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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

Nach der Schlacht bei Gravelotte sprach man bei Tische davon, was nach
einer vollständigen Besiegung der Franzosen geschehen werde, und der Kanzler
schloß eine Auseinandersetzung seiner Ansicht mit den Worten: "Doch sprechen
wir uicht vom Felle des Bären, ehe er geschossen ist. Ich gestehe, ich bin in
dieser Beziehung abergläubisch." Vermutlich schwebte ihm dabei etwas wie der
altgriechische Neid der Götter vor. In Rheims zählte vor Beginn eines Diners
Gras Bismarck-Bohlen die Kvuverts. "Wir sind doch nicht etwa dreizehn beim
Essen," bemerkte er. "New. Das ist gut; denn der Minister hat das nicht
gern." Ein andermal waren wir wirklich dreizehn bei Tische, und als ich das
gegen Bucher, meinen Nachbar, äußerte, bat er mich, es uicht laut zu sagen,
da es den Chef verstimmen würde. Am 14. Oktober 1870 kam der General
Boyer als Unterhändler Bazaines nach Versailles zum Kanzler, aber Bismarck
scheint an diesem Tage nichts ernstes mit ihm vorgenommen zu haben. Er
fragte im Bureau: "Was haben wir heute für einen?" -- "Den Vierzehnten,
Exzellenz." -- "So, da war Hochkirch und Jena, da muß man keine Geschäfte
abschließen." Möglicherweise fiel ihm dabei auch ein, daß dieser Vierzehnte ein
Freitag war. Wenigstens behauptete er bei andrer Gelegenheit während des
Feldzugs, als von einer Unterhandlung gesprochen wurde, die mißlungen war:
"Duran war der Freitag schuld," und 1852 hatte er aus Halle an seine Frau
geschrieben: "Ich habe mich viel besonnen, ob gestern nicht doch am Ende Freitag
war, als ich abreiste; ein al"3 ireM8t,n8 war es jedenfalls," worauf er eine Reihe
von Reiseverdrießlichkeiten, einen Gasthof mit Wanzen und "infamen Kaffee,"
Meßjuden, "höhere Geschüftsdcuneu aus der Reezenjasse" und einen zudringlichen
Geheimrat im Kupee als Beweise dafür folgen läßt. Als ihm der Grafentitel
verliehen werden sollte, kämpfte er lange mit dem Bedenken, ob er ihn annehmen
sollte; denn er wußte, daß eine Anzahl pommerscher Adelsfamilien, die ihn be¬
kommen, in verhältnismäßig kurzer Zeit ausgestorben waren. "Das Land erträgt
es nicht," meinte er, als er die Sache erwähnte. Am 23. November 1870,
abends beim Thee, kam er in Versailles auf seinen Tod zu sprechen, und gab
genau das Alter, das ihm zu erreichen, und das Jahr an, in welchem ihm zu
sterben bestimmt sei____"Ich weiß es," schloß er, als dagegen remonstrirt wurde,
"es ist eine mystische Zahl." Sieben Jahre später, in Varzin, wiederholte er
dein Erzähler dieses seltsamen Vorkommnisses jene Versicherung, setzte indeß
hinzu: "Doch das weiß nur Gott."

Endlich mag noch Erwähnung verdienen, daß der Kanzler der Meinung
ist, der Mond habe Einfluß auf alles Wachsende, namentlich auf Haare und
Pflanzen. "Sie sehen noch einmal so jung aus, Herr Geheimrat," äußerte er
einmal bei Tafel scherzend gegen Abeken, als dieser sich die Haare hatte schneiden
lassen. "Man möchte gleich ihre Frau sein. Sie haben sich aber die Haare
zu rechter Zeit schneiden lassen; der Mond ist im Wachsen. Und wie mit den
Haaren ists auch mit den Bäumen. Wenn die Wurzelstocke der Birken wieder


Grenzboten IV. 1882. 77
Bismarck und die Religion.

Nach der Schlacht bei Gravelotte sprach man bei Tische davon, was nach
einer vollständigen Besiegung der Franzosen geschehen werde, und der Kanzler
schloß eine Auseinandersetzung seiner Ansicht mit den Worten: „Doch sprechen
wir uicht vom Felle des Bären, ehe er geschossen ist. Ich gestehe, ich bin in
dieser Beziehung abergläubisch." Vermutlich schwebte ihm dabei etwas wie der
altgriechische Neid der Götter vor. In Rheims zählte vor Beginn eines Diners
Gras Bismarck-Bohlen die Kvuverts. „Wir sind doch nicht etwa dreizehn beim
Essen," bemerkte er. „New. Das ist gut; denn der Minister hat das nicht
gern." Ein andermal waren wir wirklich dreizehn bei Tische, und als ich das
gegen Bucher, meinen Nachbar, äußerte, bat er mich, es uicht laut zu sagen,
da es den Chef verstimmen würde. Am 14. Oktober 1870 kam der General
Boyer als Unterhändler Bazaines nach Versailles zum Kanzler, aber Bismarck
scheint an diesem Tage nichts ernstes mit ihm vorgenommen zu haben. Er
fragte im Bureau: „Was haben wir heute für einen?" — „Den Vierzehnten,
Exzellenz." — „So, da war Hochkirch und Jena, da muß man keine Geschäfte
abschließen." Möglicherweise fiel ihm dabei auch ein, daß dieser Vierzehnte ein
Freitag war. Wenigstens behauptete er bei andrer Gelegenheit während des
Feldzugs, als von einer Unterhandlung gesprochen wurde, die mißlungen war:
„Duran war der Freitag schuld," und 1852 hatte er aus Halle an seine Frau
geschrieben: „Ich habe mich viel besonnen, ob gestern nicht doch am Ende Freitag
war, als ich abreiste; ein al«3 ireM8t,n8 war es jedenfalls," worauf er eine Reihe
von Reiseverdrießlichkeiten, einen Gasthof mit Wanzen und „infamen Kaffee,"
Meßjuden, „höhere Geschüftsdcuneu aus der Reezenjasse" und einen zudringlichen
Geheimrat im Kupee als Beweise dafür folgen läßt. Als ihm der Grafentitel
verliehen werden sollte, kämpfte er lange mit dem Bedenken, ob er ihn annehmen
sollte; denn er wußte, daß eine Anzahl pommerscher Adelsfamilien, die ihn be¬
kommen, in verhältnismäßig kurzer Zeit ausgestorben waren. „Das Land erträgt
es nicht," meinte er, als er die Sache erwähnte. Am 23. November 1870,
abends beim Thee, kam er in Versailles auf seinen Tod zu sprechen, und gab
genau das Alter, das ihm zu erreichen, und das Jahr an, in welchem ihm zu
sterben bestimmt sei____„Ich weiß es," schloß er, als dagegen remonstrirt wurde,
„es ist eine mystische Zahl." Sieben Jahre später, in Varzin, wiederholte er
dein Erzähler dieses seltsamen Vorkommnisses jene Versicherung, setzte indeß
hinzu: „Doch das weiß nur Gott."

Endlich mag noch Erwähnung verdienen, daß der Kanzler der Meinung
ist, der Mond habe Einfluß auf alles Wachsende, namentlich auf Haare und
Pflanzen. „Sie sehen noch einmal so jung aus, Herr Geheimrat," äußerte er
einmal bei Tafel scherzend gegen Abeken, als dieser sich die Haare hatte schneiden
lassen. „Man möchte gleich ihre Frau sein. Sie haben sich aber die Haare
zu rechter Zeit schneiden lassen; der Mond ist im Wachsen. Und wie mit den
Haaren ists auch mit den Bäumen. Wenn die Wurzelstocke der Birken wieder


Grenzboten IV. 1882. 77
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/613>, abgerufen am 01.07.2024.