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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarc? und die Religion.

für die Kirche, wie er keine für das Theater, für Konzerte, Kunstausstellungen
und Hoffeste hat. Vielleicht denkt er auch, daß Herrendienst in allen wichtigen
Fällen bei ihm Gottesdienst ist; denn, wie wir gesehen haben, faßt er seine Mission
als Arbeit nach Gottes Willen, in Gottes Namen und zur Verwirklichung gött¬
licher Gedanken auf. Eine andre Ursache sind Gesundheitsrücksichten. Er be¬
kommt, wie er in Versailles einmal erklärte, von der Kälte, die in den Kirchen
herrscht, Kopfschmerzen. Dasselbe deutet er in einem sehr charakteristischen
Vriese an, den er am 26. Dezember 1865 an den ihm befreundeten Prediger
Roman von Audrv richtete. Es heißt da: "Was Kirchenbesuch betrifft, so ist
es unrichtig, daß ich niemals ein Gotteshaus besuche. . . Ich gebe bereitwillig
zu, daß es öfter geschehen könnte, aber es ist nicht so sehr aus Zeitmangel als
aus Rücksicht auf meine Gesundheit, daß es unterbleibt, namentlich im Winter,
und denen, die sich in dieser Beziehung zum Richter an mir berufen fühlen, will
ich gern genauer Auskunft darüber geben. . . Wenn ich uuter der Vollzahl der
Sünder, die des Ruhmes vor Gott mangeln, hoffe, daß seine Gnade auch mir
in deu Gefahren und Zweifeln meines Berufes den Stab demütigen Glaubens
nicht nehmen werde, an dein ich meinen Weg zu finden suche, so soll mich dieses
Vertrauen weder harthörig gegen tadelnde Freuudesworte noch zornig gegen
liebloses und hoffärtiges Urteil machen."

Wie der Kanzler Zuschriften abwies, die unter die letztere Rubrik fielen,
mag ein Beispiel zeiget?. 1873, als die Altkonservativen ihm wegen der Stellung,
die er zu der Schulaufsichtsfrage genommen, den Rücken wandten und ihn in
ihren Blättern befehdeten, hielt es "ein alter Herr in Pommern" (Senfft
Pilsach?) für Recht und Pflicht, ihn "in einem absurden Briefe salbungsvoll
zur Einkehr und zum Gebete zu ernähren." Der Fürst aber verwies ihn in
seiner Antwort, die er dem Verfasser dieser Erörterung im Jahre 1881 teilweise
vorlas, u. a. aus Psalm 12, 4 und b, wo es heißt: "Der Herr wolle ausrotten
alle Heuchelei und die Zunge, die da stolz redet. Die da sagen: unsere Zunge
soll Überhand haben, uns gebühret zu reden; wer ist unser Herr?"

Selbst von seinem alten Freunde von Andrö ließ Bismarck sich nicht im-
Poniren, als dieser seine Meinung vom Duell mißbilligte. Er schreibt ihm in
jenem Dezemberbriefe von 186S: "Was die Virchvwsche Sache anbelangt >er
hatte den fortschrittlichen Professor, nachdem dieser ihn im Landtage dreist be¬
leidigt, durch Herrn von Keudell fordern lassen, der Zungenheld war aber darauf
nicht eingegangen^, so bin ich über die Jahre hinaus, wo man in dergleichen
von Fleisch und Blut Rat nimmt. Wenn ich mein Leben all eine Sache setze,
so thue ich es Mer spricht in der That ein Geistesverwandter Cromwellss in
demjenigen Glauben, den ich mir in langem, schwerem Kampfe, aber in ehrlichem
und demütigem Gebete vor Gott gestärkt habe, und den mir Menschenwvrt, auch
das eines Freundes im Herrn und eines Dieners seiner Kirche, nicht um¬
stößt."


Bismarc? und die Religion.

für die Kirche, wie er keine für das Theater, für Konzerte, Kunstausstellungen
und Hoffeste hat. Vielleicht denkt er auch, daß Herrendienst in allen wichtigen
Fällen bei ihm Gottesdienst ist; denn, wie wir gesehen haben, faßt er seine Mission
als Arbeit nach Gottes Willen, in Gottes Namen und zur Verwirklichung gött¬
licher Gedanken auf. Eine andre Ursache sind Gesundheitsrücksichten. Er be¬
kommt, wie er in Versailles einmal erklärte, von der Kälte, die in den Kirchen
herrscht, Kopfschmerzen. Dasselbe deutet er in einem sehr charakteristischen
Vriese an, den er am 26. Dezember 1865 an den ihm befreundeten Prediger
Roman von Audrv richtete. Es heißt da: „Was Kirchenbesuch betrifft, so ist
es unrichtig, daß ich niemals ein Gotteshaus besuche. . . Ich gebe bereitwillig
zu, daß es öfter geschehen könnte, aber es ist nicht so sehr aus Zeitmangel als
aus Rücksicht auf meine Gesundheit, daß es unterbleibt, namentlich im Winter,
und denen, die sich in dieser Beziehung zum Richter an mir berufen fühlen, will
ich gern genauer Auskunft darüber geben. . . Wenn ich uuter der Vollzahl der
Sünder, die des Ruhmes vor Gott mangeln, hoffe, daß seine Gnade auch mir
in deu Gefahren und Zweifeln meines Berufes den Stab demütigen Glaubens
nicht nehmen werde, an dein ich meinen Weg zu finden suche, so soll mich dieses
Vertrauen weder harthörig gegen tadelnde Freuudesworte noch zornig gegen
liebloses und hoffärtiges Urteil machen."

Wie der Kanzler Zuschriften abwies, die unter die letztere Rubrik fielen,
mag ein Beispiel zeiget?. 1873, als die Altkonservativen ihm wegen der Stellung,
die er zu der Schulaufsichtsfrage genommen, den Rücken wandten und ihn in
ihren Blättern befehdeten, hielt es „ein alter Herr in Pommern" (Senfft
Pilsach?) für Recht und Pflicht, ihn „in einem absurden Briefe salbungsvoll
zur Einkehr und zum Gebete zu ernähren." Der Fürst aber verwies ihn in
seiner Antwort, die er dem Verfasser dieser Erörterung im Jahre 1881 teilweise
vorlas, u. a. aus Psalm 12, 4 und b, wo es heißt: „Der Herr wolle ausrotten
alle Heuchelei und die Zunge, die da stolz redet. Die da sagen: unsere Zunge
soll Überhand haben, uns gebühret zu reden; wer ist unser Herr?"

Selbst von seinem alten Freunde von Andrö ließ Bismarck sich nicht im-
Poniren, als dieser seine Meinung vom Duell mißbilligte. Er schreibt ihm in
jenem Dezemberbriefe von 186S: „Was die Virchvwsche Sache anbelangt >er
hatte den fortschrittlichen Professor, nachdem dieser ihn im Landtage dreist be¬
leidigt, durch Herrn von Keudell fordern lassen, der Zungenheld war aber darauf
nicht eingegangen^, so bin ich über die Jahre hinaus, wo man in dergleichen
von Fleisch und Blut Rat nimmt. Wenn ich mein Leben all eine Sache setze,
so thue ich es Mer spricht in der That ein Geistesverwandter Cromwellss in
demjenigen Glauben, den ich mir in langem, schwerem Kampfe, aber in ehrlichem
und demütigem Gebete vor Gott gestärkt habe, und den mir Menschenwvrt, auch
das eines Freundes im Herrn und eines Dieners seiner Kirche, nicht um¬
stößt."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/611>, abgerufen am 01.07.2024.