Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Z3isinarck und die Religion.

ratung des Kultusetats im preußischen Abgeordnetenhause, die am 30. Januar
1372 stattfand, erklärte der Kanzler gegen den Schluß einer längern Rede hin:
"Es ist der ernste Wille der Negierung, daß jede Konfession und vor allen
Dingen die so angesehene und durch ihre Volkszahl große katholische innerhalb
dieses Staates sich mit aller Freiheit bewegen soll. . . . Jedes Dogma, auch das
von uns nicht geglaubte, welches so und so viele Millionen teilen, muß für
ihre Mitbürger und für die Regierung jedenfalls heilig sein. Aber wir können
den dauernden Anspruch auf Ausübung eines Teiles der Staatsgewalt den
geistlichen Behörden nicht einräumen, und soweit sie dieselbe besitzen, sehen wir
im Interesse des Friedens uns genötigt, sie einzuschränken, damit wir neben¬
einander Platz haben, damit wir in Ruhe miteinander leben können." Am
14. Mai 1872 bemerkte der Fürst, nachdem er vor dem Reichstage sein Be¬
fremden und Bedauern über die Ablehnung des zum Vertreter Preußens beim
heiligen Stuhle vorgeschlagenen Fürsten Hohenlohe ausgesprochen: "Die Regierung
schuldet unseru katholischen Mitbürgern, daß sie nicht müde werde, die Wege
aufzusuchen, ans denen die Regelung der Grenze zwischen der geistlichen und der
weltlichen Gewalt, deren wir im Interesse unsers innern Friedens absolut be¬
dürfen, in der schonendsteu und konfessionell am wenigsten verstimmenden Weise
gefunden werden könne." Am 10. Mürz 1373, bei der Beratung der Ver-
fassungsändernugen im Herrenhause, sagte der Reichskanzler: "Es handelt
sich nicht, wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um deu Kampf
einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht
an den Kampf zwischen Glanben und Unglauben, es handelt sich um den ur¬
alten Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel
älter ist als die Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt. Dieser Machtstreit
unterliegt denselben Bedingungen wie jeder andre politische Kampf, und es ist
eine Verschiebung der Frage, die auf den Eindruck auf urteilslose Leute berechnet
ist, wenn man sie darstellt, als ob es sich um Bedrückung der Kirche handele.
Es handelt sich um Verteidigung des Staates, es handelt sich um die Abgrenzung,
wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft gehen soll,
und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat dabei bestehen
kann. Deun in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt."

Wie der Fürst von 1873 an die Friedensliebe und die Duldsamkeit, die
sich in diesen Zitaten kundgiebt, bethätigt hat, ist noch in frischer Erinnerung
und bedarf somit nicht der näheren Betrachtung und Belegung mit Beispielen.

Wenn Vismarck die Souutagsheilignng nicht sowohl ans der biblischen
Offenbarung, ans dem mosaischen Gebote als vielmehr aus dem weltlichen Be¬
dürfnisse nach einem Ruhetage rechtfertigt, so giebt er, wie es scheint, überhaupt
nicht sehr viel auf kirchliche Observcmzeu und Zeremonien. So ist er z. B. kein
fleißiger Kirchengänger. Wenigstens war er dies nach den Erfahrungen und
Erkundigungen des Verfassers dieser Untersuchung in dem letzten Jahrzehnte weder


Z3isinarck und die Religion.

ratung des Kultusetats im preußischen Abgeordnetenhause, die am 30. Januar
1372 stattfand, erklärte der Kanzler gegen den Schluß einer längern Rede hin:
„Es ist der ernste Wille der Negierung, daß jede Konfession und vor allen
Dingen die so angesehene und durch ihre Volkszahl große katholische innerhalb
dieses Staates sich mit aller Freiheit bewegen soll. . . . Jedes Dogma, auch das
von uns nicht geglaubte, welches so und so viele Millionen teilen, muß für
ihre Mitbürger und für die Regierung jedenfalls heilig sein. Aber wir können
den dauernden Anspruch auf Ausübung eines Teiles der Staatsgewalt den
geistlichen Behörden nicht einräumen, und soweit sie dieselbe besitzen, sehen wir
im Interesse des Friedens uns genötigt, sie einzuschränken, damit wir neben¬
einander Platz haben, damit wir in Ruhe miteinander leben können." Am
14. Mai 1872 bemerkte der Fürst, nachdem er vor dem Reichstage sein Be¬
fremden und Bedauern über die Ablehnung des zum Vertreter Preußens beim
heiligen Stuhle vorgeschlagenen Fürsten Hohenlohe ausgesprochen: „Die Regierung
schuldet unseru katholischen Mitbürgern, daß sie nicht müde werde, die Wege
aufzusuchen, ans denen die Regelung der Grenze zwischen der geistlichen und der
weltlichen Gewalt, deren wir im Interesse unsers innern Friedens absolut be¬
dürfen, in der schonendsteu und konfessionell am wenigsten verstimmenden Weise
gefunden werden könne." Am 10. Mürz 1373, bei der Beratung der Ver-
fassungsändernugen im Herrenhause, sagte der Reichskanzler: „Es handelt
sich nicht, wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um deu Kampf
einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht
an den Kampf zwischen Glanben und Unglauben, es handelt sich um den ur¬
alten Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel
älter ist als die Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt. Dieser Machtstreit
unterliegt denselben Bedingungen wie jeder andre politische Kampf, und es ist
eine Verschiebung der Frage, die auf den Eindruck auf urteilslose Leute berechnet
ist, wenn man sie darstellt, als ob es sich um Bedrückung der Kirche handele.
Es handelt sich um Verteidigung des Staates, es handelt sich um die Abgrenzung,
wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft gehen soll,
und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat dabei bestehen
kann. Deun in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt."

Wie der Fürst von 1873 an die Friedensliebe und die Duldsamkeit, die
sich in diesen Zitaten kundgiebt, bethätigt hat, ist noch in frischer Erinnerung
und bedarf somit nicht der näheren Betrachtung und Belegung mit Beispielen.

Wenn Vismarck die Souutagsheilignng nicht sowohl ans der biblischen
Offenbarung, ans dem mosaischen Gebote als vielmehr aus dem weltlichen Be¬
dürfnisse nach einem Ruhetage rechtfertigt, so giebt er, wie es scheint, überhaupt
nicht sehr viel auf kirchliche Observcmzeu und Zeremonien. So ist er z. B. kein
fleißiger Kirchengänger. Wenigstens war er dies nach den Erfahrungen und
Erkundigungen des Verfassers dieser Untersuchung in dem letzten Jahrzehnte weder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194587"/>
          <fw type="header" place="top"> Z3isinarck und die Religion.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2172" prev="#ID_2171"> ratung des Kultusetats im preußischen Abgeordnetenhause, die am 30. Januar<lb/>
1372 stattfand, erklärte der Kanzler gegen den Schluß einer längern Rede hin:<lb/>
&#x201E;Es ist der ernste Wille der Negierung, daß jede Konfession und vor allen<lb/>
Dingen die so angesehene und durch ihre Volkszahl große katholische innerhalb<lb/>
dieses Staates sich mit aller Freiheit bewegen soll. . . . Jedes Dogma, auch das<lb/>
von uns nicht geglaubte, welches so und so viele Millionen teilen, muß für<lb/>
ihre Mitbürger und für die Regierung jedenfalls heilig sein. Aber wir können<lb/>
den dauernden Anspruch auf Ausübung eines Teiles der Staatsgewalt den<lb/>
geistlichen Behörden nicht einräumen, und soweit sie dieselbe besitzen, sehen wir<lb/>
im Interesse des Friedens uns genötigt, sie einzuschränken, damit wir neben¬<lb/>
einander Platz haben, damit wir in Ruhe miteinander leben können." Am<lb/>
14. Mai 1872 bemerkte der Fürst, nachdem er vor dem Reichstage sein Be¬<lb/>
fremden und Bedauern über die Ablehnung des zum Vertreter Preußens beim<lb/>
heiligen Stuhle vorgeschlagenen Fürsten Hohenlohe ausgesprochen: &#x201E;Die Regierung<lb/>
schuldet unseru katholischen Mitbürgern, daß sie nicht müde werde, die Wege<lb/>
aufzusuchen, ans denen die Regelung der Grenze zwischen der geistlichen und der<lb/>
weltlichen Gewalt, deren wir im Interesse unsers innern Friedens absolut be¬<lb/>
dürfen, in der schonendsteu und konfessionell am wenigsten verstimmenden Weise<lb/>
gefunden werden könne." Am 10. Mürz 1373, bei der Beratung der Ver-<lb/>
fassungsändernugen im Herrenhause, sagte der Reichskanzler: &#x201E;Es handelt<lb/>
sich nicht, wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um deu Kampf<lb/>
einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht<lb/>
an den Kampf zwischen Glanben und Unglauben, es handelt sich um den ur¬<lb/>
alten Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel<lb/>
älter ist als die Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt. Dieser Machtstreit<lb/>
unterliegt denselben Bedingungen wie jeder andre politische Kampf, und es ist<lb/>
eine Verschiebung der Frage, die auf den Eindruck auf urteilslose Leute berechnet<lb/>
ist, wenn man sie darstellt, als ob es sich um Bedrückung der Kirche handele.<lb/>
Es handelt sich um Verteidigung des Staates, es handelt sich um die Abgrenzung,<lb/>
wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft gehen soll,<lb/>
und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat dabei bestehen<lb/>
kann. Deun in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2173"> Wie der Fürst von 1873 an die Friedensliebe und die Duldsamkeit, die<lb/>
sich in diesen Zitaten kundgiebt, bethätigt hat, ist noch in frischer Erinnerung<lb/>
und bedarf somit nicht der näheren Betrachtung und Belegung mit Beispielen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2174" next="#ID_2175"> Wenn Vismarck die Souutagsheilignng nicht sowohl ans der biblischen<lb/>
Offenbarung, ans dem mosaischen Gebote als vielmehr aus dem weltlichen Be¬<lb/>
dürfnisse nach einem Ruhetage rechtfertigt, so giebt er, wie es scheint, überhaupt<lb/>
nicht sehr viel auf kirchliche Observcmzeu und Zeremonien. So ist er z. B. kein<lb/>
fleißiger Kirchengänger. Wenigstens war er dies nach den Erfahrungen und<lb/>
Erkundigungen des Verfassers dieser Untersuchung in dem letzten Jahrzehnte weder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] Z3isinarck und die Religion. ratung des Kultusetats im preußischen Abgeordnetenhause, die am 30. Januar 1372 stattfand, erklärte der Kanzler gegen den Schluß einer längern Rede hin: „Es ist der ernste Wille der Negierung, daß jede Konfession und vor allen Dingen die so angesehene und durch ihre Volkszahl große katholische innerhalb dieses Staates sich mit aller Freiheit bewegen soll. . . . Jedes Dogma, auch das von uns nicht geglaubte, welches so und so viele Millionen teilen, muß für ihre Mitbürger und für die Regierung jedenfalls heilig sein. Aber wir können den dauernden Anspruch auf Ausübung eines Teiles der Staatsgewalt den geistlichen Behörden nicht einräumen, und soweit sie dieselbe besitzen, sehen wir im Interesse des Friedens uns genötigt, sie einzuschränken, damit wir neben¬ einander Platz haben, damit wir in Ruhe miteinander leben können." Am 14. Mai 1872 bemerkte der Fürst, nachdem er vor dem Reichstage sein Be¬ fremden und Bedauern über die Ablehnung des zum Vertreter Preußens beim heiligen Stuhle vorgeschlagenen Fürsten Hohenlohe ausgesprochen: „Die Regierung schuldet unseru katholischen Mitbürgern, daß sie nicht müde werde, die Wege aufzusuchen, ans denen die Regelung der Grenze zwischen der geistlichen und der weltlichen Gewalt, deren wir im Interesse unsers innern Friedens absolut be¬ dürfen, in der schonendsteu und konfessionell am wenigsten verstimmenden Weise gefunden werden könne." Am 10. Mürz 1373, bei der Beratung der Ver- fassungsändernugen im Herrenhause, sagte der Reichskanzler: „Es handelt sich nicht, wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um deu Kampf einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht an den Kampf zwischen Glanben und Unglauben, es handelt sich um den ur¬ alten Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel älter ist als die Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt. Dieser Machtstreit unterliegt denselben Bedingungen wie jeder andre politische Kampf, und es ist eine Verschiebung der Frage, die auf den Eindruck auf urteilslose Leute berechnet ist, wenn man sie darstellt, als ob es sich um Bedrückung der Kirche handele. Es handelt sich um Verteidigung des Staates, es handelt sich um die Abgrenzung, wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft gehen soll, und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat dabei bestehen kann. Deun in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt." Wie der Fürst von 1873 an die Friedensliebe und die Duldsamkeit, die sich in diesen Zitaten kundgiebt, bethätigt hat, ist noch in frischer Erinnerung und bedarf somit nicht der näheren Betrachtung und Belegung mit Beispielen. Wenn Vismarck die Souutagsheilignng nicht sowohl ans der biblischen Offenbarung, ans dem mosaischen Gebote als vielmehr aus dem weltlichen Be¬ dürfnisse nach einem Ruhetage rechtfertigt, so giebt er, wie es scheint, überhaupt nicht sehr viel auf kirchliche Observcmzeu und Zeremonien. So ist er z. B. kein fleißiger Kirchengänger. Wenigstens war er dies nach den Erfahrungen und Erkundigungen des Verfassers dieser Untersuchung in dem letzten Jahrzehnte weder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/609>, abgerufen am 01.07.2024.