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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

Das Thema, welches wir uns im vorstehenden klar zu machen versucht
haben, ist damit nicht hinreichend aufgehellt. Es giebt in genialen Menschen,
in den Heroen, die wir verehren, dunkle Gründe des Könnens und Wollens,
zu denen gewöhnlicher Verstand nicht hinabdringt, wie sehr er sich auch abmühe,
tief zu kommen, ja über die sie selbst vielleicht sich keine deutliche und genügende
Rechenschaft zu geben vermögen. "Ich möchte lieber schlafen, aber es denkt, es
spekulirt in mir," sagte der Kanzler einmal in Versailles, als er von ruhelosen
Nächten sprach. Was das "es" war, das gegen seinen Willen in ihm dachte,
blieb zu erraten. Man glaubte zu ahnen, aber nicht ohne Zweifel. So ists
auch in andern hier einschlagenden Fragen. Was man auch entdecke, immer
bleibt ein unerklärlicher Nest, und wenn man sich sein Ergebnis ansieht, ists
nur ein Durchscheinen von Farben und Formen dnrch einen Vorhang, die
Wahrheit, aber nicht die volle Wahrheit. Näher käme dieser wohl die tägliche
Umgebung des Fürsten, falls sie dafür Sinn und Sinne Hütte. Möglich, daß
jener Nest etwas sehr einfaches ist, so einfach wie der Kern vieler Rätsel. So
verhält sichs vermutlich auch mit dem, was zum Schlüsse noch erwähnt
werden muß.

Neben dem religiösen Glauben geht auch bei großen Geistern mitunter ein
Etwas her, das von der aufgeklärten Welt als Aberglaube bezeichnet wird, und
das, sowenig es im Christentum wurzelt, doch meist in einem gewissen Zu¬
sammenhange mit der Religion überhaupt steht, und auch davon finden wir bei
Bismarck Spuren.

Ju Ostpreußen giebt es ein unbewohntes Schloß, das deshalb leer steht,
weil seine Besitzer wissen wollen, es gehe darin das Gespenst einer Dame um,
die dort ein Verbrechen begangen habe. Der Spuk soll sich bei Hellem Tage
zeige". Als das einst bei Bismarcks erzählt wurde, und einer der Anwesenden
über die Sache scherzte, sagte der Fürst ernst, man möge darüber nicht spotten
und lachen; es könne sehr wohl etwas daran sein; denn er selbst habe einmal
ähnliches erlebt. Er sprach sich bei dieser Gelegenheit hierüber nicht naher aus,
meinte aber wahrscheinlich ein Vorkommnis in Schönhausen, über das Hesekiel
berichtet: "Einmal lag .Herr von Bismarck, er war aber damals noch nicht Mi¬
nisterpräsident, zu Bett in den: Schlafzimmer, in welchem er geboren war ^das¬
selbe blickt, wie zu beachten, mit seinen Fenstern aus deu dicht darunter befind¬
lichen Friedhof hinaus^ er hatte Gesellschaft im Schlosse, darunter einen Herr"
v. Dewitz, "ut für den folgenden Morgen war eine Jagdpartie verabredet, zu
welchem ein Diener die Herren frühzeitig wecken sollte. Plötzlich fuhr Bismarck
auf ans dein Schlaf, er hörte, wie sich im Nebenzimmer die Thür zur Biblio¬
thek öffnete, er glaubte leise Schritte zu vernehmen. Zunächst dachte er, der
Diener komme, um ihn zu wecken, gleich darauf aber hörte er in einem dritte"
Zimmer Herrn von Dewitz "Wer da?" rufen. Er sprang aus dem Bette, die
Uhr schlug zwölf, und es war niemand da."


Bismarck und die Religion.

Das Thema, welches wir uns im vorstehenden klar zu machen versucht
haben, ist damit nicht hinreichend aufgehellt. Es giebt in genialen Menschen,
in den Heroen, die wir verehren, dunkle Gründe des Könnens und Wollens,
zu denen gewöhnlicher Verstand nicht hinabdringt, wie sehr er sich auch abmühe,
tief zu kommen, ja über die sie selbst vielleicht sich keine deutliche und genügende
Rechenschaft zu geben vermögen. „Ich möchte lieber schlafen, aber es denkt, es
spekulirt in mir," sagte der Kanzler einmal in Versailles, als er von ruhelosen
Nächten sprach. Was das „es" war, das gegen seinen Willen in ihm dachte,
blieb zu erraten. Man glaubte zu ahnen, aber nicht ohne Zweifel. So ists
auch in andern hier einschlagenden Fragen. Was man auch entdecke, immer
bleibt ein unerklärlicher Nest, und wenn man sich sein Ergebnis ansieht, ists
nur ein Durchscheinen von Farben und Formen dnrch einen Vorhang, die
Wahrheit, aber nicht die volle Wahrheit. Näher käme dieser wohl die tägliche
Umgebung des Fürsten, falls sie dafür Sinn und Sinne Hütte. Möglich, daß
jener Nest etwas sehr einfaches ist, so einfach wie der Kern vieler Rätsel. So
verhält sichs vermutlich auch mit dem, was zum Schlüsse noch erwähnt
werden muß.

Neben dem religiösen Glauben geht auch bei großen Geistern mitunter ein
Etwas her, das von der aufgeklärten Welt als Aberglaube bezeichnet wird, und
das, sowenig es im Christentum wurzelt, doch meist in einem gewissen Zu¬
sammenhange mit der Religion überhaupt steht, und auch davon finden wir bei
Bismarck Spuren.

Ju Ostpreußen giebt es ein unbewohntes Schloß, das deshalb leer steht,
weil seine Besitzer wissen wollen, es gehe darin das Gespenst einer Dame um,
die dort ein Verbrechen begangen habe. Der Spuk soll sich bei Hellem Tage
zeige». Als das einst bei Bismarcks erzählt wurde, und einer der Anwesenden
über die Sache scherzte, sagte der Fürst ernst, man möge darüber nicht spotten
und lachen; es könne sehr wohl etwas daran sein; denn er selbst habe einmal
ähnliches erlebt. Er sprach sich bei dieser Gelegenheit hierüber nicht naher aus,
meinte aber wahrscheinlich ein Vorkommnis in Schönhausen, über das Hesekiel
berichtet: „Einmal lag .Herr von Bismarck, er war aber damals noch nicht Mi¬
nisterpräsident, zu Bett in den: Schlafzimmer, in welchem er geboren war ^das¬
selbe blickt, wie zu beachten, mit seinen Fenstern aus deu dicht darunter befind¬
lichen Friedhof hinaus^ er hatte Gesellschaft im Schlosse, darunter einen Herr»
v. Dewitz, »ut für den folgenden Morgen war eine Jagdpartie verabredet, zu
welchem ein Diener die Herren frühzeitig wecken sollte. Plötzlich fuhr Bismarck
auf ans dein Schlaf, er hörte, wie sich im Nebenzimmer die Thür zur Biblio¬
thek öffnete, er glaubte leise Schritte zu vernehmen. Zunächst dachte er, der
Diener komme, um ihn zu wecken, gleich darauf aber hörte er in einem dritte»
Zimmer Herrn von Dewitz «Wer da?» rufen. Er sprang aus dem Bette, die
Uhr schlug zwölf, und es war niemand da."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/612>, abgerufen am 01.07.2024.