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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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T>i<- Fischerin von lllalamocco.

erhob und an die Fensteröffnung trat, wieder auf die leiswogeude Flut hin-
schauen, auf welcher ihr Mann jetzt seines armen Berufes wartete. Sie spähte
scharf über das lichthelle Wasser hin, soweit sie sah, zeigte sich kein Boot, und
sie mußte jetzt wünschen, daß Toniv nicht heimkehre, bevor sie aufgebrochen sei.
Sie fühlte sich durch deu kurze" Schlaf etwas erquickt und ruhiger als am
Abend zuvor. Was sie auch drüben im Kloster auf der Giudecea hören mochte
-- und ihr war zu Sinn, als ob die Fahrt dorthin keine ganz vergebliche sein
könne! -- es konnte doch nur ein Tropfen sein, ihre heiße Sehnsucht zu stillen.
Pater Girolamo hatte Recht, sie mußte beten, daß sie das Rechte für sich und
Toniv erkenne, denn in dieser Stunde schien ihr unmöglich, daß sie so weiter
leben könne, wie sie seit manchem Jahr gelebt hatte.

Sowie der erste Streifen Dümmerungsgran sich über dem Meere zeigte,
knüpfte Margherita die Riemen ihrer Sandalen, warf den Schleier über das
Haupt und steckte ein Stück Brot und einige Kastanien für den Tag in ihre
Tasche. Dann bekreuzigte sie sich vor dem kleinen metallnen Madvnnenbilde, das
über ihrem Bett an der Wand befestigt war, und vermißte in diesem Augenblick
ihr eignes Kreuz, das gestern in Pater Girvlamvs Händen geblieben war. Und
im Nachsinnen über alles, was für sie an diesem Kleinod hing, ging sie durch
das Halbdunkel, das noch über der Insel lag, nach dein Flecken und jener Stelle
hinüber, welche ihr der Pfarrer am Abend bezeichnet hatte. Im Innern des
Lido war es noch mvrgenstiller als am Strande, die junge Frau hörte nichts
als ihre leichten Tritte über den Sand und Kies des Bodens und, als sie
Malnmoceo beinahe erreicht hatte, von fern her die dumpfen Schläge der
Morgenglocke im Hospital von San Lazznrv. Es war beinahe, als habe sie
sich heimlich davon gestohlen und thue die ersten Schritte ans der großen
Wandrung gen Norden, von der sie in schlaflosen Nächten und an sonuenheißen
Tagen so vielmals geträumt hatte!

Doch jetzt ward es allmählich Heller um die Dahinschreitende, zur Seite
lagen die Häuser des Fleckens und vor ihr das von weißen Dünsten überwallte
Wasser der Lagune. Von dorther aber schlug in all der Stille eine menschliche
Stimme an ihr Ohr, Battista der Fuhrmann rief ihr grüßend zu: "Guten
Morgen Margherita -- du bist so früh als ich zur Stelle, aber einer felM
noch" und damit hob er die Nuderstange, nach den: Dach des Pfarrhauses
hinüber deutend. Die Frau des Fischers gab nur den Gruß zurück und stieg
in Battistas bereitliegendes Boot, um des Paters zu warten. Der Fährmann
aber knüpfte ein Gespräch mit ihr an und fragte mit teilnehmender Neuerer,
ob Marco und Tonio den kommenden Herbst mit den Fischern von Chwzz^
und vom Brvndvlo zum Fang des Thunfisches ausführen würden. Indem
Margherita ruhige Antworten gab, wallte mit einmal in ihrer Seele ein heißer
Wunsch empor, daß sie im Herbst allem Leben, welches sie heute umfing, wei
entrückt sein möge! Und ehe Battista die Unterredung fortspinnen konnte, war


T>i<- Fischerin von lllalamocco.

erhob und an die Fensteröffnung trat, wieder auf die leiswogeude Flut hin-
schauen, auf welcher ihr Mann jetzt seines armen Berufes wartete. Sie spähte
scharf über das lichthelle Wasser hin, soweit sie sah, zeigte sich kein Boot, und
sie mußte jetzt wünschen, daß Toniv nicht heimkehre, bevor sie aufgebrochen sei.
Sie fühlte sich durch deu kurze» Schlaf etwas erquickt und ruhiger als am
Abend zuvor. Was sie auch drüben im Kloster auf der Giudecea hören mochte
— und ihr war zu Sinn, als ob die Fahrt dorthin keine ganz vergebliche sein
könne! — es konnte doch nur ein Tropfen sein, ihre heiße Sehnsucht zu stillen.
Pater Girolamo hatte Recht, sie mußte beten, daß sie das Rechte für sich und
Toniv erkenne, denn in dieser Stunde schien ihr unmöglich, daß sie so weiter
leben könne, wie sie seit manchem Jahr gelebt hatte.

Sowie der erste Streifen Dümmerungsgran sich über dem Meere zeigte,
knüpfte Margherita die Riemen ihrer Sandalen, warf den Schleier über das
Haupt und steckte ein Stück Brot und einige Kastanien für den Tag in ihre
Tasche. Dann bekreuzigte sie sich vor dem kleinen metallnen Madvnnenbilde, das
über ihrem Bett an der Wand befestigt war, und vermißte in diesem Augenblick
ihr eignes Kreuz, das gestern in Pater Girvlamvs Händen geblieben war. Und
im Nachsinnen über alles, was für sie an diesem Kleinod hing, ging sie durch
das Halbdunkel, das noch über der Insel lag, nach dein Flecken und jener Stelle
hinüber, welche ihr der Pfarrer am Abend bezeichnet hatte. Im Innern des
Lido war es noch mvrgenstiller als am Strande, die junge Frau hörte nichts
als ihre leichten Tritte über den Sand und Kies des Bodens und, als sie
Malnmoceo beinahe erreicht hatte, von fern her die dumpfen Schläge der
Morgenglocke im Hospital von San Lazznrv. Es war beinahe, als habe sie
sich heimlich davon gestohlen und thue die ersten Schritte ans der großen
Wandrung gen Norden, von der sie in schlaflosen Nächten und an sonuenheißen
Tagen so vielmals geträumt hatte!

Doch jetzt ward es allmählich Heller um die Dahinschreitende, zur Seite
lagen die Häuser des Fleckens und vor ihr das von weißen Dünsten überwallte
Wasser der Lagune. Von dorther aber schlug in all der Stille eine menschliche
Stimme an ihr Ohr, Battista der Fuhrmann rief ihr grüßend zu: „Guten
Morgen Margherita — du bist so früh als ich zur Stelle, aber einer felM
noch" und damit hob er die Nuderstange, nach den: Dach des Pfarrhauses
hinüber deutend. Die Frau des Fischers gab nur den Gruß zurück und stieg
in Battistas bereitliegendes Boot, um des Paters zu warten. Der Fährmann
aber knüpfte ein Gespräch mit ihr an und fragte mit teilnehmender Neuerer,
ob Marco und Tonio den kommenden Herbst mit den Fischern von Chwzz^
und vom Brvndvlo zum Fang des Thunfisches ausführen würden. Indem
Margherita ruhige Antworten gab, wallte mit einmal in ihrer Seele ein heißer
Wunsch empor, daß sie im Herbst allem Leben, welches sie heute umfing, wei
entrückt sein möge! Und ehe Battista die Unterredung fortspinnen konnte, war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/630>, abgerufen am 01.07.2024.