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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Lisumrck und die Religion.

der Neuengland-Straten hin, die mit ihrer starren Intoleranz gegen Anders¬
denkende und neuerdings mit ihrem Liquor-Law den ärgsten Zwang und Druck
ausgeübt Hütten und noch heute übten. "Und die Sonntagsheiligung in Eng¬
land und Amerika, sagte Vismarck. Das ist doch eine ganz erschreckliche Tyrannei.
Ich erinnere mich, als ich das erstemal nach England kam und in Hull landete,
daß ich da auf der Straße pfiff. Ein Engländer, den ich an Bord kennen
gelernt hatte, bat mich, doch nicht zu pfeifen. . . Ich fragte: Warum denn nicht?
Ist das hier verboten? Nein, versetzte er, aber 's ist Sabbath. Das verdroß
mich dermaßen, daß ich gleich ein Billet auf einen andern Dampfer nahm, der
nach Edinburg fuhr, da es mir nicht gefiel, nicht pfeifen zu dürfen, wenn ich
Lust hatte. . . Ich bin sonst durchaus nicht gegen die Sonntagsheiligung," fuhr
er fort, nachdem Bucher bemerkt, der Sonntag in England sei im allgemeinen
nicht so schlimm, ihm habe er immer sehr wohlgethan mit seiner Stille nach
dem Gewühl und Geräusch der Londoner Werkeltage, wo der Spektakel schon
früh losginge. "Im Gegenteil, ich thue als Gutsherr dafür, was ich kann.
Nur will ich nicht, daß man die Leute dazu zwinge. Jeder muß wissen, wie
er sich am besten aufs künftige Leben vorbereitet. . . Sonntags sollte nirgends
gearbeitet werden, nicht so sehr, weil es unrecht ist, gegen Gottes Gebot, als
der Menschen wegen, die Erholung haben müssen. Das gilt freilich nicht vom
Staatsdienste, besonders vom diplomatischen, wo auch Sonntags Depeschen und
Telegramme kommen, die erledigt sein wollen. Auch dagegen ist nichts zu sagen,
daß unsre Bauern in der Ernte, wenn es lange geregnet hat, und es Sonnabends
Nachmittags schön Wetter werden will, daß die dann ihr Heu und Korn des
Sonntags einbringen. Ich würde es nicht übers Herz bringen, das meinen
Pächtern, etwa im Kontrakte, zu untersagen. Ich selber kann mir das gestatten,
da ich den etwaigen Schaden eines Montagsregens mit ansehen kann." Als
jemand schließlich erwähnte, daß fromme Leute in Newyork des Sonntags nicht
einmal kochen ließen, und daß er deshalb eines Tages, von einer dortigen vor¬
nehmen Familie zum Diner eingeladen, kalt habe speisen müssen, bemerkte der
Kanzler: "Ja, in Frankfurt, als ich noch freier war, haben wir Sonntags auch
immer ganz einfach gegessen, und ich habe da niemals anspannen lassen, der
Leute wegen."

Eines Tages -- wahrscheinlich im Herbste 1876 -- machte der Fürst in
Varzin einen Ausflug zu Pferde, der ihn bis an die Grenze der Herrschaft
führte. Zu seinem Erstaunen sah er hier, obwohl es ein Sonntag war, eine
Anzahl von Landleuten beschäftigt, das Feld mit Hacke und Spaten zu be¬
arbeiten. "Was sind denn das für Leute dort?" erkundigte er sich bei
seinem Inspektor. "Unsre Tagelöhner, Durchlaucht," war die Autwort. Wir
können sie an den sechs Wochentagen nicht entbehren, und so müssen sie ihre
eignen Ackerstücke am Sonntage bestellen." Der Fürst ritt darauf nach Haufe,
Wo er sich ohne Verzug hinsetzte, um allen Inspektoren und Verwaltern seiner


Lisumrck und die Religion.

der Neuengland-Straten hin, die mit ihrer starren Intoleranz gegen Anders¬
denkende und neuerdings mit ihrem Liquor-Law den ärgsten Zwang und Druck
ausgeübt Hütten und noch heute übten. „Und die Sonntagsheiligung in Eng¬
land und Amerika, sagte Vismarck. Das ist doch eine ganz erschreckliche Tyrannei.
Ich erinnere mich, als ich das erstemal nach England kam und in Hull landete,
daß ich da auf der Straße pfiff. Ein Engländer, den ich an Bord kennen
gelernt hatte, bat mich, doch nicht zu pfeifen. . . Ich fragte: Warum denn nicht?
Ist das hier verboten? Nein, versetzte er, aber 's ist Sabbath. Das verdroß
mich dermaßen, daß ich gleich ein Billet auf einen andern Dampfer nahm, der
nach Edinburg fuhr, da es mir nicht gefiel, nicht pfeifen zu dürfen, wenn ich
Lust hatte. . . Ich bin sonst durchaus nicht gegen die Sonntagsheiligung," fuhr
er fort, nachdem Bucher bemerkt, der Sonntag in England sei im allgemeinen
nicht so schlimm, ihm habe er immer sehr wohlgethan mit seiner Stille nach
dem Gewühl und Geräusch der Londoner Werkeltage, wo der Spektakel schon
früh losginge. „Im Gegenteil, ich thue als Gutsherr dafür, was ich kann.
Nur will ich nicht, daß man die Leute dazu zwinge. Jeder muß wissen, wie
er sich am besten aufs künftige Leben vorbereitet. . . Sonntags sollte nirgends
gearbeitet werden, nicht so sehr, weil es unrecht ist, gegen Gottes Gebot, als
der Menschen wegen, die Erholung haben müssen. Das gilt freilich nicht vom
Staatsdienste, besonders vom diplomatischen, wo auch Sonntags Depeschen und
Telegramme kommen, die erledigt sein wollen. Auch dagegen ist nichts zu sagen,
daß unsre Bauern in der Ernte, wenn es lange geregnet hat, und es Sonnabends
Nachmittags schön Wetter werden will, daß die dann ihr Heu und Korn des
Sonntags einbringen. Ich würde es nicht übers Herz bringen, das meinen
Pächtern, etwa im Kontrakte, zu untersagen. Ich selber kann mir das gestatten,
da ich den etwaigen Schaden eines Montagsregens mit ansehen kann." Als
jemand schließlich erwähnte, daß fromme Leute in Newyork des Sonntags nicht
einmal kochen ließen, und daß er deshalb eines Tages, von einer dortigen vor¬
nehmen Familie zum Diner eingeladen, kalt habe speisen müssen, bemerkte der
Kanzler: „Ja, in Frankfurt, als ich noch freier war, haben wir Sonntags auch
immer ganz einfach gegessen, und ich habe da niemals anspannen lassen, der
Leute wegen."

Eines Tages — wahrscheinlich im Herbste 1876 — machte der Fürst in
Varzin einen Ausflug zu Pferde, der ihn bis an die Grenze der Herrschaft
führte. Zu seinem Erstaunen sah er hier, obwohl es ein Sonntag war, eine
Anzahl von Landleuten beschäftigt, das Feld mit Hacke und Spaten zu be¬
arbeiten. „Was sind denn das für Leute dort?" erkundigte er sich bei
seinem Inspektor. „Unsre Tagelöhner, Durchlaucht," war die Autwort. Wir
können sie an den sechs Wochentagen nicht entbehren, und so müssen sie ihre
eignen Ackerstücke am Sonntage bestellen." Der Fürst ritt darauf nach Haufe,
Wo er sich ohne Verzug hinsetzte, um allen Inspektoren und Verwaltern seiner


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[0607] Lisumrck und die Religion. der Neuengland-Straten hin, die mit ihrer starren Intoleranz gegen Anders¬ denkende und neuerdings mit ihrem Liquor-Law den ärgsten Zwang und Druck ausgeübt Hütten und noch heute übten. „Und die Sonntagsheiligung in Eng¬ land und Amerika, sagte Vismarck. Das ist doch eine ganz erschreckliche Tyrannei. Ich erinnere mich, als ich das erstemal nach England kam und in Hull landete, daß ich da auf der Straße pfiff. Ein Engländer, den ich an Bord kennen gelernt hatte, bat mich, doch nicht zu pfeifen. . . Ich fragte: Warum denn nicht? Ist das hier verboten? Nein, versetzte er, aber 's ist Sabbath. Das verdroß mich dermaßen, daß ich gleich ein Billet auf einen andern Dampfer nahm, der nach Edinburg fuhr, da es mir nicht gefiel, nicht pfeifen zu dürfen, wenn ich Lust hatte. . . Ich bin sonst durchaus nicht gegen die Sonntagsheiligung," fuhr er fort, nachdem Bucher bemerkt, der Sonntag in England sei im allgemeinen nicht so schlimm, ihm habe er immer sehr wohlgethan mit seiner Stille nach dem Gewühl und Geräusch der Londoner Werkeltage, wo der Spektakel schon früh losginge. „Im Gegenteil, ich thue als Gutsherr dafür, was ich kann. Nur will ich nicht, daß man die Leute dazu zwinge. Jeder muß wissen, wie er sich am besten aufs künftige Leben vorbereitet. . . Sonntags sollte nirgends gearbeitet werden, nicht so sehr, weil es unrecht ist, gegen Gottes Gebot, als der Menschen wegen, die Erholung haben müssen. Das gilt freilich nicht vom Staatsdienste, besonders vom diplomatischen, wo auch Sonntags Depeschen und Telegramme kommen, die erledigt sein wollen. Auch dagegen ist nichts zu sagen, daß unsre Bauern in der Ernte, wenn es lange geregnet hat, und es Sonnabends Nachmittags schön Wetter werden will, daß die dann ihr Heu und Korn des Sonntags einbringen. Ich würde es nicht übers Herz bringen, das meinen Pächtern, etwa im Kontrakte, zu untersagen. Ich selber kann mir das gestatten, da ich den etwaigen Schaden eines Montagsregens mit ansehen kann." Als jemand schließlich erwähnte, daß fromme Leute in Newyork des Sonntags nicht einmal kochen ließen, und daß er deshalb eines Tages, von einer dortigen vor¬ nehmen Familie zum Diner eingeladen, kalt habe speisen müssen, bemerkte der Kanzler: „Ja, in Frankfurt, als ich noch freier war, haben wir Sonntags auch immer ganz einfach gegessen, und ich habe da niemals anspannen lassen, der Leute wegen." Eines Tages — wahrscheinlich im Herbste 1876 — machte der Fürst in Varzin einen Ausflug zu Pferde, der ihn bis an die Grenze der Herrschaft führte. Zu seinem Erstaunen sah er hier, obwohl es ein Sonntag war, eine Anzahl von Landleuten beschäftigt, das Feld mit Hacke und Spaten zu be¬ arbeiten. „Was sind denn das für Leute dort?" erkundigte er sich bei seinem Inspektor. „Unsre Tagelöhner, Durchlaucht," war die Autwort. Wir können sie an den sechs Wochentagen nicht entbehren, und so müssen sie ihre eignen Ackerstücke am Sonntage bestellen." Der Fürst ritt darauf nach Haufe, Wo er sich ohne Verzug hinsetzte, um allen Inspektoren und Verwaltern seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/607>, abgerufen am 01.07.2024.