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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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kauzler einem der ultramontnneu Gegner: "Der Herr Vorredner hat an Reden
erinnert, die ich vor dreiundzwanzig Jahren, im Jahre 1849, gehalten habe.
Ich könnte diese Bezugnahme einfach mit der Bemerkung abfertigen, daß ich
in dreiundzwanzig Jahren, namentlich wenn es die besten Mannesjahre sind,
etwas zuzulerneu pflege, und daß ich überhaupt, ich wenigstens, nicht unfehlbar
bin. Aber ich will weiter gehen. Was in jenen meinen Äußerungen an
lebendigem Bekenntnis, an Bekenntnis zu dem lebendigen christlichen Glauben
liegt ^mein beachte das "lebendigen," es schließt wohl den Gegensatz zu toten
Dogmen einj, dazu bekenne ich mich noch heute ganz offen und scheue dieses
Bekenntnis weder vor der Öffentlichkeit noch in meinem Haufe an irgendeinem
Tage; aber gerade dieser mein lebendiger, evangelischer, christlicher Glaube legt
mir die Verpflichtung auf, für das Laud, wo ich geboren bin, und zu dessen
Dienst mich Gott erschaffen hat, und wo ein hohes Amt mir übertragen worden
ist, dieses Amt nach allen Seiten hin zu wahren; und wenn die Fundamente
des Staates von den Barrikaden und der republikanischen Seite her angegriffen
wurden, so habe ich es sür meine Pflicht gehalten, auf der Bresche zu stehen,
und werden sie von Seiten angegriffen, die eher berufen waren und noch immer
sind, die Fundamente des Staates zu befestigen und nicht zu erschüttern ^das
Zentrum und in Betreff des Schulaufsichtsgesetzes die Altkouservativeu^, so werden
Sie mich anch da zu jeder Zeit auf der Bresche finden. Das gebietet mir das
Christentum und mein Glaube."

Daß Bismarck in solchen Fällen, wo seine religiöse Überzeugung dem
Staatswohle geopfert werden mußte, nicht anstand, das Opfer zu bringen, hat
er 1873 bei Erledigung der Frage wegen der obligatorischen Zivilehe gezeigt.
Am 17. Januar jenes Jahres erklärte er im Abgeordnetenhause, daß er sich
"nicht bereitwillig, sondern ungern und nach großem Kampfe" entschlossen habe,
beim Könige die Vollziehung der betreffenden Vorlage zu beantragen, und fuhr
daun fort: "Ich habe hier nicht Dogmatik zu treiben, ich habe Politik zu treiben.
Aus dem Gesichtspunkte der Politik habe ich mich überzeugt, daß der Staat
in der Lage, in welche das revolutionäre Verhalten der katholischen Bischöfe den
Staat gebracht hat, durch das Gebot der Notwehr gezwungen ist, das Gesetz
zu erlassen, um die Schäden von einem Teile der Unterthanen Sr. Majestät
abzuwenden, welche die Auflehnung der Bischöfe gegenüber dem Gesetze und dem
Staate über diesen Teil der königlichen Unterthanen verhängt hat, und um von
seiner Seite, so viel an ihm liegt, und so viel der Staat vermag, seine Pflicht
zu thun."

Wir kommen nun zu jeuer dritten Grundlage der Religiosität des Fürsten.
Neben dem starken Gefühle der Eitelkeit alles Irdischen und Menschlichen, neben
der in ihm ruhenden und von Zeit zu Zeit lebendig und laut werdenden weh¬
mütigen Empfindung des Endlichen geht -- so dürfen wir wenigstens ans
einer Anzahl seiner Äußerungen schließen -- der Glaube her, daß über oder


kauzler einem der ultramontnneu Gegner: „Der Herr Vorredner hat an Reden
erinnert, die ich vor dreiundzwanzig Jahren, im Jahre 1849, gehalten habe.
Ich könnte diese Bezugnahme einfach mit der Bemerkung abfertigen, daß ich
in dreiundzwanzig Jahren, namentlich wenn es die besten Mannesjahre sind,
etwas zuzulerneu pflege, und daß ich überhaupt, ich wenigstens, nicht unfehlbar
bin. Aber ich will weiter gehen. Was in jenen meinen Äußerungen an
lebendigem Bekenntnis, an Bekenntnis zu dem lebendigen christlichen Glauben
liegt ^mein beachte das „lebendigen," es schließt wohl den Gegensatz zu toten
Dogmen einj, dazu bekenne ich mich noch heute ganz offen und scheue dieses
Bekenntnis weder vor der Öffentlichkeit noch in meinem Haufe an irgendeinem
Tage; aber gerade dieser mein lebendiger, evangelischer, christlicher Glaube legt
mir die Verpflichtung auf, für das Laud, wo ich geboren bin, und zu dessen
Dienst mich Gott erschaffen hat, und wo ein hohes Amt mir übertragen worden
ist, dieses Amt nach allen Seiten hin zu wahren; und wenn die Fundamente
des Staates von den Barrikaden und der republikanischen Seite her angegriffen
wurden, so habe ich es sür meine Pflicht gehalten, auf der Bresche zu stehen,
und werden sie von Seiten angegriffen, die eher berufen waren und noch immer
sind, die Fundamente des Staates zu befestigen und nicht zu erschüttern ^das
Zentrum und in Betreff des Schulaufsichtsgesetzes die Altkouservativeu^, so werden
Sie mich anch da zu jeder Zeit auf der Bresche finden. Das gebietet mir das
Christentum und mein Glaube."

Daß Bismarck in solchen Fällen, wo seine religiöse Überzeugung dem
Staatswohle geopfert werden mußte, nicht anstand, das Opfer zu bringen, hat
er 1873 bei Erledigung der Frage wegen der obligatorischen Zivilehe gezeigt.
Am 17. Januar jenes Jahres erklärte er im Abgeordnetenhause, daß er sich
„nicht bereitwillig, sondern ungern und nach großem Kampfe" entschlossen habe,
beim Könige die Vollziehung der betreffenden Vorlage zu beantragen, und fuhr
daun fort: „Ich habe hier nicht Dogmatik zu treiben, ich habe Politik zu treiben.
Aus dem Gesichtspunkte der Politik habe ich mich überzeugt, daß der Staat
in der Lage, in welche das revolutionäre Verhalten der katholischen Bischöfe den
Staat gebracht hat, durch das Gebot der Notwehr gezwungen ist, das Gesetz
zu erlassen, um die Schäden von einem Teile der Unterthanen Sr. Majestät
abzuwenden, welche die Auflehnung der Bischöfe gegenüber dem Gesetze und dem
Staate über diesen Teil der königlichen Unterthanen verhängt hat, und um von
seiner Seite, so viel an ihm liegt, und so viel der Staat vermag, seine Pflicht
zu thun."

Wir kommen nun zu jeuer dritten Grundlage der Religiosität des Fürsten.
Neben dem starken Gefühle der Eitelkeit alles Irdischen und Menschlichen, neben
der in ihm ruhenden und von Zeit zu Zeit lebendig und laut werdenden weh¬
mütigen Empfindung des Endlichen geht — so dürfen wir wenigstens ans
einer Anzahl seiner Äußerungen schließen — der Glaube her, daß über oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/601>, abgerufen am 01.07.2024.