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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

in dieser vergänglichen Welt mit ihrem Wechsel und ihrem Schmerz ein Ewiges,
Festes und allein wahrhaft Wirkliches lebt und herrscht. Es ist ihm, um in
der Sprache der Kanzel zu reden, ein himmlischer Urquell seiner Pflicht sowohl
wie seiner Berechtigung, ein göttlicher Leitstern, der nie seine Stelle verläßt
und nie sein Licht verändert, und auf den er allezeit sein Auge gerichtet halten
muß, wenn es nnter vielen Wegen den rechten zu finden gilt, eine niemals
versagende Stütze und ein immer dem Suchenden geöffneter Schatz von Kraft
für den schwer arbeitenden, kämpfenden Menschengeist. Gewißheit ist das erste
Bedürfnis, die Lebenslust des Helden. Er muß außerhalb des Endlichen,
Schwankenden und Verschwimmenden einen Punkt haben, ans dem er mit beiden
Füßen stehen kann, wenn er die Welt heben und in andre Bahnen stellen will.
schöpferisches Thun ist unmöglich, wem: die Überzeugung dessen, der sich dazu
anschickt, nicht auf unverrückbaren Grunde ruht. Luthers ganze Natur findet
ihren Ausdruck im ersten Verse seines Liedes "Ein' feste Burg ist unser Gott."
Andre Heroen der Geschichte, Napoleon z. B, haben einzig in sich selbst, in
ihrem Bedürfnis nach Macht, nach Geltung ihres Ich das Gesetz ihres Strebens
gesucht und es daun unter andrem Namen, als in der Weltordnung begründet,
ihrer Umgebung, ihrer Nation, ihrer Zeit aufgezwungen. Unser politischer
Reformator suchte und fand es, wo der religiöse es gesucht und gesunden hatte.
Er nennt seinen Fund, sein Gesetz, den Quell seines Pflichtgefühls, seiner Kraft
zum Schaffen und seines Trostes in Nöten Gott, Glaube oder Christentum,
beiläufig ungefähr wie Luther, andre nennen ihn Gewissen. Gott aber wohnt
im Gewissen aufsteigender Völker, in dem, was ihnen ihre Wege vorschreibt, sie
im politischen Leben antreibt und führt, sie unwiderstehlich im großen und
ganzen so und nicht anders streben und handeln läßt, und der Held erkennt
oder ahnt dieses Agens, nimmt es in sich auf und verschmilzt mit ihm, und
so meinen beide, Vismarck und die andern, im wesentlichen dasselbe. Bewußt
und unbewußt, immer hat Bismarck sein Genie in den Dienst des deutschen
Gewissens, des altpreußischen Pflichtgefühls gestellt, mit Kants kategorischem
Imperativ gearbeitet, gekämpft und gesiegt. Das hat er mitunter auch aus¬
gesprochen, namentlich in den letzten Jahren, während er sich früher meist in
theologischen Formen darüber äußerte.

Wünscht man das alles einfacher, nüchterner und weltlicher ausgedrückt,
so könnte manchem vielleicht das Urteil eines Freundes genügen, der sich gegen
den Verfasser dahin äußerte: "Er Dismarck^ ist im Punkte der Religion
offenbar Dilettant, er ist kein Theolog und hat sich kein System, keine organisch
gegliederte, zusammenhängende Überzeugung gebildet. Er ist religiös wie eine
praktische Natur, die sich irgendwie ven Rücken deckt. Er kann viel, wirkt viel,
aber er fühlt doch, daß er nicht alles kann, und daß unendliche Dinge und
Umstände ihm entgehen. Er sucht und findet, wenn ihm dieses Gefühl kommt,
Ergänzung. Napoleon der Erste nennt das l'oräre et"8 onvss", Bismarck


Bismarck und die Religion.

in dieser vergänglichen Welt mit ihrem Wechsel und ihrem Schmerz ein Ewiges,
Festes und allein wahrhaft Wirkliches lebt und herrscht. Es ist ihm, um in
der Sprache der Kanzel zu reden, ein himmlischer Urquell seiner Pflicht sowohl
wie seiner Berechtigung, ein göttlicher Leitstern, der nie seine Stelle verläßt
und nie sein Licht verändert, und auf den er allezeit sein Auge gerichtet halten
muß, wenn es nnter vielen Wegen den rechten zu finden gilt, eine niemals
versagende Stütze und ein immer dem Suchenden geöffneter Schatz von Kraft
für den schwer arbeitenden, kämpfenden Menschengeist. Gewißheit ist das erste
Bedürfnis, die Lebenslust des Helden. Er muß außerhalb des Endlichen,
Schwankenden und Verschwimmenden einen Punkt haben, ans dem er mit beiden
Füßen stehen kann, wenn er die Welt heben und in andre Bahnen stellen will.
schöpferisches Thun ist unmöglich, wem: die Überzeugung dessen, der sich dazu
anschickt, nicht auf unverrückbaren Grunde ruht. Luthers ganze Natur findet
ihren Ausdruck im ersten Verse seines Liedes „Ein' feste Burg ist unser Gott."
Andre Heroen der Geschichte, Napoleon z. B, haben einzig in sich selbst, in
ihrem Bedürfnis nach Macht, nach Geltung ihres Ich das Gesetz ihres Strebens
gesucht und es daun unter andrem Namen, als in der Weltordnung begründet,
ihrer Umgebung, ihrer Nation, ihrer Zeit aufgezwungen. Unser politischer
Reformator suchte und fand es, wo der religiöse es gesucht und gesunden hatte.
Er nennt seinen Fund, sein Gesetz, den Quell seines Pflichtgefühls, seiner Kraft
zum Schaffen und seines Trostes in Nöten Gott, Glaube oder Christentum,
beiläufig ungefähr wie Luther, andre nennen ihn Gewissen. Gott aber wohnt
im Gewissen aufsteigender Völker, in dem, was ihnen ihre Wege vorschreibt, sie
im politischen Leben antreibt und führt, sie unwiderstehlich im großen und
ganzen so und nicht anders streben und handeln läßt, und der Held erkennt
oder ahnt dieses Agens, nimmt es in sich auf und verschmilzt mit ihm, und
so meinen beide, Vismarck und die andern, im wesentlichen dasselbe. Bewußt
und unbewußt, immer hat Bismarck sein Genie in den Dienst des deutschen
Gewissens, des altpreußischen Pflichtgefühls gestellt, mit Kants kategorischem
Imperativ gearbeitet, gekämpft und gesiegt. Das hat er mitunter auch aus¬
gesprochen, namentlich in den letzten Jahren, während er sich früher meist in
theologischen Formen darüber äußerte.

Wünscht man das alles einfacher, nüchterner und weltlicher ausgedrückt,
so könnte manchem vielleicht das Urteil eines Freundes genügen, der sich gegen
den Verfasser dahin äußerte: „Er Dismarck^ ist im Punkte der Religion
offenbar Dilettant, er ist kein Theolog und hat sich kein System, keine organisch
gegliederte, zusammenhängende Überzeugung gebildet. Er ist religiös wie eine
praktische Natur, die sich irgendwie ven Rücken deckt. Er kann viel, wirkt viel,
aber er fühlt doch, daß er nicht alles kann, und daß unendliche Dinge und
Umstände ihm entgehen. Er sucht und findet, wenn ihm dieses Gefühl kommt,
Ergänzung. Napoleon der Erste nennt das l'oräre et«8 onvss«, Bismarck


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[0602] Bismarck und die Religion. in dieser vergänglichen Welt mit ihrem Wechsel und ihrem Schmerz ein Ewiges, Festes und allein wahrhaft Wirkliches lebt und herrscht. Es ist ihm, um in der Sprache der Kanzel zu reden, ein himmlischer Urquell seiner Pflicht sowohl wie seiner Berechtigung, ein göttlicher Leitstern, der nie seine Stelle verläßt und nie sein Licht verändert, und auf den er allezeit sein Auge gerichtet halten muß, wenn es nnter vielen Wegen den rechten zu finden gilt, eine niemals versagende Stütze und ein immer dem Suchenden geöffneter Schatz von Kraft für den schwer arbeitenden, kämpfenden Menschengeist. Gewißheit ist das erste Bedürfnis, die Lebenslust des Helden. Er muß außerhalb des Endlichen, Schwankenden und Verschwimmenden einen Punkt haben, ans dem er mit beiden Füßen stehen kann, wenn er die Welt heben und in andre Bahnen stellen will. schöpferisches Thun ist unmöglich, wem: die Überzeugung dessen, der sich dazu anschickt, nicht auf unverrückbaren Grunde ruht. Luthers ganze Natur findet ihren Ausdruck im ersten Verse seines Liedes „Ein' feste Burg ist unser Gott." Andre Heroen der Geschichte, Napoleon z. B, haben einzig in sich selbst, in ihrem Bedürfnis nach Macht, nach Geltung ihres Ich das Gesetz ihres Strebens gesucht und es daun unter andrem Namen, als in der Weltordnung begründet, ihrer Umgebung, ihrer Nation, ihrer Zeit aufgezwungen. Unser politischer Reformator suchte und fand es, wo der religiöse es gesucht und gesunden hatte. Er nennt seinen Fund, sein Gesetz, den Quell seines Pflichtgefühls, seiner Kraft zum Schaffen und seines Trostes in Nöten Gott, Glaube oder Christentum, beiläufig ungefähr wie Luther, andre nennen ihn Gewissen. Gott aber wohnt im Gewissen aufsteigender Völker, in dem, was ihnen ihre Wege vorschreibt, sie im politischen Leben antreibt und führt, sie unwiderstehlich im großen und ganzen so und nicht anders streben und handeln läßt, und der Held erkennt oder ahnt dieses Agens, nimmt es in sich auf und verschmilzt mit ihm, und so meinen beide, Vismarck und die andern, im wesentlichen dasselbe. Bewußt und unbewußt, immer hat Bismarck sein Genie in den Dienst des deutschen Gewissens, des altpreußischen Pflichtgefühls gestellt, mit Kants kategorischem Imperativ gearbeitet, gekämpft und gesiegt. Das hat er mitunter auch aus¬ gesprochen, namentlich in den letzten Jahren, während er sich früher meist in theologischen Formen darüber äußerte. Wünscht man das alles einfacher, nüchterner und weltlicher ausgedrückt, so könnte manchem vielleicht das Urteil eines Freundes genügen, der sich gegen den Verfasser dahin äußerte: „Er Dismarck^ ist im Punkte der Religion offenbar Dilettant, er ist kein Theolog und hat sich kein System, keine organisch gegliederte, zusammenhängende Überzeugung gebildet. Er ist religiös wie eine praktische Natur, die sich irgendwie ven Rücken deckt. Er kann viel, wirkt viel, aber er fühlt doch, daß er nicht alles kann, und daß unendliche Dinge und Umstände ihm entgehen. Er sucht und findet, wenn ihm dieses Gefühl kommt, Ergänzung. Napoleon der Erste nennt das l'oräre et«8 onvss«, Bismarck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/602>, abgerufen am 01.07.2024.