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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

freund zu der schnöden Erkenntnis kommen sehen, daß ein gewisser Grad von
positivem Christentums dem gemeinen Manne nötig sei, wenn er nicht der
menschlichen Gesellschaft gefährlich werden soll. . . Fahren wir ans diesem Wege
fort, machen wir den Artikel 11, die Gewährleistung eines jeden Kultus, inso¬
weit zur Wahrheit, daß wir auch den Kultus derjenigen demokratischen
Schwärmer, die in den jüngsten Versammlungen ihren Märtyrer, Robert Blum,
auf gleiche Linie mit dem Heiland der Welt stellen, durch Gendarmen gegen
Störung schützen lassen, so hoffe ich es noch zu erleben, daß das Narren¬
schiff der Zeit an dem Felsen der christlichen Kirche scheitert*); denn noch steht
der Glaube an das geoffenbarte Wort Gottes im Volke fester als der Glaube
an die seligmnchende Kraft irgend eines Artikels der Verfassung.

Als der Kanzler am 1. März 1370 im Reichstage des Norddeutschen
Bundes auf die Reden der Abgeordneten antwortete, welche für Aushebung der
Todesstrafe aufgetreten waren, sagte er u. a.: "Wenn ich den Eindruck, den
ich von der Diskussion habe, . . . resümire, so ist es einmal der der Über¬
schätzung des Wertes, welchen die Gegner der Todesstrafe dem Leben dieser
Welt, und der Bedeutuug, welche sie dem Tode beilegen. Ich kann mir denken,
daß jemandem, der an eine Fortsetzung des individuellen Lebens nach dem leib¬
lichen Tode nicht glaubt, die Todesstrafe härter erscheint als demjenigen, der
an die Unsterblichkeit der ihm von Gott verliehenen Seele glaubt; aber wenn
ich der Frage näher ins Auge sehe, so kann ich anch das kaum annehmen.
Für jemand, der des Glaubens nicht ist -- zu dem ich mich von Herzen be¬
kenne --, der Tod sei ein Übergang von einem Leben in das andre, und wir
seien imstande, auch dem schwersten Verbrecher auf seinem Grabe die trostreiche
Versicherung zu geben: mors Mina vitu."z -- für jemand, der diese Überzeugung
nicht teilt, müssen die Freuden dieses Lebens einen solchen Wert haben, daß ich
ihn fast um die Empfindungen, die sie ihm bereiten, beneide; er muß in einer
Beschäftigung leben, die für ihn so befriedigende Erfolge aufweist, daß ich seinen
Gefühlen darin nicht zu folgen vermag, wenn er mit dem Glauben, daß seine
Persönliche Existenz mit diesem leiblichen Tode für ewig abgeschlossen sei, wenn er
mit diesem Glauben es überhaupt der Mühe wert findet, weiter zu leben. Ich
will Sie hier nicht auf den tragischen Monolog von Hamlet verweisen, der alle
die Gründe anführt, die ihn bewegen sollten, nicht weiter zu leben, wenn die
Möglichkeit nicht wäre, nach dem Tode vielleicht zu träumen, vielleicht doch noch
etwas zu erleben -- wer weiß was. Wer aber darüber mit sich einig ist, daß
diesem Leben kein andres folgt, der kann dem Verbrecher, welcher, um mit dem
Dichter zu reden, festen Blicks vom Rabensteine blicket, in das Nichts hinein-



*) Der Redner meinte damit selbstverständlich nicht den "Felsen Petri" und hat das
den Ultramontanen, als von Gerlach ihn an jenen Ausspruch erinnerte, am 17. Dezember 1873
ausdrücklich gesagt.
Bismarck und die Religion.

freund zu der schnöden Erkenntnis kommen sehen, daß ein gewisser Grad von
positivem Christentums dem gemeinen Manne nötig sei, wenn er nicht der
menschlichen Gesellschaft gefährlich werden soll. . . Fahren wir ans diesem Wege
fort, machen wir den Artikel 11, die Gewährleistung eines jeden Kultus, inso¬
weit zur Wahrheit, daß wir auch den Kultus derjenigen demokratischen
Schwärmer, die in den jüngsten Versammlungen ihren Märtyrer, Robert Blum,
auf gleiche Linie mit dem Heiland der Welt stellen, durch Gendarmen gegen
Störung schützen lassen, so hoffe ich es noch zu erleben, daß das Narren¬
schiff der Zeit an dem Felsen der christlichen Kirche scheitert*); denn noch steht
der Glaube an das geoffenbarte Wort Gottes im Volke fester als der Glaube
an die seligmnchende Kraft irgend eines Artikels der Verfassung.

Als der Kanzler am 1. März 1370 im Reichstage des Norddeutschen
Bundes auf die Reden der Abgeordneten antwortete, welche für Aushebung der
Todesstrafe aufgetreten waren, sagte er u. a.: „Wenn ich den Eindruck, den
ich von der Diskussion habe, . . . resümire, so ist es einmal der der Über¬
schätzung des Wertes, welchen die Gegner der Todesstrafe dem Leben dieser
Welt, und der Bedeutuug, welche sie dem Tode beilegen. Ich kann mir denken,
daß jemandem, der an eine Fortsetzung des individuellen Lebens nach dem leib¬
lichen Tode nicht glaubt, die Todesstrafe härter erscheint als demjenigen, der
an die Unsterblichkeit der ihm von Gott verliehenen Seele glaubt; aber wenn
ich der Frage näher ins Auge sehe, so kann ich anch das kaum annehmen.
Für jemand, der des Glaubens nicht ist — zu dem ich mich von Herzen be¬
kenne —, der Tod sei ein Übergang von einem Leben in das andre, und wir
seien imstande, auch dem schwersten Verbrecher auf seinem Grabe die trostreiche
Versicherung zu geben: mors Mina vitu.«z — für jemand, der diese Überzeugung
nicht teilt, müssen die Freuden dieses Lebens einen solchen Wert haben, daß ich
ihn fast um die Empfindungen, die sie ihm bereiten, beneide; er muß in einer
Beschäftigung leben, die für ihn so befriedigende Erfolge aufweist, daß ich seinen
Gefühlen darin nicht zu folgen vermag, wenn er mit dem Glauben, daß seine
Persönliche Existenz mit diesem leiblichen Tode für ewig abgeschlossen sei, wenn er
mit diesem Glauben es überhaupt der Mühe wert findet, weiter zu leben. Ich
will Sie hier nicht auf den tragischen Monolog von Hamlet verweisen, der alle
die Gründe anführt, die ihn bewegen sollten, nicht weiter zu leben, wenn die
Möglichkeit nicht wäre, nach dem Tode vielleicht zu träumen, vielleicht doch noch
etwas zu erleben — wer weiß was. Wer aber darüber mit sich einig ist, daß
diesem Leben kein andres folgt, der kann dem Verbrecher, welcher, um mit dem
Dichter zu reden, festen Blicks vom Rabensteine blicket, in das Nichts hinein-



*) Der Redner meinte damit selbstverständlich nicht den „Felsen Petri" und hat das
den Ultramontanen, als von Gerlach ihn an jenen Ausspruch erinnerte, am 17. Dezember 1873
ausdrücklich gesagt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/599>, abgerufen am 29.06.2024.