, die in der Dämmerung lind den Morgennebeln sich nur in dunklen Umrissen zeigten. Sowie Pater Girolamo neben Margherita Platz nahm, sah er auch die Erregung und beinahe wilde Spannung in dem Gesicht des jungen Weibes. Ihre Hand ergreifend hub er ohne Umschweife mit seiner milden, eindringlichen Stimme an: Ich beide dir gestern nicht gesagt, meine Tochter, warum ich ans einen Lichtstrahl für dich im Antoninskloster hoffe. Bei den Minoriten anf der Gindeeea verbringt ein Mann seine letzten Lebenstage in Reue und harter Buße, der einst an dir und deinen verblendeten Genossinnen und Genossen schwer gefrevelt hat. Jener Kauf¬ herr von Sinigaglia, der euch verriet und den seine Sünde Tag und Nacht nicht ruhen läßt, weilt schon seit drei Jahren im Kloster dort drüben. Er soll Überlebende ans der Zahl der Verkauften so wiedererkennen, als hätte er sie erst gestern gesehen, er soll im Traum die Schicksale derer schauen, gegen die er einst gesündigt. Fort und fort kommen ans allen Ländern und namentlich ans deinem Heimatlande, aus Deutschland, Unglückliche, um vou Pietro Vicen- tino etwas über ihre Verlornen Lieben zu erfahren. Ich habe gedacht, daß der Unselige dich vielleicht wiedererkennen würde. Oder wenn ihm der Name ans Ohr schlägt, den du daheim geführt, daß er sich besinnnen mag, ob je eine Frage nach dir gethan worden ist und wer sie gethan hat! Ich habe von den Brüdern die Erlaubnis erhalten, dich vor den Büßer zu stellen. Wenn du in der Klosterkirche die Messe gehört und deine Gebete gesprochen haben wirst, will ich dich zu seiner Zelle führen. Wir werden dort nicht allein fein, Margherita, Gott wird dir Kraft geben, seinen Anblick zu ertragen, und ihm heute, wo er elender ist als alle, die er verraten hat. auch in deinem Herzen nicht zu fluchen. Gott füge es, daß wir ruhiger voll ihm gehen, als wir zu ihm kommen. Margherita ließ in tiefer Erschütterung das Haupt sinken, und ein einziger Wehlaut entrang sich ihrer Brust. Was ihr Pater Girolamo sagte, war so anders, so völlig anders, als sie im Traum des gestrigen Abends und der Nacht gewähnt! Sie bebte vor dem Gedanken zurück, den Verruchten wieder¬ sehen zu sollen, den sie selbst in ihrer Erinnerung nur zagend heraufbeschwöre«, und sie empfand, daß alles, was sie von Hoffnung an diese Fahrt geknüpft hatte, beinahe so zerfloß, wie der Dunst über der stillen Flut, auf der sie fuhren, durch welchen die Morgensonne hindurchbrach. Der greise Pfarrer hielt ihre Hände zwischen den seinen und streichelte sie wie die Hände eines leidenden Kindes. Battista, der die Ruderstangc unermüdlich handhabte, schallte mit sprach -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/631>, abgerufen am 01.07.2024.