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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Altfränkische Bilder "ut Geschichten aus dein Koburger Ländchen,

Jahren 1812 und 1813 des jungen Doktors liebenswürdige Hausgenossin und treue
Pflegerin in seiner gefährlichen Lazarethkrankheit zu Eude des Jahres, die Freundin
und "hochverehrte Herrin" des zwischen Ebern und Koburg hin und her wandernden
Dichters, und die Vermittlerin, soweit möglich, seines sehnsüchtiges Verhältnisses
und "Heimwehs" zu der schönen Pfarrerstochter von Effelder. Obwohl ein
Jahr älter als Varon Stockmar, hat Frau Berguer -- Gattin und seit 1830
Witwe des Hofrats und Stadtdirektors (Bürgemeisters) Bergncr in Koburg --
die beiden Jugendfreunde noch um mehrere Jahre, bis 1866 (2. November)
überlebt, fortdauernd ansässig und wohnhaft in jenem von ihr geerbten statt¬
lichen Hause am Markte, welches viele Jahre eiuen Mittelpunkt der Koburger
Gesellschaft bildete, und in welchem sie nun zuletzt, selbst kinderlos, mit einer ver¬
witwet zu ihr zurückgekehrten Pflegetochter zusammenlebte. In der letztern aber
hatte sie nicht nur eine kindliche Trösterin ihres Alters, sondern auch eine treue
geistreiche Bewahrerin ihrer autobiographischen Erzählungen und Erinnerungen
gefunden. Das Vues nämlich, dessen Besprechung dieser Aussatz gewidmet ist
und vou dem derselbe auch bereits seine Überschrift entlehnt hat: Altfränkische
Bilder und Geschichten ans dem Erinnerungsschatz einer alten
Tante (Coburg, Riemann, 1882), ist ein vor kurzem erschienenes Werk
dieser Pflegetochter und verdankt seinen Ursprung nicht sowohl der als chrono¬
logisches Merkmal genannten "alten Tante" -- einer Großtante mütterlicher¬
seits -- als vielmehr, wie Stoff und Stil deutlich verraten, der Frau Bergncr
selbst, die hier durch den Mund der Tochter zu uns redet und die Geschichte
ihrer Familie, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in einer Reihe malerischer
Skizzen Bild an Bild vor uns aufrollt. Und indem uns die so erzählte alt¬
fränkische Bilderchronik durch die dramatische Lebendigkeit des Stiles und un¬
mittelbare Erlebtheit des kulturhistorischen Stoffes eine ebenso anmutige als
lehrreiche Unterhaltung gewährt, dient sie zugleich, vermöge des Freundschafts¬
verhältnisses der Frau Berguer zu Stockmar und Rückert, sowie vermöge mehrerer
hier zum erstenmale gedruckten Rückertschen Briefe zur Vervollständigung unsrer
biographischen Kenntnis beider Freunde und zeigt uns dieselben, der Freundin
gegenüber, in maunichsnch neuer Beleuchtung.

Drei Generationen zurück beginnt die Erzählung und entspinnt sich in
dem kleinen Pfarrhause des an der Koburger Grenze gelegellen bairischen
Dorfes Hereth (Hairath), wo sowohl die "alte Tante" als anch die Großmutter
der Frau Bergncr mütterlicherseits als Töchter des Pfarrers Schmoller ge¬
boren und herangewachsen waren. Da nämlich die Großmutter, die zweite dieser
Töchter, sich durch den vorzeitigen Tod ihres Mannes, des Doktors Alt, Arztes
in Rentweinsdvrf, außer Stand gesetzt sah, die Erziehung ihrer drei Kinder,
zweier Söhne und eiuer Tochter, selbst fortzuführen, so wurden diese von den
Schmvllerschen Geschwistern übernommen, und zwar die Tochter, Carolina, Frau
Bergners Mutter, von der mit dem Koburger Rechtslicenziaten Krumm ver-


Altfränkische Bilder »ut Geschichten aus dein Koburger Ländchen,

Jahren 1812 und 1813 des jungen Doktors liebenswürdige Hausgenossin und treue
Pflegerin in seiner gefährlichen Lazarethkrankheit zu Eude des Jahres, die Freundin
und „hochverehrte Herrin" des zwischen Ebern und Koburg hin und her wandernden
Dichters, und die Vermittlerin, soweit möglich, seines sehnsüchtiges Verhältnisses
und „Heimwehs" zu der schönen Pfarrerstochter von Effelder. Obwohl ein
Jahr älter als Varon Stockmar, hat Frau Berguer — Gattin und seit 1830
Witwe des Hofrats und Stadtdirektors (Bürgemeisters) Bergncr in Koburg —
die beiden Jugendfreunde noch um mehrere Jahre, bis 1866 (2. November)
überlebt, fortdauernd ansässig und wohnhaft in jenem von ihr geerbten statt¬
lichen Hause am Markte, welches viele Jahre eiuen Mittelpunkt der Koburger
Gesellschaft bildete, und in welchem sie nun zuletzt, selbst kinderlos, mit einer ver¬
witwet zu ihr zurückgekehrten Pflegetochter zusammenlebte. In der letztern aber
hatte sie nicht nur eine kindliche Trösterin ihres Alters, sondern auch eine treue
geistreiche Bewahrerin ihrer autobiographischen Erzählungen und Erinnerungen
gefunden. Das Vues nämlich, dessen Besprechung dieser Aussatz gewidmet ist
und vou dem derselbe auch bereits seine Überschrift entlehnt hat: Altfränkische
Bilder und Geschichten ans dem Erinnerungsschatz einer alten
Tante (Coburg, Riemann, 1882), ist ein vor kurzem erschienenes Werk
dieser Pflegetochter und verdankt seinen Ursprung nicht sowohl der als chrono¬
logisches Merkmal genannten „alten Tante" — einer Großtante mütterlicher¬
seits — als vielmehr, wie Stoff und Stil deutlich verraten, der Frau Bergncr
selbst, die hier durch den Mund der Tochter zu uns redet und die Geschichte
ihrer Familie, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in einer Reihe malerischer
Skizzen Bild an Bild vor uns aufrollt. Und indem uns die so erzählte alt¬
fränkische Bilderchronik durch die dramatische Lebendigkeit des Stiles und un¬
mittelbare Erlebtheit des kulturhistorischen Stoffes eine ebenso anmutige als
lehrreiche Unterhaltung gewährt, dient sie zugleich, vermöge des Freundschafts¬
verhältnisses der Frau Berguer zu Stockmar und Rückert, sowie vermöge mehrerer
hier zum erstenmale gedruckten Rückertschen Briefe zur Vervollständigung unsrer
biographischen Kenntnis beider Freunde und zeigt uns dieselben, der Freundin
gegenüber, in maunichsnch neuer Beleuchtung.

Drei Generationen zurück beginnt die Erzählung und entspinnt sich in
dem kleinen Pfarrhause des an der Koburger Grenze gelegellen bairischen
Dorfes Hereth (Hairath), wo sowohl die „alte Tante" als anch die Großmutter
der Frau Bergncr mütterlicherseits als Töchter des Pfarrers Schmoller ge¬
boren und herangewachsen waren. Da nämlich die Großmutter, die zweite dieser
Töchter, sich durch den vorzeitigen Tod ihres Mannes, des Doktors Alt, Arztes
in Rentweinsdvrf, außer Stand gesetzt sah, die Erziehung ihrer drei Kinder,
zweier Söhne und eiuer Tochter, selbst fortzuführen, so wurden diese von den
Schmvllerschen Geschwistern übernommen, und zwar die Tochter, Carolina, Frau
Bergners Mutter, von der mit dem Koburger Rechtslicenziaten Krumm ver-


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[0615] Altfränkische Bilder »ut Geschichten aus dein Koburger Ländchen, Jahren 1812 und 1813 des jungen Doktors liebenswürdige Hausgenossin und treue Pflegerin in seiner gefährlichen Lazarethkrankheit zu Eude des Jahres, die Freundin und „hochverehrte Herrin" des zwischen Ebern und Koburg hin und her wandernden Dichters, und die Vermittlerin, soweit möglich, seines sehnsüchtiges Verhältnisses und „Heimwehs" zu der schönen Pfarrerstochter von Effelder. Obwohl ein Jahr älter als Varon Stockmar, hat Frau Berguer — Gattin und seit 1830 Witwe des Hofrats und Stadtdirektors (Bürgemeisters) Bergncr in Koburg — die beiden Jugendfreunde noch um mehrere Jahre, bis 1866 (2. November) überlebt, fortdauernd ansässig und wohnhaft in jenem von ihr geerbten statt¬ lichen Hause am Markte, welches viele Jahre eiuen Mittelpunkt der Koburger Gesellschaft bildete, und in welchem sie nun zuletzt, selbst kinderlos, mit einer ver¬ witwet zu ihr zurückgekehrten Pflegetochter zusammenlebte. In der letztern aber hatte sie nicht nur eine kindliche Trösterin ihres Alters, sondern auch eine treue geistreiche Bewahrerin ihrer autobiographischen Erzählungen und Erinnerungen gefunden. Das Vues nämlich, dessen Besprechung dieser Aussatz gewidmet ist und vou dem derselbe auch bereits seine Überschrift entlehnt hat: Altfränkische Bilder und Geschichten ans dem Erinnerungsschatz einer alten Tante (Coburg, Riemann, 1882), ist ein vor kurzem erschienenes Werk dieser Pflegetochter und verdankt seinen Ursprung nicht sowohl der als chrono¬ logisches Merkmal genannten „alten Tante" — einer Großtante mütterlicher¬ seits — als vielmehr, wie Stoff und Stil deutlich verraten, der Frau Bergncr selbst, die hier durch den Mund der Tochter zu uns redet und die Geschichte ihrer Familie, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in einer Reihe malerischer Skizzen Bild an Bild vor uns aufrollt. Und indem uns die so erzählte alt¬ fränkische Bilderchronik durch die dramatische Lebendigkeit des Stiles und un¬ mittelbare Erlebtheit des kulturhistorischen Stoffes eine ebenso anmutige als lehrreiche Unterhaltung gewährt, dient sie zugleich, vermöge des Freundschafts¬ verhältnisses der Frau Berguer zu Stockmar und Rückert, sowie vermöge mehrerer hier zum erstenmale gedruckten Rückertschen Briefe zur Vervollständigung unsrer biographischen Kenntnis beider Freunde und zeigt uns dieselben, der Freundin gegenüber, in maunichsnch neuer Beleuchtung. Drei Generationen zurück beginnt die Erzählung und entspinnt sich in dem kleinen Pfarrhause des an der Koburger Grenze gelegellen bairischen Dorfes Hereth (Hairath), wo sowohl die „alte Tante" als anch die Großmutter der Frau Bergncr mütterlicherseits als Töchter des Pfarrers Schmoller ge¬ boren und herangewachsen waren. Da nämlich die Großmutter, die zweite dieser Töchter, sich durch den vorzeitigen Tod ihres Mannes, des Doktors Alt, Arztes in Rentweinsdvrf, außer Stand gesetzt sah, die Erziehung ihrer drei Kinder, zweier Söhne und eiuer Tochter, selbst fortzuführen, so wurden diese von den Schmvllerschen Geschwistern übernommen, und zwar die Tochter, Carolina, Frau Bergners Mutter, von der mit dem Koburger Rechtslicenziaten Krumm ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/615>, abgerufen am 01.07.2024.