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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarc? und die Religion.

christlicher Grundlage sich befinden muß. Für mich sind die Worte "von
Gottes Gnaden," welche christliche Herrscher ihrem Namen beifügen, kein leerer
Schall, sondern ich sehe darin das Bekenntnis, daß die Fürsten das Szepter,
das ihnen Gott verliehen hat, nach Gottes Willen auf Erden führen wollen.
Als Gottes Willen kann ich aber nur erkennen, was in den christlichen Evan¬
gelien offenbart worden ist. . . Entziehen wir diese religiöse Grundlage dem
Staate, so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat von
Rechten, eine Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle, welches die ältere
Philosophie aufgestellt hat. Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr aus
dem Urquell der ewigen Wahrheit regeneriren, sondern aus den vagen und
wandelbaren Begriffen von Humanität, wie sie sich gerade in den Köpfen der¬
jenigen, welche an der Spitze stehen, gestalten. Wie man in solchen Staaten
den Ideen z. V. der Kommunisten über die Jmmoralität des Eigentums, über
den hohen sittlichen Wert des Diebstahls als eines Versuches, die angebornen
Rechte der Menschen wiederherzustellen, das Recht, sich geltend zu machen, be¬
streikn will, wenn sie die Kraft dazu in sich fühlen, ist mir nicht klar; denn
auch diese Ideen werden von ihren Trägern für human gehalten und zwar als
die rechte Blüte der Humanität angesehen."

In der großen Rede, die Bismarck am 16. November 1349 im Abge-
ordnetenhause gegen die Zivilehe und über das christliche Volksbewußtsein hielt,
begegnen wir folgenden charakteristischen Stellen: "Ich glaube nicht, daß es
die Aufgabe der Gesetzgebung sein kann, das, was dem Volke heilig ist, zu
ignoriren. Ich glaube im Gegenteile, daß, wenn die Gesetzgebung das Volk
lehren und leiten will, es ihre Aufgabe ist, dahin zu wirken, daß das Volksleben sich
in allen Verhältnissen fest auf den Stab des Glaubens an die Segnungen der
Religion stütze, nicht aber diesen Stab, wo er vorhanden ist, als unnützes Zu¬
behör von Obrigkeitswegen verwerfe und so die Achtung vor der Kirche und
den religiösen Einrichtungen da, wo sie tiefe Wurzeln in dem Volksleben ge¬
schlagen hat, untergrabe, und dies in einer Zeit, die uns mit blutiger Schrift
gelehrt hat, daß da, wo es den Freigeistern, die sich gebildet nennen, ge¬
lungen ist, ihre Gleichgültigkeit gegen jedes positive Bekenntnis den großen
Massen insoweit mitzuteilen, daß bei ihnen von dein Christentum als
schaler Bodensatz nur eine zweideutige Moralphilosophie übrig geblieben ist,
daß da nur das blanke Bajonnet zwischen den verbrecherischen Leidenschaften
und dem friedlichen Bürger steht, daß da der Krieg aller gegen alle keine
Fiktion ist. Haben Sie dem Menschen den geoffenbarten Unterschied zwischen
gut und böse, den Glauben daran genommen, so können Sie ihm zwar be¬
weisen, daß Raub und Mord durch die Gesetze, welche die Besitzenden zum
Schutz ihres Eigentums und ihrer Person gemacht haben, mit schweren Strafen
bedroht werden, aber Sie werden ihm nimmermehr beweisen, daß irgend eine
Handlung an und für sich gut und böse sei. Ich habe in dieser Zeit manchen Licht-


Bismarc? und die Religion.

christlicher Grundlage sich befinden muß. Für mich sind die Worte „von
Gottes Gnaden," welche christliche Herrscher ihrem Namen beifügen, kein leerer
Schall, sondern ich sehe darin das Bekenntnis, daß die Fürsten das Szepter,
das ihnen Gott verliehen hat, nach Gottes Willen auf Erden führen wollen.
Als Gottes Willen kann ich aber nur erkennen, was in den christlichen Evan¬
gelien offenbart worden ist. . . Entziehen wir diese religiöse Grundlage dem
Staate, so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat von
Rechten, eine Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle, welches die ältere
Philosophie aufgestellt hat. Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr aus
dem Urquell der ewigen Wahrheit regeneriren, sondern aus den vagen und
wandelbaren Begriffen von Humanität, wie sie sich gerade in den Köpfen der¬
jenigen, welche an der Spitze stehen, gestalten. Wie man in solchen Staaten
den Ideen z. V. der Kommunisten über die Jmmoralität des Eigentums, über
den hohen sittlichen Wert des Diebstahls als eines Versuches, die angebornen
Rechte der Menschen wiederherzustellen, das Recht, sich geltend zu machen, be¬
streikn will, wenn sie die Kraft dazu in sich fühlen, ist mir nicht klar; denn
auch diese Ideen werden von ihren Trägern für human gehalten und zwar als
die rechte Blüte der Humanität angesehen."

In der großen Rede, die Bismarck am 16. November 1349 im Abge-
ordnetenhause gegen die Zivilehe und über das christliche Volksbewußtsein hielt,
begegnen wir folgenden charakteristischen Stellen: „Ich glaube nicht, daß es
die Aufgabe der Gesetzgebung sein kann, das, was dem Volke heilig ist, zu
ignoriren. Ich glaube im Gegenteile, daß, wenn die Gesetzgebung das Volk
lehren und leiten will, es ihre Aufgabe ist, dahin zu wirken, daß das Volksleben sich
in allen Verhältnissen fest auf den Stab des Glaubens an die Segnungen der
Religion stütze, nicht aber diesen Stab, wo er vorhanden ist, als unnützes Zu¬
behör von Obrigkeitswegen verwerfe und so die Achtung vor der Kirche und
den religiösen Einrichtungen da, wo sie tiefe Wurzeln in dem Volksleben ge¬
schlagen hat, untergrabe, und dies in einer Zeit, die uns mit blutiger Schrift
gelehrt hat, daß da, wo es den Freigeistern, die sich gebildet nennen, ge¬
lungen ist, ihre Gleichgültigkeit gegen jedes positive Bekenntnis den großen
Massen insoweit mitzuteilen, daß bei ihnen von dein Christentum als
schaler Bodensatz nur eine zweideutige Moralphilosophie übrig geblieben ist,
daß da nur das blanke Bajonnet zwischen den verbrecherischen Leidenschaften
und dem friedlichen Bürger steht, daß da der Krieg aller gegen alle keine
Fiktion ist. Haben Sie dem Menschen den geoffenbarten Unterschied zwischen
gut und böse, den Glauben daran genommen, so können Sie ihm zwar be¬
weisen, daß Raub und Mord durch die Gesetze, welche die Besitzenden zum
Schutz ihres Eigentums und ihrer Person gemacht haben, mit schweren Strafen
bedroht werden, aber Sie werden ihm nimmermehr beweisen, daß irgend eine
Handlung an und für sich gut und böse sei. Ich habe in dieser Zeit manchen Licht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/598>, abgerufen am 29.06.2024.