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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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großen zu Schwellen oder Altarstufen bestimmt gewesenen Blöcke. Heute true
der jungen Frau schmerzlich in den Sinn, wie oft sie in den ersten Jahren,
welche sie uuter den Fischern des Lido gelebt, davon geträumt hatte, die
Kapelle dereinst noch erbauen zu lassen, wenn sie heimgekehrt und wieder
die Grafentochter von Thann sein würde. Jetzt wußte Margherita, daß der
Marmor nie aus dem Ufersand erstehen und sie selbst nie heimkehren würde.
Und so ging sie wieder in die Hütte zurück in wachsender Sehnsucht nach
Tonio. Es war so still und schwül im Vorraum wie im dunkeln Wohngemach,
die Minuten und Stunden schlichen so langsam hin, und Margherita mußte
daran denken, wie öde und trostlos es hier ohne Tonio -- aber auch für ihn
ohne sie -- sein würde!

Inzwischen eilte Marcantvn in ganz andern Gedanken ans den Sandwegen
der heimatlichen Insel zu Margherita zurück. Er hatte sein Geschäft in Venedig
rasch erledigt und sich selbst den Trunk Wein nicht gegönnt, den er an andern Tage"
in einer Schenke bei San Pietro in Castello zu nehmen pflegte. Der junge
Fischer war sonst viel zu frisch und lebensfroh, um lange über die kleinen
Vorgänge eines Tages nachzusinnen; doch heute schien etwas von der Natur
seines Weibes in ihn übergegangen. Er konnte die Erinnerung an die Zwie¬
sprache mit Margherita in der Morgenfrühe und die an den Zwist mit seinein
rauhen Vater nicht verscheuchen. Es war ihm, als laste die Schwüle des Tages
auf seiner Seele, die dumpfe Furcht vor der Zukunft beschlich ihn. Seit er
Margherita zum Weibe genommen, ja manches Jahr zuvor, seit sie in der Hütte
seines Vaters gewohnt, hatte Tonio sich glücklich gefühlt vor allen Menschen, die
er kannte -- warum mußte ihm verkümmert werden, was ihm die Heiligen
gnädig gewährt? Warum konnte er Margherita die Ihrigen, die im Sturm
untergegangen waren, nicht vergessen machen, warum fand sich der alte Marco
nicht in die fremde Weise, die doch sein -- Tonlos -- Herz von Glück und
Stolz schwellen ließ? Der heißblutige junge Mann vergaß, indem er in solchen
Betrachtungen sein Boot über die Lagune zurückruderte und dann auf dem
Pfade durch den Lido der Sonnenhitze und dem Staub trotzte, wie viele male
und wie tief er selbst in den letzten Monden und Wochen und noch diesen
Morgen wieder an Margheritas Wesen verzagt war. Er vergaß es und hing
vielmehr einem Traume nach, der ihm Befreiung von allem Druck des Tages,
von aller Sorge um das Künftige verhieß und den er noch vor Abend seinem
jungen Weibe enthüllen wollte.

Margherita hatte eben wieder den Düneuhügel erklommen, an den sich ihre
Hütte lehnte, als sie zwischen den Maulbeerbäumen, die gegen San Lazzaro
hin eine Art Gehölz bildeten, eine rote Mütze leuchten und gleich daraus Tonlos
Kopf und schlanke Gestalt auftauchen sah. Wie in alten Tagen flog sie ihm
heute entgegen, und der Fischer beschleunigte seine Schritte, als er ihrer an¬
sichtig ward. Margherita schlang, als sie Tonio erreichte, ihre Arme so hastig


großen zu Schwellen oder Altarstufen bestimmt gewesenen Blöcke. Heute true
der jungen Frau schmerzlich in den Sinn, wie oft sie in den ersten Jahren,
welche sie uuter den Fischern des Lido gelebt, davon geträumt hatte, die
Kapelle dereinst noch erbauen zu lassen, wenn sie heimgekehrt und wieder
die Grafentochter von Thann sein würde. Jetzt wußte Margherita, daß der
Marmor nie aus dem Ufersand erstehen und sie selbst nie heimkehren würde.
Und so ging sie wieder in die Hütte zurück in wachsender Sehnsucht nach
Tonio. Es war so still und schwül im Vorraum wie im dunkeln Wohngemach,
die Minuten und Stunden schlichen so langsam hin, und Margherita mußte
daran denken, wie öde und trostlos es hier ohne Tonio — aber auch für ihn
ohne sie — sein würde!

Inzwischen eilte Marcantvn in ganz andern Gedanken ans den Sandwegen
der heimatlichen Insel zu Margherita zurück. Er hatte sein Geschäft in Venedig
rasch erledigt und sich selbst den Trunk Wein nicht gegönnt, den er an andern Tage»
in einer Schenke bei San Pietro in Castello zu nehmen pflegte. Der junge
Fischer war sonst viel zu frisch und lebensfroh, um lange über die kleinen
Vorgänge eines Tages nachzusinnen; doch heute schien etwas von der Natur
seines Weibes in ihn übergegangen. Er konnte die Erinnerung an die Zwie¬
sprache mit Margherita in der Morgenfrühe und die an den Zwist mit seinein
rauhen Vater nicht verscheuchen. Es war ihm, als laste die Schwüle des Tages
auf seiner Seele, die dumpfe Furcht vor der Zukunft beschlich ihn. Seit er
Margherita zum Weibe genommen, ja manches Jahr zuvor, seit sie in der Hütte
seines Vaters gewohnt, hatte Tonio sich glücklich gefühlt vor allen Menschen, die
er kannte — warum mußte ihm verkümmert werden, was ihm die Heiligen
gnädig gewährt? Warum konnte er Margherita die Ihrigen, die im Sturm
untergegangen waren, nicht vergessen machen, warum fand sich der alte Marco
nicht in die fremde Weise, die doch sein — Tonlos — Herz von Glück und
Stolz schwellen ließ? Der heißblutige junge Mann vergaß, indem er in solchen
Betrachtungen sein Boot über die Lagune zurückruderte und dann auf dem
Pfade durch den Lido der Sonnenhitze und dem Staub trotzte, wie viele male
und wie tief er selbst in den letzten Monden und Wochen und noch diesen
Morgen wieder an Margheritas Wesen verzagt war. Er vergaß es und hing
vielmehr einem Traume nach, der ihm Befreiung von allem Druck des Tages,
von aller Sorge um das Künftige verhieß und den er noch vor Abend seinem
jungen Weibe enthüllen wollte.

Margherita hatte eben wieder den Düneuhügel erklommen, an den sich ihre
Hütte lehnte, als sie zwischen den Maulbeerbäumen, die gegen San Lazzaro
hin eine Art Gehölz bildeten, eine rote Mütze leuchten und gleich daraus Tonlos
Kopf und schlanke Gestalt auftauchen sah. Wie in alten Tagen flog sie ihm
heute entgegen, und der Fischer beschleunigte seine Schritte, als er ihrer an¬
sichtig ward. Margherita schlang, als sie Tonio erreichte, ihre Arme so hastig


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[0622] großen zu Schwellen oder Altarstufen bestimmt gewesenen Blöcke. Heute true der jungen Frau schmerzlich in den Sinn, wie oft sie in den ersten Jahren, welche sie uuter den Fischern des Lido gelebt, davon geträumt hatte, die Kapelle dereinst noch erbauen zu lassen, wenn sie heimgekehrt und wieder die Grafentochter von Thann sein würde. Jetzt wußte Margherita, daß der Marmor nie aus dem Ufersand erstehen und sie selbst nie heimkehren würde. Und so ging sie wieder in die Hütte zurück in wachsender Sehnsucht nach Tonio. Es war so still und schwül im Vorraum wie im dunkeln Wohngemach, die Minuten und Stunden schlichen so langsam hin, und Margherita mußte daran denken, wie öde und trostlos es hier ohne Tonio — aber auch für ihn ohne sie — sein würde! Inzwischen eilte Marcantvn in ganz andern Gedanken ans den Sandwegen der heimatlichen Insel zu Margherita zurück. Er hatte sein Geschäft in Venedig rasch erledigt und sich selbst den Trunk Wein nicht gegönnt, den er an andern Tage» in einer Schenke bei San Pietro in Castello zu nehmen pflegte. Der junge Fischer war sonst viel zu frisch und lebensfroh, um lange über die kleinen Vorgänge eines Tages nachzusinnen; doch heute schien etwas von der Natur seines Weibes in ihn übergegangen. Er konnte die Erinnerung an die Zwie¬ sprache mit Margherita in der Morgenfrühe und die an den Zwist mit seinein rauhen Vater nicht verscheuchen. Es war ihm, als laste die Schwüle des Tages auf seiner Seele, die dumpfe Furcht vor der Zukunft beschlich ihn. Seit er Margherita zum Weibe genommen, ja manches Jahr zuvor, seit sie in der Hütte seines Vaters gewohnt, hatte Tonio sich glücklich gefühlt vor allen Menschen, die er kannte — warum mußte ihm verkümmert werden, was ihm die Heiligen gnädig gewährt? Warum konnte er Margherita die Ihrigen, die im Sturm untergegangen waren, nicht vergessen machen, warum fand sich der alte Marco nicht in die fremde Weise, die doch sein — Tonlos — Herz von Glück und Stolz schwellen ließ? Der heißblutige junge Mann vergaß, indem er in solchen Betrachtungen sein Boot über die Lagune zurückruderte und dann auf dem Pfade durch den Lido der Sonnenhitze und dem Staub trotzte, wie viele male und wie tief er selbst in den letzten Monden und Wochen und noch diesen Morgen wieder an Margheritas Wesen verzagt war. Er vergaß es und hing vielmehr einem Traume nach, der ihm Befreiung von allem Druck des Tages, von aller Sorge um das Künftige verhieß und den er noch vor Abend seinem jungen Weibe enthüllen wollte. Margherita hatte eben wieder den Düneuhügel erklommen, an den sich ihre Hütte lehnte, als sie zwischen den Maulbeerbäumen, die gegen San Lazzaro hin eine Art Gehölz bildeten, eine rote Mütze leuchten und gleich daraus Tonlos Kopf und schlanke Gestalt auftauchen sah. Wie in alten Tagen flog sie ihm heute entgegen, und der Fischer beschleunigte seine Schritte, als er ihrer an¬ sichtig ward. Margherita schlang, als sie Tonio erreichte, ihre Arme so hastig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/622>, abgerufen am 01.07.2024.