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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

so farbig wie die Wolken, welche im Osten darüber hinzogen. Beide waren des
Anblickes gewohnt, und Toniv ward weder freudig noch traurig bei demselben.
Heute aber blickte er aus die Flut hin, als wollte er die Küste gegenüber er¬
spähen, und mit einemmcile hob er zu Margherita an: Hat dirs nicht oft weh
gethan, daß du das heilige Land, um welches dn mit den Deinen die alte
Heimat verlassen, nicht einmal erreicht hast? Verlangt diess nicht den Boden
noch zu betreten, nach welchem einmal dein ganzer Sinn gestanden?

Wundersam schlug die Frage an Margheritas Ohr, eine jähe Nöte über¬
hauchte ihre Wangen. Sie machte eine abwehrende Bewegung und fragte hastig
dagegen: Um Gott, Tonio, wie fällt dir das bei? Ich will sein, wo du bist
und mich redlich mühen, die schwere Unruhe zu überwinden, die im Traum über
mich kommt.

Tonio aber schien ihre Frage wie ihre Beteuerung zu überhören, er sagte:
Wenn wir vor Jahren hier spielten und eine Springflut bunte Muscheln zwischen
diese Steine warf, meintest dn stets, daß sie von der syrischen Küste kämen-
Und wenn ich damals deinen Angen Wohlgefallen wollte, stieg ich in des Vaters
Boot und heftete ein Krenz zum Zeichen daran, daß wir als Ritter und Pilger
nach dem heiligen Lande fahren wollten, und führte uns bis nach der Punta
del Romito. Ich weiß nicht, warum wir im Ernst nie wieder an unsre Kinder¬
spiele gedacht haben. So oft ich nach der Stadt komme, höre ich im Hafen und
anf dem Platze des heiligen Marcus hundert Geschichten klingen von Leuten,
die drüben in Akkon und Tripolis ihr Glück gemacht, und von bloßen Krämern
und Fischern zu stolzen Kaufherren und Schisfsherren geworden sind. Und wahr¬
lich, Margherita, manche von ihnen, die jetzt im Königreich Jerusalem und auch
drüben in Venedig einhcrpruukeu, waren ärmer als wir. Warum gehen wir
nicht hinüber, dn lösest dein altes Gelübde, und ich suche drüben ein besseres
Glück zu gewinnen, als uns hier jemals zu Teil werden kam:. Ich fühle, daß
ich Kraft habe und tapfern Sinn, und Wenns für dich gilt, könnte ich da manches
erringen, wo Kraft und tapferer Sinn im Preise stehen, und keiner mir vorrücken
wird, daß ich hier in der Fischerhütte gehaust habe.

Marccmtonio war emporgesprungen, seine geschmeidige Gestalt schien zu
wachsen, aus seinen Zügen sprach ein männlicher, nicht unbescheidener Stolz,
Margheritas blaue Augen richteten sich vertrauend zu ihm empor, einen Allgen¬
blick lang teilte sie seinen Traum. Sie wußte, daß hunderte aus Venedig und
dem umliegenden Lande nach Palästina hinüberführen und dort gewannen, was
ihnen hier versagt blieb, sie wußte auch, daß Toniv der Mann sei, im Wett¬
kampf nicht zurückzubleiben. Aber rasch senkte sich ihr Haupt, ein dumpfes
Ballgen, ein widerstrebendes Gefühl kam über sie: wenn sie mit Tonio nach
dem heiligen Lande ging, rückte sie der Verlornen Heimat uoch ferner als selbst
in diesem öden Erdenwinkel. Sie rang nach einem Worte, das ihrem Manne
diese Furcht verbärge, und stammelte zuletzt nur: Laß uns wohl bedenken,


Die Fischerin von Malamocco.

so farbig wie die Wolken, welche im Osten darüber hinzogen. Beide waren des
Anblickes gewohnt, und Toniv ward weder freudig noch traurig bei demselben.
Heute aber blickte er aus die Flut hin, als wollte er die Küste gegenüber er¬
spähen, und mit einemmcile hob er zu Margherita an: Hat dirs nicht oft weh
gethan, daß du das heilige Land, um welches dn mit den Deinen die alte
Heimat verlassen, nicht einmal erreicht hast? Verlangt diess nicht den Boden
noch zu betreten, nach welchem einmal dein ganzer Sinn gestanden?

Wundersam schlug die Frage an Margheritas Ohr, eine jähe Nöte über¬
hauchte ihre Wangen. Sie machte eine abwehrende Bewegung und fragte hastig
dagegen: Um Gott, Tonio, wie fällt dir das bei? Ich will sein, wo du bist
und mich redlich mühen, die schwere Unruhe zu überwinden, die im Traum über
mich kommt.

Tonio aber schien ihre Frage wie ihre Beteuerung zu überhören, er sagte:
Wenn wir vor Jahren hier spielten und eine Springflut bunte Muscheln zwischen
diese Steine warf, meintest dn stets, daß sie von der syrischen Küste kämen-
Und wenn ich damals deinen Angen Wohlgefallen wollte, stieg ich in des Vaters
Boot und heftete ein Krenz zum Zeichen daran, daß wir als Ritter und Pilger
nach dem heiligen Lande fahren wollten, und führte uns bis nach der Punta
del Romito. Ich weiß nicht, warum wir im Ernst nie wieder an unsre Kinder¬
spiele gedacht haben. So oft ich nach der Stadt komme, höre ich im Hafen und
anf dem Platze des heiligen Marcus hundert Geschichten klingen von Leuten,
die drüben in Akkon und Tripolis ihr Glück gemacht, und von bloßen Krämern
und Fischern zu stolzen Kaufherren und Schisfsherren geworden sind. Und wahr¬
lich, Margherita, manche von ihnen, die jetzt im Königreich Jerusalem und auch
drüben in Venedig einhcrpruukeu, waren ärmer als wir. Warum gehen wir
nicht hinüber, dn lösest dein altes Gelübde, und ich suche drüben ein besseres
Glück zu gewinnen, als uns hier jemals zu Teil werden kam:. Ich fühle, daß
ich Kraft habe und tapfern Sinn, und Wenns für dich gilt, könnte ich da manches
erringen, wo Kraft und tapferer Sinn im Preise stehen, und keiner mir vorrücken
wird, daß ich hier in der Fischerhütte gehaust habe.

Marccmtonio war emporgesprungen, seine geschmeidige Gestalt schien zu
wachsen, aus seinen Zügen sprach ein männlicher, nicht unbescheidener Stolz,
Margheritas blaue Augen richteten sich vertrauend zu ihm empor, einen Allgen¬
blick lang teilte sie seinen Traum. Sie wußte, daß hunderte aus Venedig und
dem umliegenden Lande nach Palästina hinüberführen und dort gewannen, was
ihnen hier versagt blieb, sie wußte auch, daß Toniv der Mann sei, im Wett¬
kampf nicht zurückzubleiben. Aber rasch senkte sich ihr Haupt, ein dumpfes
Ballgen, ein widerstrebendes Gefühl kam über sie: wenn sie mit Tonio nach
dem heiligen Lande ging, rückte sie der Verlornen Heimat uoch ferner als selbst
in diesem öden Erdenwinkel. Sie rang nach einem Worte, das ihrem Manne
diese Furcht verbärge, und stammelte zuletzt nur: Laß uns wohl bedenken,


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[0624] Die Fischerin von Malamocco. so farbig wie die Wolken, welche im Osten darüber hinzogen. Beide waren des Anblickes gewohnt, und Toniv ward weder freudig noch traurig bei demselben. Heute aber blickte er aus die Flut hin, als wollte er die Küste gegenüber er¬ spähen, und mit einemmcile hob er zu Margherita an: Hat dirs nicht oft weh gethan, daß du das heilige Land, um welches dn mit den Deinen die alte Heimat verlassen, nicht einmal erreicht hast? Verlangt diess nicht den Boden noch zu betreten, nach welchem einmal dein ganzer Sinn gestanden? Wundersam schlug die Frage an Margheritas Ohr, eine jähe Nöte über¬ hauchte ihre Wangen. Sie machte eine abwehrende Bewegung und fragte hastig dagegen: Um Gott, Tonio, wie fällt dir das bei? Ich will sein, wo du bist und mich redlich mühen, die schwere Unruhe zu überwinden, die im Traum über mich kommt. Tonio aber schien ihre Frage wie ihre Beteuerung zu überhören, er sagte: Wenn wir vor Jahren hier spielten und eine Springflut bunte Muscheln zwischen diese Steine warf, meintest dn stets, daß sie von der syrischen Küste kämen- Und wenn ich damals deinen Angen Wohlgefallen wollte, stieg ich in des Vaters Boot und heftete ein Krenz zum Zeichen daran, daß wir als Ritter und Pilger nach dem heiligen Lande fahren wollten, und führte uns bis nach der Punta del Romito. Ich weiß nicht, warum wir im Ernst nie wieder an unsre Kinder¬ spiele gedacht haben. So oft ich nach der Stadt komme, höre ich im Hafen und anf dem Platze des heiligen Marcus hundert Geschichten klingen von Leuten, die drüben in Akkon und Tripolis ihr Glück gemacht, und von bloßen Krämern und Fischern zu stolzen Kaufherren und Schisfsherren geworden sind. Und wahr¬ lich, Margherita, manche von ihnen, die jetzt im Königreich Jerusalem und auch drüben in Venedig einhcrpruukeu, waren ärmer als wir. Warum gehen wir nicht hinüber, dn lösest dein altes Gelübde, und ich suche drüben ein besseres Glück zu gewinnen, als uns hier jemals zu Teil werden kam:. Ich fühle, daß ich Kraft habe und tapfern Sinn, und Wenns für dich gilt, könnte ich da manches erringen, wo Kraft und tapferer Sinn im Preise stehen, und keiner mir vorrücken wird, daß ich hier in der Fischerhütte gehaust habe. Marccmtonio war emporgesprungen, seine geschmeidige Gestalt schien zu wachsen, aus seinen Zügen sprach ein männlicher, nicht unbescheidener Stolz, Margheritas blaue Augen richteten sich vertrauend zu ihm empor, einen Allgen¬ blick lang teilte sie seinen Traum. Sie wußte, daß hunderte aus Venedig und dem umliegenden Lande nach Palästina hinüberführen und dort gewannen, was ihnen hier versagt blieb, sie wußte auch, daß Toniv der Mann sei, im Wett¬ kampf nicht zurückzubleiben. Aber rasch senkte sich ihr Haupt, ein dumpfes Ballgen, ein widerstrebendes Gefühl kam über sie: wenn sie mit Tonio nach dem heiligen Lande ging, rückte sie der Verlornen Heimat uoch ferner als selbst in diesem öden Erdenwinkel. Sie rang nach einem Worte, das ihrem Manne diese Furcht verbärge, und stammelte zuletzt nur: Laß uns wohl bedenken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/624>, abgerufen am 01.07.2024.