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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarc? und die Religion.

Schaffen Sie mir einen Nachfolger mit dieser Basis und ich gehe ans der
Stelle . . . Wie gern ginge ich! Ich habe Frende am Landleben, an Wald
und Natur. Nehmen Sie nur den Zusammenhang mit Gott, und ich bin ein
Mensch, der morgen einpackt und nach Varziu aufreißt. . . und seinen
Hafer baut."

Am 30. Jannnr 1871 hielt der Kanzler in Versailles den zur Unter¬
handlung aus Paris erschienenen Frnnzoseu bei Tafel eine Art Vorlesung über
die Art, wie er seine Pflicht und Aufgabe als Politiker auffaßt. Er sagte da
ungefähr, konsequent sein werde in der Politik häufig zum Fehler, zu Eigensinn
und Selbstwilligkeit. Man verblende und stemme sich damit gegen das Leben,
das die Verhältnisse und Bedürfnisse unaufhörlich verändere (die göttliche Kraft
und deu göttliche" Trieb im Volke, der oben, vielleicht nicht ganz zutreffend
und die Sache erschöpfend, dessen Gewissen genannt wurde). Mau müsse sich
nach den Thatsachen, nach der Lage der Dinge, nach den Möglichkeiten um¬
modeln, seinem Vaterlande nach den Umständen dienen, nicht nach seinen Mei¬
nungen, die oft Vorurteile wären. Als er zuerst in die Politik eingetreten sei,
habe er andre Ansichten und Ziele gehabt als jetzt. Er habe sichs aber über¬
legt und sich dann nicht gescheut, seine Wünsche teilweise oder auch ganz den
Bedürfnissen des Tages zu opfern, um zu nützen. Er schloß dann mit den
Worten: I^-i pcitri" vont vere svrviv ot rin8 eioininvL, was seineu gallischen Zu¬
hörern, wohl vorzüglich durch seine prägnante Form, stark imponirte. Als
darauf einer derselben bemerkte, dieses hin'vio liefe freilich auf Unterordnung des
genialen Individuums unter die Meinung und deu Willen der Majorität hinaus,
und die Majoritäten hätten stets wenig Verstand, wenig Sachkenntnis und wenig
Charakter besessen, erwiederte der Kanzler sehr schön, indem er das Bewußtsein
seiner Verantwortlichkeit vor Gott als einen seiner Leitsterne hervorhob und
dein (kron, alm Miriv gegenüber, welches der Franzose hochgehalten Nüssen wollte,
das (Icsvolr (offenbar jenen kategorischen Imperativ Kants) als das Vornehmere
und in ihm Mächtigere betonte.

Inhalt und Ton einiger von den oben angeführten Äußerungen Bismarcks
haben manchen an Cromwell denken lassen. Wer sie genauer ansieht, wird das
nicht oder doch nur mit Einschränkungen zugeben können. Eher truü mau sich
hier mitunter um Carlyle erinnert finden. Dagegen hat der Begründer der Größe
Deutschlands mit dem mächtigen Geiste, der England zur Weltmacht erhob,
"und einer hier in Betracht kommenden Seite hin eine sehr entschiedene Ähnlich¬
keit. Cromwell übte, obwohl er ein strenggläubiger, inbrünstiger und eifriger
Puritaner war, gegen Katholiken, Quäker und Juden eine bis dahin in Eng¬
land unbekannte Duldung. Ebenso ist Bismarcks religiöser Sinn nicht mit Eifer
für Dogmen verbunden, nicht zudringlich und nicht intolerant. Seine Billigkeit,
einer der hervorstechenden Züge seines Charakters, verlangt das. Jedem das


Wr.-Iizbvlen IV. 1882. 7"
Bismarc? und die Religion.

Schaffen Sie mir einen Nachfolger mit dieser Basis und ich gehe ans der
Stelle . . . Wie gern ginge ich! Ich habe Frende am Landleben, an Wald
und Natur. Nehmen Sie nur den Zusammenhang mit Gott, und ich bin ein
Mensch, der morgen einpackt und nach Varziu aufreißt. . . und seinen
Hafer baut."

Am 30. Jannnr 1871 hielt der Kanzler in Versailles den zur Unter¬
handlung aus Paris erschienenen Frnnzoseu bei Tafel eine Art Vorlesung über
die Art, wie er seine Pflicht und Aufgabe als Politiker auffaßt. Er sagte da
ungefähr, konsequent sein werde in der Politik häufig zum Fehler, zu Eigensinn
und Selbstwilligkeit. Man verblende und stemme sich damit gegen das Leben,
das die Verhältnisse und Bedürfnisse unaufhörlich verändere (die göttliche Kraft
und deu göttliche« Trieb im Volke, der oben, vielleicht nicht ganz zutreffend
und die Sache erschöpfend, dessen Gewissen genannt wurde). Mau müsse sich
nach den Thatsachen, nach der Lage der Dinge, nach den Möglichkeiten um¬
modeln, seinem Vaterlande nach den Umständen dienen, nicht nach seinen Mei¬
nungen, die oft Vorurteile wären. Als er zuerst in die Politik eingetreten sei,
habe er andre Ansichten und Ziele gehabt als jetzt. Er habe sichs aber über¬
legt und sich dann nicht gescheut, seine Wünsche teilweise oder auch ganz den
Bedürfnissen des Tages zu opfern, um zu nützen. Er schloß dann mit den
Worten: I^-i pcitri« vont vere svrviv ot rin8 eioininvL, was seineu gallischen Zu¬
hörern, wohl vorzüglich durch seine prägnante Form, stark imponirte. Als
darauf einer derselben bemerkte, dieses hin'vio liefe freilich auf Unterordnung des
genialen Individuums unter die Meinung und deu Willen der Majorität hinaus,
und die Majoritäten hätten stets wenig Verstand, wenig Sachkenntnis und wenig
Charakter besessen, erwiederte der Kanzler sehr schön, indem er das Bewußtsein
seiner Verantwortlichkeit vor Gott als einen seiner Leitsterne hervorhob und
dein (kron, alm Miriv gegenüber, welches der Franzose hochgehalten Nüssen wollte,
das (Icsvolr (offenbar jenen kategorischen Imperativ Kants) als das Vornehmere
und in ihm Mächtigere betonte.

Inhalt und Ton einiger von den oben angeführten Äußerungen Bismarcks
haben manchen an Cromwell denken lassen. Wer sie genauer ansieht, wird das
nicht oder doch nur mit Einschränkungen zugeben können. Eher truü mau sich
hier mitunter um Carlyle erinnert finden. Dagegen hat der Begründer der Größe
Deutschlands mit dem mächtigen Geiste, der England zur Weltmacht erhob,
»und einer hier in Betracht kommenden Seite hin eine sehr entschiedene Ähnlich¬
keit. Cromwell übte, obwohl er ein strenggläubiger, inbrünstiger und eifriger
Puritaner war, gegen Katholiken, Quäker und Juden eine bis dahin in Eng¬
land unbekannte Duldung. Ebenso ist Bismarcks religiöser Sinn nicht mit Eifer
für Dogmen verbunden, nicht zudringlich und nicht intolerant. Seine Billigkeit,
einer der hervorstechenden Züge seines Charakters, verlangt das. Jedem das


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[0605] Bismarc? und die Religion. Schaffen Sie mir einen Nachfolger mit dieser Basis und ich gehe ans der Stelle . . . Wie gern ginge ich! Ich habe Frende am Landleben, an Wald und Natur. Nehmen Sie nur den Zusammenhang mit Gott, und ich bin ein Mensch, der morgen einpackt und nach Varziu aufreißt. . . und seinen Hafer baut." Am 30. Jannnr 1871 hielt der Kanzler in Versailles den zur Unter¬ handlung aus Paris erschienenen Frnnzoseu bei Tafel eine Art Vorlesung über die Art, wie er seine Pflicht und Aufgabe als Politiker auffaßt. Er sagte da ungefähr, konsequent sein werde in der Politik häufig zum Fehler, zu Eigensinn und Selbstwilligkeit. Man verblende und stemme sich damit gegen das Leben, das die Verhältnisse und Bedürfnisse unaufhörlich verändere (die göttliche Kraft und deu göttliche« Trieb im Volke, der oben, vielleicht nicht ganz zutreffend und die Sache erschöpfend, dessen Gewissen genannt wurde). Mau müsse sich nach den Thatsachen, nach der Lage der Dinge, nach den Möglichkeiten um¬ modeln, seinem Vaterlande nach den Umständen dienen, nicht nach seinen Mei¬ nungen, die oft Vorurteile wären. Als er zuerst in die Politik eingetreten sei, habe er andre Ansichten und Ziele gehabt als jetzt. Er habe sichs aber über¬ legt und sich dann nicht gescheut, seine Wünsche teilweise oder auch ganz den Bedürfnissen des Tages zu opfern, um zu nützen. Er schloß dann mit den Worten: I^-i pcitri« vont vere svrviv ot rin8 eioininvL, was seineu gallischen Zu¬ hörern, wohl vorzüglich durch seine prägnante Form, stark imponirte. Als darauf einer derselben bemerkte, dieses hin'vio liefe freilich auf Unterordnung des genialen Individuums unter die Meinung und deu Willen der Majorität hinaus, und die Majoritäten hätten stets wenig Verstand, wenig Sachkenntnis und wenig Charakter besessen, erwiederte der Kanzler sehr schön, indem er das Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit vor Gott als einen seiner Leitsterne hervorhob und dein (kron, alm Miriv gegenüber, welches der Franzose hochgehalten Nüssen wollte, das (Icsvolr (offenbar jenen kategorischen Imperativ Kants) als das Vornehmere und in ihm Mächtigere betonte. Inhalt und Ton einiger von den oben angeführten Äußerungen Bismarcks haben manchen an Cromwell denken lassen. Wer sie genauer ansieht, wird das nicht oder doch nur mit Einschränkungen zugeben können. Eher truü mau sich hier mitunter um Carlyle erinnert finden. Dagegen hat der Begründer der Größe Deutschlands mit dem mächtigen Geiste, der England zur Weltmacht erhob, »und einer hier in Betracht kommenden Seite hin eine sehr entschiedene Ähnlich¬ keit. Cromwell übte, obwohl er ein strenggläubiger, inbrünstiger und eifriger Puritaner war, gegen Katholiken, Quäker und Juden eine bis dahin in Eng¬ land unbekannte Duldung. Ebenso ist Bismarcks religiöser Sinn nicht mit Eifer für Dogmen verbunden, nicht zudringlich und nicht intolerant. Seine Billigkeit, einer der hervorstechenden Züge seines Charakters, verlangt das. Jedem das Wr.-Iizbvlen IV. 1882. 7«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/605>, abgerufen am 01.07.2024.