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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

in Berlin noch in Varzin. Hesekiel berichtet zwar: "Der Ministerpräsident hält
sich mit seinem Hause zur nahen Dreifaltigkeitskirche, in welcher er einst konfirmirt
wurde. Mach derselben Quelle durch Schleiermacher.^ Das Abendmahl empfängt
er aus der Hand des Konsistorialrath Svuchon, der auch seine Kinder konfirmirt
hat. Wenn Bismarck krankheitshalber dem öffentlichen Gottesdienste nicht bei¬
wohnen kann, so läßt er gern durch einen jüngern Geistlichen sür sich und die
Seinen einen Privatgvttesdienst abhalten." Der Verfasser dieses Aufsatzes weist
nicht, aus welcher Zeit dies erzählt wird. Er weiß dagegen bestimmt, daß es
seinen eignen Beobachtungen nicht entspricht. Er war langer als drei Jahre,
von Ende Februar 1870 bis Ende März 1873, im Auswärtigen Amte an¬
gestellt und dort, wenn sein Chef in Berlin war, auch an den Sonntagen ohne
Ausnahme acht bis zehn Stunden zugegen. Er entsinne sich aber nicht, gesehen
oder gehört zu haben, daß der Minister im Verlaufe dieser Zeit die Kirche
besucht hätte, obwohl derselbe keineswegs immer krank war, und seines Wissens
fand ein Hausgottesdienst der von Hesekiel erwähnten Art in jenen drei Jahren
bei Bismarck nur ein einziges mal statt. Am 25. Juli 1870 schrieb ich in
mein Tagebuch: "Graf Bismarck nimmt heute früh 11 Uhr oben in seiner
Wohnung mit den Seinigen das heilige Abendmahl. Er läßt anfragen, ob
jemand ans unserm Bureau sich dabei beteiligen wolle, aber es meldet sich
niemand dazu." Es war eine Ausnahme von der Regel, und ein großer
Moment gab dazu Veranlassung. Sechs Tage vorher hatte Frankreich uus
den Krieg erklärt, und sechs Tage nach dieser Abendmahlsfeier verließ der
Kanzler an der Seite des Königs Berlin, um zum deutschen Heere abzureisen.

Über Varzin schreibt dem Verfasser ein Freund, der dort fünf oder sechs
Sommer und Herbste mit Bismarck verlebt hat, daß letzterer am Tage seiner
silbernen Hochzeit (28. Juli 1872), einem Sonntage, mit Familie und Gästen
zur Kirche in Wnssow gefahren ist. Er fügt hinzu: "Ich habe ihn auch sonst
in den Jahren, die ich in Varzin war, zweimal dahin begleitet; einmal nahm
er das Abendmahl." Wnssow ist das eine starke Viertelmeile von Varzin ge¬
legne Dorf, wo letzteres eingepfarrt ist.

Während der sieben Monate des deutsch-französischen Krieges ging der
Kanzler, soweit die Erinnerung des Verfassers reicht, dreimal zur Predigt,
einmal in Rheims und zweimal in Versailles.

Die Nächstliegende Ursache, weshalb der Reichskanzler nur selten eine
Predigt hört und an dem Gemeindegescmge teilnimmt, ist wohl mit dein Sprich¬
wort ausgedrückt, nach welchen Herrendienst vor Gottesdienst geht. "Es ist,
schreibt er im Juli 1365 an seine Schwester, soviel Müssen in meinem Leben,
daß ich selten zum Wollen komme." "Der Tag sollte für mich eigentlich sechs
bis sieben Stunden mehr haben, so viel habe ich zu thun," äußerte er einmal
in Versailles, und das wird auch für die spätere Zeit ungefähr zutreffen, soweit
es sich um die Monate handelt, die er in Berlin verweilt. Er hat keine Muß^


Bismarck und die Religion.

in Berlin noch in Varzin. Hesekiel berichtet zwar: „Der Ministerpräsident hält
sich mit seinem Hause zur nahen Dreifaltigkeitskirche, in welcher er einst konfirmirt
wurde. Mach derselben Quelle durch Schleiermacher.^ Das Abendmahl empfängt
er aus der Hand des Konsistorialrath Svuchon, der auch seine Kinder konfirmirt
hat. Wenn Bismarck krankheitshalber dem öffentlichen Gottesdienste nicht bei¬
wohnen kann, so läßt er gern durch einen jüngern Geistlichen sür sich und die
Seinen einen Privatgvttesdienst abhalten." Der Verfasser dieses Aufsatzes weist
nicht, aus welcher Zeit dies erzählt wird. Er weiß dagegen bestimmt, daß es
seinen eignen Beobachtungen nicht entspricht. Er war langer als drei Jahre,
von Ende Februar 1870 bis Ende März 1873, im Auswärtigen Amte an¬
gestellt und dort, wenn sein Chef in Berlin war, auch an den Sonntagen ohne
Ausnahme acht bis zehn Stunden zugegen. Er entsinne sich aber nicht, gesehen
oder gehört zu haben, daß der Minister im Verlaufe dieser Zeit die Kirche
besucht hätte, obwohl derselbe keineswegs immer krank war, und seines Wissens
fand ein Hausgottesdienst der von Hesekiel erwähnten Art in jenen drei Jahren
bei Bismarck nur ein einziges mal statt. Am 25. Juli 1870 schrieb ich in
mein Tagebuch: „Graf Bismarck nimmt heute früh 11 Uhr oben in seiner
Wohnung mit den Seinigen das heilige Abendmahl. Er läßt anfragen, ob
jemand ans unserm Bureau sich dabei beteiligen wolle, aber es meldet sich
niemand dazu." Es war eine Ausnahme von der Regel, und ein großer
Moment gab dazu Veranlassung. Sechs Tage vorher hatte Frankreich uus
den Krieg erklärt, und sechs Tage nach dieser Abendmahlsfeier verließ der
Kanzler an der Seite des Königs Berlin, um zum deutschen Heere abzureisen.

Über Varzin schreibt dem Verfasser ein Freund, der dort fünf oder sechs
Sommer und Herbste mit Bismarck verlebt hat, daß letzterer am Tage seiner
silbernen Hochzeit (28. Juli 1872), einem Sonntage, mit Familie und Gästen
zur Kirche in Wnssow gefahren ist. Er fügt hinzu: „Ich habe ihn auch sonst
in den Jahren, die ich in Varzin war, zweimal dahin begleitet; einmal nahm
er das Abendmahl." Wnssow ist das eine starke Viertelmeile von Varzin ge¬
legne Dorf, wo letzteres eingepfarrt ist.

Während der sieben Monate des deutsch-französischen Krieges ging der
Kanzler, soweit die Erinnerung des Verfassers reicht, dreimal zur Predigt,
einmal in Rheims und zweimal in Versailles.

Die Nächstliegende Ursache, weshalb der Reichskanzler nur selten eine
Predigt hört und an dem Gemeindegescmge teilnimmt, ist wohl mit dein Sprich¬
wort ausgedrückt, nach welchen Herrendienst vor Gottesdienst geht. „Es ist,
schreibt er im Juli 1365 an seine Schwester, soviel Müssen in meinem Leben,
daß ich selten zum Wollen komme." „Der Tag sollte für mich eigentlich sechs
bis sieben Stunden mehr haben, so viel habe ich zu thun," äußerte er einmal
in Versailles, und das wird auch für die spätere Zeit ungefähr zutreffen, soweit
es sich um die Monate handelt, die er in Berlin verweilt. Er hat keine Muß^


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[0610] Bismarck und die Religion. in Berlin noch in Varzin. Hesekiel berichtet zwar: „Der Ministerpräsident hält sich mit seinem Hause zur nahen Dreifaltigkeitskirche, in welcher er einst konfirmirt wurde. Mach derselben Quelle durch Schleiermacher.^ Das Abendmahl empfängt er aus der Hand des Konsistorialrath Svuchon, der auch seine Kinder konfirmirt hat. Wenn Bismarck krankheitshalber dem öffentlichen Gottesdienste nicht bei¬ wohnen kann, so läßt er gern durch einen jüngern Geistlichen sür sich und die Seinen einen Privatgvttesdienst abhalten." Der Verfasser dieses Aufsatzes weist nicht, aus welcher Zeit dies erzählt wird. Er weiß dagegen bestimmt, daß es seinen eignen Beobachtungen nicht entspricht. Er war langer als drei Jahre, von Ende Februar 1870 bis Ende März 1873, im Auswärtigen Amte an¬ gestellt und dort, wenn sein Chef in Berlin war, auch an den Sonntagen ohne Ausnahme acht bis zehn Stunden zugegen. Er entsinne sich aber nicht, gesehen oder gehört zu haben, daß der Minister im Verlaufe dieser Zeit die Kirche besucht hätte, obwohl derselbe keineswegs immer krank war, und seines Wissens fand ein Hausgottesdienst der von Hesekiel erwähnten Art in jenen drei Jahren bei Bismarck nur ein einziges mal statt. Am 25. Juli 1870 schrieb ich in mein Tagebuch: „Graf Bismarck nimmt heute früh 11 Uhr oben in seiner Wohnung mit den Seinigen das heilige Abendmahl. Er läßt anfragen, ob jemand ans unserm Bureau sich dabei beteiligen wolle, aber es meldet sich niemand dazu." Es war eine Ausnahme von der Regel, und ein großer Moment gab dazu Veranlassung. Sechs Tage vorher hatte Frankreich uus den Krieg erklärt, und sechs Tage nach dieser Abendmahlsfeier verließ der Kanzler an der Seite des Königs Berlin, um zum deutschen Heere abzureisen. Über Varzin schreibt dem Verfasser ein Freund, der dort fünf oder sechs Sommer und Herbste mit Bismarck verlebt hat, daß letzterer am Tage seiner silbernen Hochzeit (28. Juli 1872), einem Sonntage, mit Familie und Gästen zur Kirche in Wnssow gefahren ist. Er fügt hinzu: „Ich habe ihn auch sonst in den Jahren, die ich in Varzin war, zweimal dahin begleitet; einmal nahm er das Abendmahl." Wnssow ist das eine starke Viertelmeile von Varzin ge¬ legne Dorf, wo letzteres eingepfarrt ist. Während der sieben Monate des deutsch-französischen Krieges ging der Kanzler, soweit die Erinnerung des Verfassers reicht, dreimal zur Predigt, einmal in Rheims und zweimal in Versailles. Die Nächstliegende Ursache, weshalb der Reichskanzler nur selten eine Predigt hört und an dem Gemeindegescmge teilnimmt, ist wohl mit dein Sprich¬ wort ausgedrückt, nach welchen Herrendienst vor Gottesdienst geht. „Es ist, schreibt er im Juli 1365 an seine Schwester, soviel Müssen in meinem Leben, daß ich selten zum Wollen komme." „Der Tag sollte für mich eigentlich sechs bis sieben Stunden mehr haben, so viel habe ich zu thun," äußerte er einmal in Versailles, und das wird auch für die spätere Zeit ungefähr zutreffen, soweit es sich um die Monate handelt, die er in Berlin verweilt. Er hat keine Muß^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/610>, abgerufen am 01.07.2024.