Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.Bismarck und die Religion. Seine, soweit es nicht wider das Staatsinteresse ist. Er weiß, daß er "unter "Christentum, nicht Konfession wie die Hofprediger," sagte er einmal -- es -) Die sogenannten schottischen Märtyrer Mnir. Palmer u. a. im Jahre 1793 ,si,-d
gemeint. Bismarck und die Religion. Seine, soweit es nicht wider das Staatsinteresse ist. Er weiß, daß er „unter „Christentum, nicht Konfession wie die Hofprediger," sagte er einmal — es -) Die sogenannten schottischen Märtyrer Mnir. Palmer u. a. im Jahre 1793 ,si,-d
gemeint. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194584"/> <fw type="header" place="top"> Bismarck und die Religion.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2164" prev="#ID_2163"> Seine, soweit es nicht wider das Staatsinteresse ist. Er weiß, daß er „unter<lb/> Heiden lebt," will aber „keine Proselyten machen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2165" next="#ID_2166"> „Christentum, nicht Konfession wie die Hofprediger," sagte er einmal — es<lb/> war wohl im Winter von 1878 zu 1879 — zum Verfasser dieser Darstellung.<lb/> Bei einem Tischgespräche, das am 12. August 1870 zu Se. Avvld stattfand,<lb/> kam die Rede u. a. auf die Mormonen mit ihrer Vielweiberei und den Umstand,<lb/> daß die Vereinigten Staaten eine solche Sekte bisher geduldet, und bei diesem<lb/> Anlaß entwickelte der Kanzler Grundsätze, die der Glaubensfreiheit entschieden<lb/> günstig lauteten. Nur dürfe, so setzte er hinzu, die Duldsamkeit uicht bloß<lb/> von der einen Seite verlangt und geübt werden. „Jeder muß uach seiner Fen/on<lb/> selig werden können," bemerkte er. „Das Kirchenvermögen aber muß natürlich<lb/> denen verbleiben, welche bei der alten Kirche bleiben, die es erworben hat. Wer<lb/> austritt, muß seiner Überzeugung oder vielmehr seinem Unglauben ein Opfer<lb/> bringen können. . . Den Katholiken nimmt man es wenig übel, wenn sie orthodox<lb/> sind, den Juden garnicht, den Lutheranern aber sehr, und die Kirche wird fort¬<lb/> während als verfolgungssüchtig verschrieen, wenn sie die Nichtorthvdoxen abweist;<lb/> davon aber, daß die Orthodoxen von der Presse und im Leben verfolgt<lb/> werden und verspottet — das finden die Leute ganz in der Ordnung." Als<lb/> später während des Krieges jemand bei Tafel das Thema von der Toleranz<lb/> aufs Tapet brachte, erklärte sich der Minister nicht weniger unumwunden für<lb/> Duldsamkeit in Religionssachen. „Aber, so fuhr er wieder fort, die Aufgeklärten<lb/> sind auch nicht tolerant. Sie verfolgen die, welche gläubig sind, zwar nicht<lb/> mit Scheiterhaufen — denn das geht nicht mehr —, aber mit Spott und Hohn<lb/> in der Presse, und im Volke, soweit es zu den Nichtglüubigen gehört, ist man<lb/> darin nicht weiter als früher. Ich möchte nicht sehen, mit welchem Vergnügen<lb/> man dabei sein würde, wenn der Pastor Knak gehenkt würde." Mau erwähnte,<lb/> daß der alte Protestantismus höchst intolerant gewesen sei, und Bücher machte<lb/> darauf aufmerksam, daß nach Buckle die Hugenotten eifrige Reaktionäre gewesen<lb/> seien, und daß dies von deu damaligen Reformirten überhaupt gelte. „Nicht<lb/> gerade Reaktionäre, erwiederte der Kanzler, aber kleine Tyrannen, jeder Pastor<lb/> war ein kleiner Papst." Er führte Calvins Verfahren gegen Servet all und<lb/> setzte hinzu: „Auch Luther war so." Ein andrer Tischgenosse erinnerte daran,<lb/> wie er Karlstadt und die Münzerschen Schwarmgeister behandelt, und an die<lb/> Wittenberger Streittheolvgen, desgleichen an die Hinrichtung des Kanzlers Kreil<lb/> in Dresden, der seinen Kryptoealvinismus mit dem Tode gebüßt habe. Bücher<lb/> erzählte, daß die schottischen Presbyterianer zu Ende des vorigen Jahrhunderts<lb/> jemand, der Thomas Paynes Buch vou den Menschellrechten einem andern nur<lb/> geliehen, zu einundzlvallzigjähriger Deportation verurteilt und sofort in Ketten<lb/> gelegt hüllen.*) Ein andrer Gast des Kanzlers wies wieder auf die Puritaner</p><lb/> <note xml:id="FID_68" place="foot"> -) Die sogenannten schottischen Märtyrer Mnir. Palmer u. a. im Jahre 1793 ,si,-d<lb/> gemeint.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0606]
Bismarck und die Religion.
Seine, soweit es nicht wider das Staatsinteresse ist. Er weiß, daß er „unter
Heiden lebt," will aber „keine Proselyten machen."
„Christentum, nicht Konfession wie die Hofprediger," sagte er einmal — es
war wohl im Winter von 1878 zu 1879 — zum Verfasser dieser Darstellung.
Bei einem Tischgespräche, das am 12. August 1870 zu Se. Avvld stattfand,
kam die Rede u. a. auf die Mormonen mit ihrer Vielweiberei und den Umstand,
daß die Vereinigten Staaten eine solche Sekte bisher geduldet, und bei diesem
Anlaß entwickelte der Kanzler Grundsätze, die der Glaubensfreiheit entschieden
günstig lauteten. Nur dürfe, so setzte er hinzu, die Duldsamkeit uicht bloß
von der einen Seite verlangt und geübt werden. „Jeder muß uach seiner Fen/on
selig werden können," bemerkte er. „Das Kirchenvermögen aber muß natürlich
denen verbleiben, welche bei der alten Kirche bleiben, die es erworben hat. Wer
austritt, muß seiner Überzeugung oder vielmehr seinem Unglauben ein Opfer
bringen können. . . Den Katholiken nimmt man es wenig übel, wenn sie orthodox
sind, den Juden garnicht, den Lutheranern aber sehr, und die Kirche wird fort¬
während als verfolgungssüchtig verschrieen, wenn sie die Nichtorthvdoxen abweist;
davon aber, daß die Orthodoxen von der Presse und im Leben verfolgt
werden und verspottet — das finden die Leute ganz in der Ordnung." Als
später während des Krieges jemand bei Tafel das Thema von der Toleranz
aufs Tapet brachte, erklärte sich der Minister nicht weniger unumwunden für
Duldsamkeit in Religionssachen. „Aber, so fuhr er wieder fort, die Aufgeklärten
sind auch nicht tolerant. Sie verfolgen die, welche gläubig sind, zwar nicht
mit Scheiterhaufen — denn das geht nicht mehr —, aber mit Spott und Hohn
in der Presse, und im Volke, soweit es zu den Nichtglüubigen gehört, ist man
darin nicht weiter als früher. Ich möchte nicht sehen, mit welchem Vergnügen
man dabei sein würde, wenn der Pastor Knak gehenkt würde." Mau erwähnte,
daß der alte Protestantismus höchst intolerant gewesen sei, und Bücher machte
darauf aufmerksam, daß nach Buckle die Hugenotten eifrige Reaktionäre gewesen
seien, und daß dies von deu damaligen Reformirten überhaupt gelte. „Nicht
gerade Reaktionäre, erwiederte der Kanzler, aber kleine Tyrannen, jeder Pastor
war ein kleiner Papst." Er führte Calvins Verfahren gegen Servet all und
setzte hinzu: „Auch Luther war so." Ein andrer Tischgenosse erinnerte daran,
wie er Karlstadt und die Münzerschen Schwarmgeister behandelt, und an die
Wittenberger Streittheolvgen, desgleichen an die Hinrichtung des Kanzlers Kreil
in Dresden, der seinen Kryptoealvinismus mit dem Tode gebüßt habe. Bücher
erzählte, daß die schottischen Presbyterianer zu Ende des vorigen Jahrhunderts
jemand, der Thomas Paynes Buch vou den Menschellrechten einem andern nur
geliehen, zu einundzlvallzigjähriger Deportation verurteilt und sofort in Ketten
gelegt hüllen.*) Ein andrer Gast des Kanzlers wies wieder auf die Puritaner
-) Die sogenannten schottischen Märtyrer Mnir. Palmer u. a. im Jahre 1793 ,si,-d
gemeint.
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