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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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nennt es Gott. Beiden wird es bei all ihrer Macht, all ihrem Überblick doch
zuweilen bange, sie fühlen sich einsam und versenken sich gern von Zeit zu
Zeit in die Substanz, in das Allgemeine, wo sich die Fesseln des individuellen
Dnseins lösen. Vismarck hat einen Gott nnßer sich. Vergleichen Sie damit
Goethe im Prvöminm unter der Rubrik "Gott, Gemüt und Welt":


Im Innern ist ein Universum auch;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Daß jeglicher das Beste, was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erde übergiebt,
In fürchtet und, wo möglich, liebt.

Bismarcks Pflichtgefühl aber ist altpreußisch. Auch Kant und Fichte sind
Preußen, Propheten der Energie des Willens. Bismarck ist wie eine geniale,
wundervolle Personifikation Preußens. Die wahren Preußen aber sind der
kleine Adel, die Armee und die Beamten -- wie sie bisher waren. Bismarck
ist der preußische Edelmann, der Militär, der Beamte. Dazu ein klein wenig
Frivolität, die als Gegenstück dahin gehört, und die dem Kanzler auch nicht
fehlt."

Man wolle damit die folgenden Belege zu dein eignen Urteile des Ver¬
fassers zusammenhalten. Als Bismarck vom König von Dänemark das Groß-
kreuz des Danebrogordens verliehen wurde, verlangte das Herkommen, daß
er sich für sein in einer Kopenhagener Kirche aufzuhängendes Wappenschild
eine doppelsinnige Devise wähle. Er sann nach und faud den Spruch: in
trinitÄt" robur, im dreieinigen Gott meine Stärke, aber auch, mit Beziehung
auf das alte Warenzeichen des Schönhausener Zweiges seiner Familie: im
Dreiblatt (Klee) Eichenlaub. Ju einem Schreiben vom 16. Mai 1864, in
welchem er sich gegen einen preußischen Konservativen (wohl Gerlach, man wolle
das beachten) über die Schleswig-holsteinische Frage und eine dieselbe betreffende
Patriotische Adresse äußert, sagte er: "Je länger ich in der Politik arbeite, desto
geringer wird mein Glaube an menschliches Rechnen," und gegen den Schluß
hin: "Sie sehen daraus, wie ich nach Menschenwitz die Sache auffasse; im
übrigen steigert sich bei mir das Gefühl des Dankes für Gottes bisherigenBeistand
zu dem Vertrauen, daß der Herr auch unsre Irrtümer zu unserm Besten zu
wenden weiß; das erfahre ich täglich zur heilsamen Demütigung." Als der Kanzler
am Morgen nach der Schlacht bei sedem vom General Rente zu der bekannten
Zusammenkunft mit dein Kaiser der Franzosen abgerufen wurde, fanden sich auf
dem Tische neben dem Bette, in welchem er die Nacht geschlafen, die "Täglichen
Losungen und Lehrtexte der Brüdergemeinde für 1870," und am Boden lag ein An-
dnchtsbnch ähnlichen Charakters: "Die tägliche Erquickung für gläubige Christen."
Beide waren ihm vermutlich von Hause nachgeschickt worden, sein Diener aber ver¬
sicherte, daß Excellenz vor dem Einschlafen in diesen Schriften zu lesen pflege. 1847


nennt es Gott. Beiden wird es bei all ihrer Macht, all ihrem Überblick doch
zuweilen bange, sie fühlen sich einsam und versenken sich gern von Zeit zu
Zeit in die Substanz, in das Allgemeine, wo sich die Fesseln des individuellen
Dnseins lösen. Vismarck hat einen Gott nnßer sich. Vergleichen Sie damit
Goethe im Prvöminm unter der Rubrik „Gott, Gemüt und Welt":


Im Innern ist ein Universum auch;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Daß jeglicher das Beste, was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erde übergiebt,
In fürchtet und, wo möglich, liebt.

Bismarcks Pflichtgefühl aber ist altpreußisch. Auch Kant und Fichte sind
Preußen, Propheten der Energie des Willens. Bismarck ist wie eine geniale,
wundervolle Personifikation Preußens. Die wahren Preußen aber sind der
kleine Adel, die Armee und die Beamten — wie sie bisher waren. Bismarck
ist der preußische Edelmann, der Militär, der Beamte. Dazu ein klein wenig
Frivolität, die als Gegenstück dahin gehört, und die dem Kanzler auch nicht
fehlt."

Man wolle damit die folgenden Belege zu dein eignen Urteile des Ver¬
fassers zusammenhalten. Als Bismarck vom König von Dänemark das Groß-
kreuz des Danebrogordens verliehen wurde, verlangte das Herkommen, daß
er sich für sein in einer Kopenhagener Kirche aufzuhängendes Wappenschild
eine doppelsinnige Devise wähle. Er sann nach und faud den Spruch: in
trinitÄt» robur, im dreieinigen Gott meine Stärke, aber auch, mit Beziehung
auf das alte Warenzeichen des Schönhausener Zweiges seiner Familie: im
Dreiblatt (Klee) Eichenlaub. Ju einem Schreiben vom 16. Mai 1864, in
welchem er sich gegen einen preußischen Konservativen (wohl Gerlach, man wolle
das beachten) über die Schleswig-holsteinische Frage und eine dieselbe betreffende
Patriotische Adresse äußert, sagte er: „Je länger ich in der Politik arbeite, desto
geringer wird mein Glaube an menschliches Rechnen," und gegen den Schluß
hin: „Sie sehen daraus, wie ich nach Menschenwitz die Sache auffasse; im
übrigen steigert sich bei mir das Gefühl des Dankes für Gottes bisherigenBeistand
zu dem Vertrauen, daß der Herr auch unsre Irrtümer zu unserm Besten zu
wenden weiß; das erfahre ich täglich zur heilsamen Demütigung." Als der Kanzler
am Morgen nach der Schlacht bei sedem vom General Rente zu der bekannten
Zusammenkunft mit dein Kaiser der Franzosen abgerufen wurde, fanden sich auf
dem Tische neben dem Bette, in welchem er die Nacht geschlafen, die „Täglichen
Losungen und Lehrtexte der Brüdergemeinde für 1870," und am Boden lag ein An-
dnchtsbnch ähnlichen Charakters: „Die tägliche Erquickung für gläubige Christen."
Beide waren ihm vermutlich von Hause nachgeschickt worden, sein Diener aber ver¬
sicherte, daß Excellenz vor dem Einschlafen in diesen Schriften zu lesen pflege. 1847


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/603>, abgerufen am 01.07.2024.