Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Vismarck und die Religion.

Gitter eine schriftliche Weisung zugehen zu lassen, uach welcher sortnn die Be¬
stellung der Felder seiner Tagelöhner derjenigen seiner eignen vorangehen, dafür
aber von jenen in Zukunft keine Sonntagsarbeit mehr gethan werden sollte.
Die Folge war, daß die Tagelöhner von dieser Zeit an das, was ihre Feld¬
parzellen nötig hatten, in zwei oder drei Tagen besorgten lind sich dann flott
und vergnügt an die Arbeit ans dem herrschaftlichen Lande begaben, sodaß der
Oberinspektor bald berichten konnte, die Bestellung der Äcker auf dem letztern
sei noch niemals so rasch von statten gegangen als in der letzten Zeit.

Als jetzt in ziemlich weiten Kreisen genügend erkannt darf betrachtet werden,
daß die Maßregeln, mit denen der Reichskanzler den Anmaßungen und Über¬
griffen der Ultramvntniien gegenübertrnt, sich nicht gegen die religiöse, sondern
gegen die politische Seite der katholischen Kirche richteten, also nicht auf in¬
tolerante Gesinnung zurückzuführen waren. Nur die Einmischung der römischen
Kurie in das staatliche Recht und Leben Preußens und Deutschlands konnte
und sollte nicht tvlcrirt werden. Wenn man sich gegenwärtig unter allen Ver¬
ständigen darüber klar sein wird, so mögen doch noch einige Erinnerungen und
Hinweise erlaubt und nützlich sein. Es giebt auch viele Unverständige und Ver¬
geßliche im Lande, und das Sprichwort, "ach welchem Lügen kurze Beine haben,
ist erfahrungsmäßig eine Regel mit Ausnahmen.

Als während des Aufenthaltes der mobil gemachten Abteilung des Aus¬
wärtigen Amtes in Versailles vom Einbrüche der Italiener in den Quirinal und
der Absicht des Papstes, seine Residenz von Rom hinweg und vielleicht nach
Dentschland zu verlegen, die Rede war, bemerkte der Kanzler nach einer längern
Auseinandersetzung der Möglichkeiten und Folgen einer Übersiedlung des heiligen
Vaters uach Köln oder Fulda: "Na und schließlich, wenn nun anch etliche
Leute in Deutschland wieder katholisch würden -- ich werd's nicht --, so hätte
das nicht viel zu bedeuten, wenn sie nnr gläubige Christe" wären. Die Kon¬
fessionen machen's nicht, solidern der Glaube."

Im diplomatischen Verkehr aber sowie in den Parlamenten hat sich der
Fürst wiederholt und in unzweideutigster Sprache dahin geäußert, daß seiner Politik
die Absicht einer Beeinträchtigung der katholischen Kirche in ihrer Eigenschaft
als Heilscmstnlt gänzlich fern liege. Als Graf Arnim, der frühere preußische
Botschafter bei der Kurie, um die Mitte des Mai 1869 in einer Depesche den
Vorschlag machte, Preußen möge, eventuell in Gemeinschaft mit dem übrigen
Dentschland, nach dem Gebrauche der Regierungen bei früheren Konzilien sich
anf der Vatikanischen Kirchenversammlung durch bestimmte Bevollmächtigte
(orÄtorv") als Staat vertreten lassen, und Bismarck dies ablehnte, führte er
unter den ihm gegen den Arnimschcn Gedanken sprechenden Gründen auch den
an: "Für Preußen giebt es verfafsnngsmüßig wie politisch nnr einen Stand^
prillt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen und der ent¬
schiedenen Abwehr jedes Übergriffs auf das staatliche Gebiet." Bei der Be-


Vismarck und die Religion.

Gitter eine schriftliche Weisung zugehen zu lassen, uach welcher sortnn die Be¬
stellung der Felder seiner Tagelöhner derjenigen seiner eignen vorangehen, dafür
aber von jenen in Zukunft keine Sonntagsarbeit mehr gethan werden sollte.
Die Folge war, daß die Tagelöhner von dieser Zeit an das, was ihre Feld¬
parzellen nötig hatten, in zwei oder drei Tagen besorgten lind sich dann flott
und vergnügt an die Arbeit ans dem herrschaftlichen Lande begaben, sodaß der
Oberinspektor bald berichten konnte, die Bestellung der Äcker auf dem letztern
sei noch niemals so rasch von statten gegangen als in der letzten Zeit.

Als jetzt in ziemlich weiten Kreisen genügend erkannt darf betrachtet werden,
daß die Maßregeln, mit denen der Reichskanzler den Anmaßungen und Über¬
griffen der Ultramvntniien gegenübertrnt, sich nicht gegen die religiöse, sondern
gegen die politische Seite der katholischen Kirche richteten, also nicht auf in¬
tolerante Gesinnung zurückzuführen waren. Nur die Einmischung der römischen
Kurie in das staatliche Recht und Leben Preußens und Deutschlands konnte
und sollte nicht tvlcrirt werden. Wenn man sich gegenwärtig unter allen Ver¬
ständigen darüber klar sein wird, so mögen doch noch einige Erinnerungen und
Hinweise erlaubt und nützlich sein. Es giebt auch viele Unverständige und Ver¬
geßliche im Lande, und das Sprichwort, »ach welchem Lügen kurze Beine haben,
ist erfahrungsmäßig eine Regel mit Ausnahmen.

Als während des Aufenthaltes der mobil gemachten Abteilung des Aus¬
wärtigen Amtes in Versailles vom Einbrüche der Italiener in den Quirinal und
der Absicht des Papstes, seine Residenz von Rom hinweg und vielleicht nach
Dentschland zu verlegen, die Rede war, bemerkte der Kanzler nach einer längern
Auseinandersetzung der Möglichkeiten und Folgen einer Übersiedlung des heiligen
Vaters uach Köln oder Fulda: „Na und schließlich, wenn nun anch etliche
Leute in Deutschland wieder katholisch würden — ich werd's nicht —, so hätte
das nicht viel zu bedeuten, wenn sie nnr gläubige Christe» wären. Die Kon¬
fessionen machen's nicht, solidern der Glaube."

Im diplomatischen Verkehr aber sowie in den Parlamenten hat sich der
Fürst wiederholt und in unzweideutigster Sprache dahin geäußert, daß seiner Politik
die Absicht einer Beeinträchtigung der katholischen Kirche in ihrer Eigenschaft
als Heilscmstnlt gänzlich fern liege. Als Graf Arnim, der frühere preußische
Botschafter bei der Kurie, um die Mitte des Mai 1869 in einer Depesche den
Vorschlag machte, Preußen möge, eventuell in Gemeinschaft mit dem übrigen
Dentschland, nach dem Gebrauche der Regierungen bei früheren Konzilien sich
anf der Vatikanischen Kirchenversammlung durch bestimmte Bevollmächtigte
(orÄtorv») als Staat vertreten lassen, und Bismarck dies ablehnte, führte er
unter den ihm gegen den Arnimschcn Gedanken sprechenden Gründen auch den
an: „Für Preußen giebt es verfafsnngsmüßig wie politisch nnr einen Stand^
prillt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen und der ent¬
schiedenen Abwehr jedes Übergriffs auf das staatliche Gebiet." Bei der Be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0608" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194586"/>
          <fw type="header" place="top"> Vismarck und die Religion.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2168" prev="#ID_2167"> Gitter eine schriftliche Weisung zugehen zu lassen, uach welcher sortnn die Be¬<lb/>
stellung der Felder seiner Tagelöhner derjenigen seiner eignen vorangehen, dafür<lb/>
aber von jenen in Zukunft keine Sonntagsarbeit mehr gethan werden sollte.<lb/>
Die Folge war, daß die Tagelöhner von dieser Zeit an das, was ihre Feld¬<lb/>
parzellen nötig hatten, in zwei oder drei Tagen besorgten lind sich dann flott<lb/>
und vergnügt an die Arbeit ans dem herrschaftlichen Lande begaben, sodaß der<lb/>
Oberinspektor bald berichten konnte, die Bestellung der Äcker auf dem letztern<lb/>
sei noch niemals so rasch von statten gegangen als in der letzten Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2169"> Als jetzt in ziemlich weiten Kreisen genügend erkannt darf betrachtet werden,<lb/>
daß die Maßregeln, mit denen der Reichskanzler den Anmaßungen und Über¬<lb/>
griffen der Ultramvntniien gegenübertrnt, sich nicht gegen die religiöse, sondern<lb/>
gegen die politische Seite der katholischen Kirche richteten, also nicht auf in¬<lb/>
tolerante Gesinnung zurückzuführen waren. Nur die Einmischung der römischen<lb/>
Kurie in das staatliche Recht und Leben Preußens und Deutschlands konnte<lb/>
und sollte nicht tvlcrirt werden. Wenn man sich gegenwärtig unter allen Ver¬<lb/>
ständigen darüber klar sein wird, so mögen doch noch einige Erinnerungen und<lb/>
Hinweise erlaubt und nützlich sein. Es giebt auch viele Unverständige und Ver¬<lb/>
geßliche im Lande, und das Sprichwort, »ach welchem Lügen kurze Beine haben,<lb/>
ist erfahrungsmäßig eine Regel mit Ausnahmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2170"> Als während des Aufenthaltes der mobil gemachten Abteilung des Aus¬<lb/>
wärtigen Amtes in Versailles vom Einbrüche der Italiener in den Quirinal und<lb/>
der Absicht des Papstes, seine Residenz von Rom hinweg und vielleicht nach<lb/>
Dentschland zu verlegen, die Rede war, bemerkte der Kanzler nach einer längern<lb/>
Auseinandersetzung der Möglichkeiten und Folgen einer Übersiedlung des heiligen<lb/>
Vaters uach Köln oder Fulda: &#x201E;Na und schließlich, wenn nun anch etliche<lb/>
Leute in Deutschland wieder katholisch würden &#x2014; ich werd's nicht &#x2014;, so hätte<lb/>
das nicht viel zu bedeuten, wenn sie nnr gläubige Christe» wären. Die Kon¬<lb/>
fessionen machen's nicht, solidern der Glaube."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2171" next="#ID_2172"> Im diplomatischen Verkehr aber sowie in den Parlamenten hat sich der<lb/>
Fürst wiederholt und in unzweideutigster Sprache dahin geäußert, daß seiner Politik<lb/>
die Absicht einer Beeinträchtigung der katholischen Kirche in ihrer Eigenschaft<lb/>
als Heilscmstnlt gänzlich fern liege. Als Graf Arnim, der frühere preußische<lb/>
Botschafter bei der Kurie, um die Mitte des Mai 1869 in einer Depesche den<lb/>
Vorschlag machte, Preußen möge, eventuell in Gemeinschaft mit dem übrigen<lb/>
Dentschland, nach dem Gebrauche der Regierungen bei früheren Konzilien sich<lb/>
anf der Vatikanischen Kirchenversammlung durch bestimmte Bevollmächtigte<lb/>
(orÄtorv») als Staat vertreten lassen, und Bismarck dies ablehnte, führte er<lb/>
unter den ihm gegen den Arnimschcn Gedanken sprechenden Gründen auch den<lb/>
an: &#x201E;Für Preußen giebt es verfafsnngsmüßig wie politisch nnr einen Stand^<lb/>
prillt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen und der ent¬<lb/>
schiedenen Abwehr jedes Übergriffs auf das staatliche Gebiet."  Bei der Be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0608] Vismarck und die Religion. Gitter eine schriftliche Weisung zugehen zu lassen, uach welcher sortnn die Be¬ stellung der Felder seiner Tagelöhner derjenigen seiner eignen vorangehen, dafür aber von jenen in Zukunft keine Sonntagsarbeit mehr gethan werden sollte. Die Folge war, daß die Tagelöhner von dieser Zeit an das, was ihre Feld¬ parzellen nötig hatten, in zwei oder drei Tagen besorgten lind sich dann flott und vergnügt an die Arbeit ans dem herrschaftlichen Lande begaben, sodaß der Oberinspektor bald berichten konnte, die Bestellung der Äcker auf dem letztern sei noch niemals so rasch von statten gegangen als in der letzten Zeit. Als jetzt in ziemlich weiten Kreisen genügend erkannt darf betrachtet werden, daß die Maßregeln, mit denen der Reichskanzler den Anmaßungen und Über¬ griffen der Ultramvntniien gegenübertrnt, sich nicht gegen die religiöse, sondern gegen die politische Seite der katholischen Kirche richteten, also nicht auf in¬ tolerante Gesinnung zurückzuführen waren. Nur die Einmischung der römischen Kurie in das staatliche Recht und Leben Preußens und Deutschlands konnte und sollte nicht tvlcrirt werden. Wenn man sich gegenwärtig unter allen Ver¬ ständigen darüber klar sein wird, so mögen doch noch einige Erinnerungen und Hinweise erlaubt und nützlich sein. Es giebt auch viele Unverständige und Ver¬ geßliche im Lande, und das Sprichwort, »ach welchem Lügen kurze Beine haben, ist erfahrungsmäßig eine Regel mit Ausnahmen. Als während des Aufenthaltes der mobil gemachten Abteilung des Aus¬ wärtigen Amtes in Versailles vom Einbrüche der Italiener in den Quirinal und der Absicht des Papstes, seine Residenz von Rom hinweg und vielleicht nach Dentschland zu verlegen, die Rede war, bemerkte der Kanzler nach einer längern Auseinandersetzung der Möglichkeiten und Folgen einer Übersiedlung des heiligen Vaters uach Köln oder Fulda: „Na und schließlich, wenn nun anch etliche Leute in Deutschland wieder katholisch würden — ich werd's nicht —, so hätte das nicht viel zu bedeuten, wenn sie nnr gläubige Christe» wären. Die Kon¬ fessionen machen's nicht, solidern der Glaube." Im diplomatischen Verkehr aber sowie in den Parlamenten hat sich der Fürst wiederholt und in unzweideutigster Sprache dahin geäußert, daß seiner Politik die Absicht einer Beeinträchtigung der katholischen Kirche in ihrer Eigenschaft als Heilscmstnlt gänzlich fern liege. Als Graf Arnim, der frühere preußische Botschafter bei der Kurie, um die Mitte des Mai 1869 in einer Depesche den Vorschlag machte, Preußen möge, eventuell in Gemeinschaft mit dem übrigen Dentschland, nach dem Gebrauche der Regierungen bei früheren Konzilien sich anf der Vatikanischen Kirchenversammlung durch bestimmte Bevollmächtigte (orÄtorv») als Staat vertreten lassen, und Bismarck dies ablehnte, führte er unter den ihm gegen den Arnimschcn Gedanken sprechenden Gründen auch den an: „Für Preußen giebt es verfafsnngsmüßig wie politisch nnr einen Stand^ prillt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen und der ent¬ schiedenen Abwehr jedes Übergriffs auf das staatliche Gebiet." Bei der Be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/608
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/608>, abgerufen am 01.07.2024.