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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

Die Rede des Kanzlers, des "ehernen Charakters," den man sich so gern als
stolzen und seiner selbst sichern Geist vorstellt, nahm sich wie ein Echo der
Stimmung aus, welche in der Betrachtung ?o or not to ve seufzt und
Hamlet ausrufen laßt:


Hov woar^, stirlo, "n<1 unxroüt-idlo
Lsoin dio imo M tNo nsos o5 tttis vorld!
1?yo on't! () t^yo! 'lig an nmvoocioa Mrämi
'1'nat) K-roof to soo<1; KninM r^nic L,n<1 gross in natnro
?ossoss it niorol^.

Die Worte, die wir vernommen hatten, konnten als Kommentar zu dem von
Goethe zitirten "schrecklichen" Verse gelten:


^trou via ÄA<z "ut sxxorionoo, Imi-nÄ in Il^un,
I^oaci uim 1)0 <1oattr, nud maico dio. unilors^füret,
^Kor er so^roli so rMut'oll ana so long,
"Mg.t, "II Iris ki^o iro Irn,s door in tuo vronZ'.

Noch mehr aber als an all diesen Pessimismus fand man sich an die Stelle
des Koheleth erinnert, wo der königliche Prediger klagt: "Da ich aber ansah
alle meine Werke, die meine Hand gethan hatte, und Mühe, die ich gehabt
hatte, siehe, da war alles eitel und Jammer und nichts mehr unter der Sonne."
Was war es? Möglicherweise die Folge körperlicher Prozesse, Überreiztheit
durch Denken, Abspannung, eine Dissonanz des nervösen Wesens des Redenden,
vielleicht und wahrscheinlich auch ein mystischer Vorgang in seiner Seele, ein
unbewußter Ausfluß seines christlichen Empfindens. Gewiß ist nur, daß er sich
in den letzten Jahren wiederholt beinahe in denselben Worten und Wendungen
ausgesprochen hat und niemals durch Einreden zu beschwichtigen gewesen ist.

Beispiele dafür, daß der Kanzler die Religion und speziell das Christentum
schou frühzeitig als eines der Fundamente und Bollwerke des Staates und
Rechtes, als Schutzmittel gegen die Revolution einerseits und die sentimentale,
das Strafrecht ausweichende Humanität andrerseits aufgefaßt hat, finden sich
namentlich in seinen öffentlichen Reden. Wenn er hier auf die christliche Grund¬
lage des preußischen und des deutschen Staates hinweist, so spricht das zwar auch
für seine religiöse Anlage, aber mehr noch für seinen historischen Sinn. Er ist
kein Aufklärer, sein Blick ist auf den natürlichen Zusammenhang des Gegebenen
gerichtet. Europa, seine Kultur, seine politischen Gebilde haben sich wirklich
auf dem Christentum, allerdings auch im Kampfe mit diesem, auferbaut, und
darauf steht Bismarck. Am 15. Juni 1847 sagte er im Vereinigten Landtage:,, Ich
bin der Meinung, daß der Begriff des christlichen Staates so alt sei wie das
ol-üevMt heilige römische Reich, so alt wie sämtliche europäische Staaten, daß
er gerade der Boden sei, in welchem diese Staaten Wurzel geschlagen haben,
und daß jeder Staat, wenn er seine Dauer gesichert sehen, wenn er die Be¬
rechtigung zur Existenz nur nachweisen will, sobald sie bestritten wird, uns


Grenzboten IV. 1832. 75
Bismarck und die Religion.

Die Rede des Kanzlers, des „ehernen Charakters," den man sich so gern als
stolzen und seiner selbst sichern Geist vorstellt, nahm sich wie ein Echo der
Stimmung aus, welche in der Betrachtung ?o or not to ve seufzt und
Hamlet ausrufen laßt:


Hov woar^, stirlo, »n<1 unxroüt-idlo
Lsoin dio imo M tNo nsos o5 tttis vorld!
1?yo on't! () t^yo! 'lig an nmvoocioa Mrämi
'1'nat) K-roof to soo<1; KninM r^nic L,n<1 gross in natnro
?ossoss it niorol^.

Die Worte, die wir vernommen hatten, konnten als Kommentar zu dem von
Goethe zitirten „schrecklichen" Verse gelten:


^trou via ÄA<z »ut sxxorionoo, Imi-nÄ in Il^un,
I^oaci uim 1)0 <1oattr, nud maico dio. unilors^füret,
^Kor er so^roli so rMut'oll ana so long,
"Mg.t, »II Iris ki^o iro Irn,s door in tuo vronZ'.

Noch mehr aber als an all diesen Pessimismus fand man sich an die Stelle
des Koheleth erinnert, wo der königliche Prediger klagt: „Da ich aber ansah
alle meine Werke, die meine Hand gethan hatte, und Mühe, die ich gehabt
hatte, siehe, da war alles eitel und Jammer und nichts mehr unter der Sonne."
Was war es? Möglicherweise die Folge körperlicher Prozesse, Überreiztheit
durch Denken, Abspannung, eine Dissonanz des nervösen Wesens des Redenden,
vielleicht und wahrscheinlich auch ein mystischer Vorgang in seiner Seele, ein
unbewußter Ausfluß seines christlichen Empfindens. Gewiß ist nur, daß er sich
in den letzten Jahren wiederholt beinahe in denselben Worten und Wendungen
ausgesprochen hat und niemals durch Einreden zu beschwichtigen gewesen ist.

Beispiele dafür, daß der Kanzler die Religion und speziell das Christentum
schou frühzeitig als eines der Fundamente und Bollwerke des Staates und
Rechtes, als Schutzmittel gegen die Revolution einerseits und die sentimentale,
das Strafrecht ausweichende Humanität andrerseits aufgefaßt hat, finden sich
namentlich in seinen öffentlichen Reden. Wenn er hier auf die christliche Grund¬
lage des preußischen und des deutschen Staates hinweist, so spricht das zwar auch
für seine religiöse Anlage, aber mehr noch für seinen historischen Sinn. Er ist
kein Aufklärer, sein Blick ist auf den natürlichen Zusammenhang des Gegebenen
gerichtet. Europa, seine Kultur, seine politischen Gebilde haben sich wirklich
auf dem Christentum, allerdings auch im Kampfe mit diesem, auferbaut, und
darauf steht Bismarck. Am 15. Juni 1847 sagte er im Vereinigten Landtage:,, Ich
bin der Meinung, daß der Begriff des christlichen Staates so alt sei wie das
ol-üevMt heilige römische Reich, so alt wie sämtliche europäische Staaten, daß
er gerade der Boden sei, in welchem diese Staaten Wurzel geschlagen haben,
und daß jeder Staat, wenn er seine Dauer gesichert sehen, wenn er die Be¬
rechtigung zur Existenz nur nachweisen will, sobald sie bestritten wird, uns


Grenzboten IV. 1832. 75
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[0597] Bismarck und die Religion. Die Rede des Kanzlers, des „ehernen Charakters," den man sich so gern als stolzen und seiner selbst sichern Geist vorstellt, nahm sich wie ein Echo der Stimmung aus, welche in der Betrachtung ?o or not to ve seufzt und Hamlet ausrufen laßt: Hov woar^, stirlo, »n<1 unxroüt-idlo Lsoin dio imo M tNo nsos o5 tttis vorld! 1?yo on't! () t^yo! 'lig an nmvoocioa Mrämi '1'nat) K-roof to soo<1; KninM r^nic L,n<1 gross in natnro ?ossoss it niorol^. Die Worte, die wir vernommen hatten, konnten als Kommentar zu dem von Goethe zitirten „schrecklichen" Verse gelten: ^trou via ÄA<z »ut sxxorionoo, Imi-nÄ in Il^un, I^oaci uim 1)0 <1oattr, nud maico dio. unilors^füret, ^Kor er so^roli so rMut'oll ana so long, "Mg.t, »II Iris ki^o iro Irn,s door in tuo vronZ'. Noch mehr aber als an all diesen Pessimismus fand man sich an die Stelle des Koheleth erinnert, wo der königliche Prediger klagt: „Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand gethan hatte, und Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war alles eitel und Jammer und nichts mehr unter der Sonne." Was war es? Möglicherweise die Folge körperlicher Prozesse, Überreiztheit durch Denken, Abspannung, eine Dissonanz des nervösen Wesens des Redenden, vielleicht und wahrscheinlich auch ein mystischer Vorgang in seiner Seele, ein unbewußter Ausfluß seines christlichen Empfindens. Gewiß ist nur, daß er sich in den letzten Jahren wiederholt beinahe in denselben Worten und Wendungen ausgesprochen hat und niemals durch Einreden zu beschwichtigen gewesen ist. Beispiele dafür, daß der Kanzler die Religion und speziell das Christentum schou frühzeitig als eines der Fundamente und Bollwerke des Staates und Rechtes, als Schutzmittel gegen die Revolution einerseits und die sentimentale, das Strafrecht ausweichende Humanität andrerseits aufgefaßt hat, finden sich namentlich in seinen öffentlichen Reden. Wenn er hier auf die christliche Grund¬ lage des preußischen und des deutschen Staates hinweist, so spricht das zwar auch für seine religiöse Anlage, aber mehr noch für seinen historischen Sinn. Er ist kein Aufklärer, sein Blick ist auf den natürlichen Zusammenhang des Gegebenen gerichtet. Europa, seine Kultur, seine politischen Gebilde haben sich wirklich auf dem Christentum, allerdings auch im Kampfe mit diesem, auferbaut, und darauf steht Bismarck. Am 15. Juni 1847 sagte er im Vereinigten Landtage:,, Ich bin der Meinung, daß der Begriff des christlichen Staates so alt sei wie das ol-üevMt heilige römische Reich, so alt wie sämtliche europäische Staaten, daß er gerade der Boden sei, in welchem diese Staaten Wurzel geschlagen haben, und daß jeder Staat, wenn er seine Dauer gesichert sehen, wenn er die Be¬ rechtigung zur Existenz nur nachweisen will, sobald sie bestritten wird, uns Grenzboten IV. 1832. 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/597>, abgerufen am 29.06.2024.