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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Altfränkische Lildcr und Geschichten aus dem Koburger Ländchen.

heirateten jüngsten Schwester, bei der auch als Stiefmutter des Mannes die
älteste Schwester, die "alte Tante," lebte. Den idyllisch-dramatischen Beginn
unsrer Chronik aber bildet die Verlobungsgeschichte dieser jüngsten Schwester, die
sich mehrere Jahre vor Dr. Alls Tode ereignete: die Erzählung, wie der junge
Lieenziat bei einem Sommerbesuch des Vaters seiner Stiefmutter das siebzehn¬
jährige Lottchen als singende Schnitterin, den Rechen in der Hand und einen
Kornblumenkranz im blonden Haar, kennen und lieben lernt und für den Reiz
dieser Empfindung dann beim abendlichen Geläut und Gebet der Erntefeier in
seinem Herzen die religiöse Weihe, sowie bald darauf von feiten des Vaters den
geistlichen Segen empfängt, eine reizende kleine Idylle, die unser Büchlein
von vornherein mit einem lieblichen ländlichen Abendschimmer und Erntedufte
erfüllt, der sich dann auch über die Bilder und Geschichten des städtischen
Lebens ausbreitet.

Als ein gleichfalls Stadt und Land vermählendes Seitenstück zu Lottchens
Verlobung begegnet uns dann die ungefähr gleichzeitige (1740) des Großvaters
väterlicherseits, des Koburger Nechtslieenziatcn Jmanuel Ehregott Schmalz mit
der Pfarrerstochter Fischer von Holzhausen; nur daß dieses Ehebündnis
für den Sohn, den Lieenziaten Christian Schmalz, in dein häuslichen Hader
seiner beiden verwitweten Großmütter den feindlichen Gegensatz zwischen Stadt
und Land ans humoristische Weise fortdauern läßt. Die dnrch die städtische
Vornehmthuerei der Frau Lieeuzintin hervorgerufenen, von der ländlichen Derb¬
heit der Fran Pfarrerin (einer gebornen Holländerin) nufgeuvmmenen häuslichen
Zweikämpfe beginnen gewöhnlich auf einem den beiden alten Damen gemein¬
samen offnen Gange, setzen sich aber dann auch in der gemeinsamen Familien-
wohnstnbe fort, wo der Enkel, der junge Lieenziat, selbst an seinem Schreibtische
sitzt und arbeitet und sich, wenn der Zank zu laut wird, durch einen patriarcha¬
lischen Pfiff zeitweilige Ruhe verschafft.

Wie roh freilich damals die ländlichen Zustände in Franken gegenüber den
städtischen geworden waren, und wie entartet namentlich die häuslichen Sitten
des fränkischen Landadels, dies Zu erproben hatte niemand bessere Gelegenheit
als unser Christian Schmalz, der Vater der Fran Bergner, vermöge der ihm
auf verschiedenen Gütern anvertrauten Gerichtshalterschast und vermöge des
christlichen Eifers, mit dem er dieses juristische Amt zugleich als ein Amt
menschenfreundlicher Hilfe und Warnung zu verwerten suchte. Ein treffendes
Bild und Beispiel dieses Verhältnisses bietet das zwischen ihm und einem junge"
Landfräulein einmal geführte Fenstergcspräch, worin letztere ihm schluchzend er¬
zählt, wie sie von ihrem Vater hier eingesperrt worden sei, damit er, der Ge¬
richtshalter, ihre zerrissenen Kleider und schnhelosen Füße nicht bemerken solle,
und darauf von ihm die wohlmeinende Antwort erhält, es schicke sich für en>
vornehmes junges Fräulein doch auch wirklich nicht, daß sie barfuß und zerlumpt
und zugleich fluchend und schimpfend, wie sie bisher gethan, durch Haus und


Altfränkische Lildcr und Geschichten aus dem Koburger Ländchen.

heirateten jüngsten Schwester, bei der auch als Stiefmutter des Mannes die
älteste Schwester, die „alte Tante," lebte. Den idyllisch-dramatischen Beginn
unsrer Chronik aber bildet die Verlobungsgeschichte dieser jüngsten Schwester, die
sich mehrere Jahre vor Dr. Alls Tode ereignete: die Erzählung, wie der junge
Lieenziat bei einem Sommerbesuch des Vaters seiner Stiefmutter das siebzehn¬
jährige Lottchen als singende Schnitterin, den Rechen in der Hand und einen
Kornblumenkranz im blonden Haar, kennen und lieben lernt und für den Reiz
dieser Empfindung dann beim abendlichen Geläut und Gebet der Erntefeier in
seinem Herzen die religiöse Weihe, sowie bald darauf von feiten des Vaters den
geistlichen Segen empfängt, eine reizende kleine Idylle, die unser Büchlein
von vornherein mit einem lieblichen ländlichen Abendschimmer und Erntedufte
erfüllt, der sich dann auch über die Bilder und Geschichten des städtischen
Lebens ausbreitet.

Als ein gleichfalls Stadt und Land vermählendes Seitenstück zu Lottchens
Verlobung begegnet uns dann die ungefähr gleichzeitige (1740) des Großvaters
väterlicherseits, des Koburger Nechtslieenziatcn Jmanuel Ehregott Schmalz mit
der Pfarrerstochter Fischer von Holzhausen; nur daß dieses Ehebündnis
für den Sohn, den Lieenziaten Christian Schmalz, in dein häuslichen Hader
seiner beiden verwitweten Großmütter den feindlichen Gegensatz zwischen Stadt
und Land ans humoristische Weise fortdauern läßt. Die dnrch die städtische
Vornehmthuerei der Frau Lieeuzintin hervorgerufenen, von der ländlichen Derb¬
heit der Fran Pfarrerin (einer gebornen Holländerin) nufgeuvmmenen häuslichen
Zweikämpfe beginnen gewöhnlich auf einem den beiden alten Damen gemein¬
samen offnen Gange, setzen sich aber dann auch in der gemeinsamen Familien-
wohnstnbe fort, wo der Enkel, der junge Lieenziat, selbst an seinem Schreibtische
sitzt und arbeitet und sich, wenn der Zank zu laut wird, durch einen patriarcha¬
lischen Pfiff zeitweilige Ruhe verschafft.

Wie roh freilich damals die ländlichen Zustände in Franken gegenüber den
städtischen geworden waren, und wie entartet namentlich die häuslichen Sitten
des fränkischen Landadels, dies Zu erproben hatte niemand bessere Gelegenheit
als unser Christian Schmalz, der Vater der Fran Bergner, vermöge der ihm
auf verschiedenen Gütern anvertrauten Gerichtshalterschast und vermöge des
christlichen Eifers, mit dem er dieses juristische Amt zugleich als ein Amt
menschenfreundlicher Hilfe und Warnung zu verwerten suchte. Ein treffendes
Bild und Beispiel dieses Verhältnisses bietet das zwischen ihm und einem junge»
Landfräulein einmal geführte Fenstergcspräch, worin letztere ihm schluchzend er¬
zählt, wie sie von ihrem Vater hier eingesperrt worden sei, damit er, der Ge¬
richtshalter, ihre zerrissenen Kleider und schnhelosen Füße nicht bemerken solle,
und darauf von ihm die wohlmeinende Antwort erhält, es schicke sich für en>
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[0616] Altfränkische Lildcr und Geschichten aus dem Koburger Ländchen. heirateten jüngsten Schwester, bei der auch als Stiefmutter des Mannes die älteste Schwester, die „alte Tante," lebte. Den idyllisch-dramatischen Beginn unsrer Chronik aber bildet die Verlobungsgeschichte dieser jüngsten Schwester, die sich mehrere Jahre vor Dr. Alls Tode ereignete: die Erzählung, wie der junge Lieenziat bei einem Sommerbesuch des Vaters seiner Stiefmutter das siebzehn¬ jährige Lottchen als singende Schnitterin, den Rechen in der Hand und einen Kornblumenkranz im blonden Haar, kennen und lieben lernt und für den Reiz dieser Empfindung dann beim abendlichen Geläut und Gebet der Erntefeier in seinem Herzen die religiöse Weihe, sowie bald darauf von feiten des Vaters den geistlichen Segen empfängt, eine reizende kleine Idylle, die unser Büchlein von vornherein mit einem lieblichen ländlichen Abendschimmer und Erntedufte erfüllt, der sich dann auch über die Bilder und Geschichten des städtischen Lebens ausbreitet. Als ein gleichfalls Stadt und Land vermählendes Seitenstück zu Lottchens Verlobung begegnet uns dann die ungefähr gleichzeitige (1740) des Großvaters väterlicherseits, des Koburger Nechtslieenziatcn Jmanuel Ehregott Schmalz mit der Pfarrerstochter Fischer von Holzhausen; nur daß dieses Ehebündnis für den Sohn, den Lieenziaten Christian Schmalz, in dein häuslichen Hader seiner beiden verwitweten Großmütter den feindlichen Gegensatz zwischen Stadt und Land ans humoristische Weise fortdauern läßt. Die dnrch die städtische Vornehmthuerei der Frau Lieeuzintin hervorgerufenen, von der ländlichen Derb¬ heit der Fran Pfarrerin (einer gebornen Holländerin) nufgeuvmmenen häuslichen Zweikämpfe beginnen gewöhnlich auf einem den beiden alten Damen gemein¬ samen offnen Gange, setzen sich aber dann auch in der gemeinsamen Familien- wohnstnbe fort, wo der Enkel, der junge Lieenziat, selbst an seinem Schreibtische sitzt und arbeitet und sich, wenn der Zank zu laut wird, durch einen patriarcha¬ lischen Pfiff zeitweilige Ruhe verschafft. Wie roh freilich damals die ländlichen Zustände in Franken gegenüber den städtischen geworden waren, und wie entartet namentlich die häuslichen Sitten des fränkischen Landadels, dies Zu erproben hatte niemand bessere Gelegenheit als unser Christian Schmalz, der Vater der Fran Bergner, vermöge der ihm auf verschiedenen Gütern anvertrauten Gerichtshalterschast und vermöge des christlichen Eifers, mit dem er dieses juristische Amt zugleich als ein Amt menschenfreundlicher Hilfe und Warnung zu verwerten suchte. Ein treffendes Bild und Beispiel dieses Verhältnisses bietet das zwischen ihm und einem junge» Landfräulein einmal geführte Fenstergcspräch, worin letztere ihm schluchzend er¬ zählt, wie sie von ihrem Vater hier eingesperrt worden sei, damit er, der Ge¬ richtshalter, ihre zerrissenen Kleider und schnhelosen Füße nicht bemerken solle, und darauf von ihm die wohlmeinende Antwort erhält, es schicke sich für en> vornehmes junges Fräulein doch auch wirklich nicht, daß sie barfuß und zerlumpt und zugleich fluchend und schimpfend, wie sie bisher gethan, durch Haus und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/616>, abgerufen am 01.07.2024.